Brüssel. 20 Jahre berichtete Rolf-Dieter Krause für die ARD aus Brüssel. Er galt als großer Erklärer, eckte mit seiner Direktheit aber auch an.

27. Mai 2014, spätabends in Brüssel. Nach einer langen Sitzung der europäischen Regierungschefs hält Bundeskanzlerin Merkel eine ihrer vielen Pressekonferenzen ab. Doch schnell wird klar, das hier ist nicht wie immer. Merkel erklärt auf dem Podium, dass sie sich nicht auf Jean-Claude Juncker als neuen Chef der EU-Regierung festlegen will. Dabei war gerade dies das entscheidende Versprechen vor der Wahl. Unten im Publikum sitzt Journalist Rolf-Dieter Krause – und verliert die Fassung. Ob das ihr Ernst sei, fragt er. Ob sie sich nicht an ihr Versprechen halten wolle. Ob sie erwarte, damit durchzukommen. Merkel schwimmt. „Ich glaube, Herr Krause“, sagt sie schließlich, „dass wir jetzt sorgsam miteinander umgehen sollten“. Pressekonferenz beendet.

Am nächsten Abend wirft Krause der Kanzlerin in den Tagesthemen „Betrug auf offener Bühne“ vor. Fast 20 Jahre hatte Krause zu dem Zeitpunkt schon über die EU berichtet. Hatte Ost-Erweiterung, Euro-Einführung und Finanzkrise erlebt. Aber so etwas wollte er trotz aller Routine nicht schweigend hinnehmen. Denn es war für den Leiter des ARD-Studios in Brüssel so etwas wie ein Verrat an seiner Liebe. An seiner Europäischen Union. „Brüssel war der Eimer, auf den mein Hintern passt“, sagt Krause. Jetzt geht der 65-Jährige in Rente.

„Ich werde es vermissen“, gesteht er im Gespräch mit dieser Redaktion. „Aber es ist wie mit einer alten Liebe. Es ist leichter, wenn man sie nicht jeden Tag sieht.“ Krause spricht von Ratsbeschlüssen und EU-Gesetzen wie andere von belgischen Pralinen. 20 Jahre lang stand er mit Glatze, Schnauzbart und Halstuch vor der Kamera und erklärte, warum die Gurken-Verordnung doch nicht so blöd ist und weshalb die EU „von denen da oben“ manchmal als Sündenbock missbraucht wird. Das tat er so gut, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble einmal sagte: „Wenn er etwas erklärt, dann verstehe sogar ich das.“ Das ist natürlich übertrieben, doch ein Fünkchen Wahrheit mag dabei sein.

Die Stelle in Brüssel hat er sich selbst verschafft

Gelernt hat Krause sein Handwerk in Unna. Als Lokalredakteur bei der WAZ. Eine Zeit, an die er immer noch gerne zurückdenkt: „Da konnte man was verändern.“ Später war er politischer Korrespondent für den WDR, unter anderem mit Friedrich Nowottny. Doch Krause wollte mehr, wollte etwas Neues. Schließlich ging er ins Büro des damaligen WDR-Chefredakteurs Fritz Pleitgen. Und dort trug sich nach Krauses Angaben folgendes Gespräch zu: „Warum fragen sie mich eigentlich nie, was ich noch machen möchte“, wollte Krause forsch wissen. „Was wollen sie denn machen“, fragte Pleitgen erstaunt. „Ich will nach Brüssel.“ Pleitgen lachte. Krause ging nach Brüssel.

Selbstbewusst war er schon immer. Doch sein zuweilen deutlicher Ton brachte Krause auch immer wieder Kritik ein. 2015 sprach er in einer Talkshow über die griechische Regierung als „diese Jungs von Syriza“, die „zum Teufel gejagt“ gehören. So etwas dürfe sich ein objektiver Berichterstatter nicht erlauben, hieß es. „Spiegel Online“ unterstellte ihm ein „Stockholm-Syndrom“ – er stehe zu sehr auf Seiten der EU-Geldgeber und sei ungerecht Griechenland gegenüber. „Ich stehe zu der Aussage“, sagt Krause heute. Außerdem gehöre zu einem Talkshow-Auftritt immer auch etwas Aufregung. „Wenn ich da schon labern muss, dann sollen die Zuschauer wenigstens nicht einschlafen.“ Noch so ein deutlicher Krause-Satz. Europa ist eben seine Leidenschaft. Und da gehört das Leiden dazu.

Als der Lokalredakteur in ihm durchkam

Ein „kritischer Europäer“ sei er. „Ich finde wirklich nicht alles gut, was da passiert.“ Und das sagt er dann auch – wie im Mai 2014 gegenüber Angela Merkel. Plötzlich kommt der Lokalredakteur in Krause hervor, der in seinem Ort Missstände aufdeckt und etwas verändern will. Sogar im großen Brüssel. Denn am Ende gibt die Kanzlerin nach. Jean-Claude Juncker ist heute Kommissionspräsident und sagt ganz ernst: „Ich weiß, wem ich das zu verdanken habe. Rolf-Dieter Krause.“