Essen. Der Roman „Salz auf unserer Haut“ machte sie weltberühmt: Die französische Autorin und Feministin Benoîte Groult starb mit 96 Jahren.

Wie viele Bücher sind eingeflossen ins kulturelle Gedächtnis einer Gesellschaft? Wie viele Titel fallen uns ein, deren Stichworte zugleich Zeitgeschichte erzählen? Nehmen wir etwa: Bretagne, Fischer, junge Frau, heftiges Verlangen – der Roman „Salz auf unserer Haut“ wurde Mitte der 80er-Jahre zum Millionenseller und machte seine bereits betagte Autorin Benoîte Groult zur Ikone junger Feministinnen. Groults lange gehütetes (Erfolgs-)Geheimnis war: Der Roman war gar kein Roman, sondern erzähltes Leben. Ein Leben, das jetzt in der Nacht zum Dienstag im hohen Alter von 96 Jahren endete – sie habe sich im Schlaf verabschiedet, ließ Groults Familie mitteilen.

Das Mädchen Benoîte Groult dürfen wir uns schüchtern vorstellen: 1920 in die Pariser Oberschicht hineingeboren als höhere Tochter einer Modedesignerin und eines Innenarchitekten, arbeitete sie nach ihrem Literaturstudium zunächst als Lehrerin. Kurz nach Kriegsende half sie als Dolmetscherin beim Roten Kreuz und begegnete dem amerikanischen Piloten Kurt Heilbronn, wie sie im Jahr 2008 in ihrer Autobiografie „Meine Befreiung“ enthüllt: Es begann jene leidenschaftliche, Jahrzehnte währende Liaison, die sie später im Roman dem bretonischen Fischer Gauvain auf den Leib schrieb. „Jedes Mal, wenn wir uns wiedersahen, war es, als seien wir wieder jung, wie 18-Jährige“, erklärte sie einmal im Interview mit einer Frauenzeitschrift die Magie des Moments.

Wurzeln kappen, um sich selbst zu finden

Groult kappte mit dieser Affäre ihre bürgerlichen Wurzeln und fand schließlich ein ganz eigenes, auf seine Art stabiles Glück. 1951 heiratete sie in dritter Ehe den Schriftsteller Paul Guimard, einen Linksintellektuellen und Vertrauten François Mitterands. Zwei Töchter brachte sie mit in die Ehe und bekam mit ihm eine weitere. Das Paar lebte bis zu Guimards Tod 2004 zusammen, im Ideal einer offenen Beziehung. „Freiheit, Gleichheit, Treue“ ließen sie sich in ihre Eheringe gravieren.

Warum wird ein Buch zum Bestseller? Groult hatte schon vor „Salz auf unserer Haut“ einige Romane veröffentlicht. Erst dieser aber geriet in die Schlagzeilen, nicht zuletzt wegen seiner freizügigen Körperlichkeit. Nun liegt es in der Natur des Skandals, dass er im Rückblick schrumpft. In Zeiten von Dating-Apps wie Tinder erscheint der Umstand, dass es der Ich-Erzählerin George im Roman „nur“ um gelegentlichen Sex und nicht etwa um die große, ewige Liebe geht, keiner Rede mehr wert; im Vergleich zu den tabulosen Streitschriften der Gegenwart („Feuchtgebiete“) mutet es geradezu niedlich an, wenn Groult etwa die primären weiblichen Geschlechtsorgane „Aprikose“ nennt. Und als potenziell ekliger Aufreger in Erinnerung bleiben heutigen Leserinnen wohl vor allem Gauvains schlecht sitzende Anzüge (die George ihm dankenswerterweise alsbald vom Leib reißt) und die viele Pomade in seinem Haar.

Damals aber, 1988, brach Groult gleich mehrere Tabus: Der bretonische Fischer war (übrigens ebenso wie der echte Pilot) ungebildet, seiner jungen Geliebten intellektuell weit unterlegen, und es war sie, die keine Beziehung wünschte – sondern Begegnungen in aller Freiheit. Kurz: George lebte diese Affäre wie ein Mann, oder wie das, was man damals für männlich hielt. Ihre Geschichte machte Groult über Frankreich hinaus bekannt, allein in Deutschland wurde das Buch über drei Millionen Mal verkauft.

Auch Groults Feminismus beruhte auf eigenen Erfahrungen

Der Roman verstellt aber zugleich, und das ist ein wenig tragisch, bis heute den Blick auf Groults feministisch motiviertes Gesamtwerk. In Essays und Schriften äußerte sie sich schon früh zu Themen wie Beschneidung, dem Recht auf Abtreibung, weiblicher Selbstbestimmung. In ihrer Heimat war sie in den 90er-Jahren eine der Ersten, die junge Frauen davor warnte, die Errungenschaften des Feminismus für selbstverständlich zu halten: „Der Feminismus ist etwas Schönes. Wir haben niemanden getötet. Wir haben uns in Europa alle Freiheiten erkämpft – ohne Kriege zu führen.“ Diese unblutige Revolution sah sie als ihr Erbe.

Wie sehr Groults Weltsicht auf eigenen Erfahrungen beruhte, legte sie in ihrer Autobiografie dar. Dort schildert sie, was es für eine Frau in den 50er-Jahren hieß, zugleich Mutter und berufstätig zu sein – in einer Zeit vor Wegwerfwindeln und Fertignahrung. Ihre Grundanforderungen ans gleichberechtigte Sein formuliert Groult denn auch so salopp wie weise: „Frauen brauchen eigenes Geld, flache Schuhe, Kinderkrippen und mehr Liebe, als ein einziger Mann bieten kann.“