Müssen alle Bücher gleich aussehen? Besteht das Buch gegen das Internet? Welche Fehler machen Verlage und Handel? Rainer Groothuis schont die Branche nicht. Aber sein Fazit macht Hoffnung: “Das Erlebnis Lesen bleibt an das Buch aus Papier geknüpft.“

"Ich mache Bücher so, dass man sie haben will", sagt Rainer Groothuis. Seine Agentur in Altona hat sich mit der Gestaltung und Vermarktung von Büchern profiliert. Groothuis gilt aber auch als profunder Kritiker der Branche. Ein Gespräch über Gefahren und Chancen für das Medium Buch.

Journal: Was haben wir 550 Jahre nach Gutenberg noch vom Buch zu erwarten?

Rainer Groothuis: Wie seit 550 Jahren - alles. Es ist wie mit dem Rad: Nur Deppen versuchen, es immer wieder neu zu erfinden, statt damit zu reisen. So ist auch das Medium Buch in seiner Grundform perfekt. Und wie uns jene Unternehmen jenseits des Buchmarktes berichten, die uns mit Büchern für ihre Kunden beauftragen, ist die Anziehungskraft des Buches ungebrochen. Man muss unterscheiden zwischen dem Medium und seinem Platz in der Gesellschaft sowie der Vermarktung des Buches auf seinem traditionellen Marktplatz, der Buchbranche. Da könnte manches anders sein.

Sie meinen die Verlage?

Ja, zunächst. In so manchem Verlag wusste ja bis in die 90er-Jahre kaum jemand, wie man die Worte Rendite, Bilanz und Marketing schreibt. Nach jahrzehntelangem Wedeln mit dem Kultur-Weihrauch wurde schließlich entdeckt, dass auch Geld verdient werden muss. Seitdem haben wir die Gegenbewegung, sehr vereinfacht gesagt: den Sieg der Controller mit dem Blick auf die nächste Bilanz. Dieser Blick verkürzt die Perspektive und hat wenig Fantasie, wie es hinter dem Horizont weitergehen könnte.

Doch die gern gepflegte Befürchtung, dass es durch die Verlags-Konzentrationen zu einer unsere Kultur erschütternden Nivellierung von Inhalten und Qualitäten kommen muss, hat sich nicht bestätigt.

Was könnten Verlage anders machen?

Beispielsweise die Programme entzerren. Die generelle Vorgehensweise der meisten Verlage hat sich nicht geändert: Zweimal im Jahr erscheinen ihre neuen Programme - alle auf einmal überschütten sie die Medien, den Buchhandel, das Publikum. Dieser Wahrnehmungsstau überfordert alle.

Und es gibt keine erkennbaren Verlagsprofile mehr, die Verlage atomisieren ihre Programme in lauter Einzeltitel. Märkte aber, die als unübersichtlich und überfordernd gelten, sind für Menschen auf Dauer wenig attraktiv. Und dann noch mehr Vielfalt, bitte. Wenn Sie zu einem Autohändler gehen und ein neues Auto kaufen wollen, fragt der: "Wie darf's denn sein?" Beim Buch gibt es aber eine im Grundsatz ewig gleiche Vermarktungskette: erst das Hardcover, dann das Taschenbuch und dazwischen die "Sonderausgabe", die zumeist nichts anderes ist als der preisreduzierte Restbestand der letzten Hardcover-Ausgabe. So undifferenziert ist kein anderer Markt. Warum gibt es nicht auch Bücher in mehreren Ausstattungen gleichzeitig?

Und der Buchhandel?

Der Buchhandel hat die Erkennungsmerkmale der Verlage nahezu aus den Läden verbannt. Die Bücher werden von zunehmenden Teilen des Publikums als ein überbordendes Angebot wahrgenommen. Kein Wunder, dass viele Leser verzweifeln: Ich finde nichts, ich finde mich nicht zurecht - sie fühlen sich ohnmächtig. Die große Mitte der Leser, die gelegentlich in einer Buchhandlung umherschlendert, findet kaum Orientierung. So wandert ein Teil der Umsätze ins Internet, die Online-Buchbestellungen haben jährlich zweistellige Zuwachsraten: schneller, bequemer und ohne Irritationen bestellt. Ich bin überzeugt, der Buchhandel macht außerdem einen Fehler, wenn er versucht, auf Mittelmaß und schnelle Massenware zu zielen - es ist immer die "Spitze", die die Märkte antreibt.

Woran liegt das?

"Spitze" hat immer etwas Eigenwilliges. Aber wir Deutschen lieben den Konsens, bis er schmerzt. Alle dürfen mitreden, unabhängig von Kompetenz, Bildung und Haltung - es lebe der in der Gruppe erzielte Konsens. So entsteht ein Mittelmaß aus Geschmäckereien und Befindlichkeiten.

Das gilt auch für die Verlage, in denen sich die Gruppen jener locker verdoppelt haben, die über die Umschläge entscheiden - wo früher drei, vier Leute diskutierten, plaudern heute gerne einmal 12, 13. So wird auch die Verantwortung geteilt und in "Gruppenprozessen" versteckt. Dabei ist jedes Buch die Visitenkarte eines Verlages, trägt zu seinem Profil bei - Profile ent-stehen aber nicht in Wohngemeinschaften. Trügt der Eindruck, dass viele Titelgestaltungen immer romantischer und ähnlicher werden - mit schönen Frauen und weiten Landschaften?

Je kälter und unüberschaubarer die ökonomisierte Welt wird, um so größer wird die Sehnsucht nach Romantik und Poesie. Und die Verlage reagieren auf diese Strömungen, ob bewusst oder unbewusst. Wenn sich viele Novitäten verschiedener Verlage auf einem Tisch tummeln, wirkt das Angebot schnell undifferenziert. Die subjektive Wahrnehmung ist: Die sind fast alle gleich.

Was ist überhaupt ein "schönes Buch"?

Zunächst, ganz einfach: der Inhalt, der Sie berühren muss. Die Bedeutung, die der Umschlag-Vorderseite beigemessen wird, ist überhöht. Schon wenn Sie das Buch umdrehen, haben Sie die Vorderseite vergessen. Und dann geht es weiter: Erzählt der Klappentext oder plappert er? Liegt das Buch gut oder eher unangenehm in der Hand? Spricht die Innengestaltung zu Ihnen oder schmeckt sie wie der Zwieback von gestern? Die Kette, an deren Ende die Kaufentscheidung steht, hat viele Glieder. Wenn sie irgendwo reißt, legt man das Buch wieder weg. Die Buchvorderseite ist nur der erste spontan-subjektive Anreiz. Ein schönes Buch ist die ideale Kombination aus Inhalt und Form. Seine gesamte Gestaltung dient, sagen wir es so: dem Flug der Gedanken des Autors in den Kopf und das Herz des Lesers.

Können Sie aktuelle Beispiele nennen?

Manche. Es ist ja beileibe nicht so, dass es keine tollen Bücher gäbe. Nennen wir die schöne Werkausgabe der Neuübersetzungen von Truman Capote bei Kain und Aber.

Hat das Buch wirklich eine Zukunft?

Natürlich. Die "Hysterie" um die Zukunftsfähigkeit des Buches ist ähnlich der, die es wohl schon bei der Einführung von Kino, Radio und Fernsehen gab. Auch wenn das Hermann-Hesse-Zitat "Das Buch ist das Gedächtnis der Menschheit" nicht mehr stimmt - das Gedächtnis der Menschheit wird digital. Die Rolle des Buches als Wissensträger hat sich verändert. Vieles, das mit Aktualität, kurzfristiger Verfügbarkeit und kleiner Zielgruppe zu tun hat, wandert in digitale Träger.

Mit allem anderen aber, vom Kinderbuch bis zur großen Belletristik, werden noch Generationen alt werden - denn das "Erlebnis Lesen" bleibt an das Buch aus Papier geknüpft. Menschen wollen "fassen" können. Warum sonst bringt ein Internet-Unternehmen wie Ebay ein Magazin auf Papier heraus? Da lauert auch das Buch auf neue Leser, in dieser Verknüpfung aus guten Geschichten mit einem taktilen Erlebnis und der individuellen Entschleunigung der Zeit.

Im Mittelpunkt der "Faszination Buch" steht die Faszination der Literatur - ein Leben ohne Literatur ist ein ärmeres. Da fordert uns auch eine gesellschaftliche Aufgabe: Wenn wir nicht noch mehr Kulturverarmte und Psychopathen erzeugen wollen, müssen wir Kindern den Zugang zum Buch ermöglichen. Auch deswegen unterstützen wir etwa das Kinderbuchhaus.

Übrigens, Herr Groothuis, was haben Sie selbst zuletzt gelesen?

Den "Nachtschatten" von Lars Saabye Christensen, Literatur aus Norwegen, sehr schwarz. Außerdem: die erwähnten Neuübersetzungen von Truman Capote und Manuskripte der Berlin University Press.

Rainer Groothuis' Standardwerk " Wie kommen die Bücher auf die Erde " erscheint in neuer, komplett überarbeiteter Auflage bei DuMont, gebunden, 168 S., viele Abb., 19,90 Euro.

Info: www.kinderbuchhaus.de