"Es gibt drei Regeln, wie ein Roman zu schreiben ist. Unglücklicherweise weiß niemand, welche dies sind."

W. SOMERSET MAUGHAM

Etwa 300 lesenswerte Bücher produzieren die deutschen Verlage pro Jahr", weiß der Chef des Münchner Hanser-Verlages, Michael Krüger. Sein Lektor Wolfgang Matz findet: "Es gibt höchstens zwei Dutzend gute deutschsprachige Bücher pro Saison." Und das bei immerhin 9000 bis 10000 belletristischen Neuerscheinungen, die jährlich in Deutschland herauskommen. In mehr als 350 Verlagen. Da heißt es für die Leser auswählen.

Doch noch weitaus früher müssen die Verlage auswählen. Was kommt ins Programm, was nicht? Nun leben zwar beinahe alle Verlage von ihren anerkannten Autoren, doch sie alle wollen auch bisher Unentdecktes präsentieren. Haupt- und nebenberufliche Autoren, die stets nachliefern, gibt es genug. Allein die Künstlersozialkasse listet 25 Prozent ihrer rund 152000 Mitglieder als "Wortkünstler" auf. Nicht gerechnet all die unerfassten Hobbyautoren, die Bücher schreiben. Günther Berg, Leiter des Hamburger Verlages Hoffmann & Campe, behauptet: "Schreiben ist zu einer Art Freizeit- und Volksbetätigung geworden."

Drei bis fünf unverlangt eingesandte Manuskripte erreichen einen großen Publikumsverlag täglich. "Sehr, sehr viele sind es", heißt es dazu bei Kiepenheuer & Witsch, der Fischer-Verlag erhält "4000 bis 5000 jährlich" und Diogenes "zwischen 3000 und 6000". Beim Oetinger-Verlag, der jährlich rund 300 Kinderbücher veröffentlicht, gehen in dieser Zeit 3000 unverlangt eingesandte Manuskripte ein. Wer soll das alles sichten, lesen? Zumal kaum ein Verlag mehr als fünf Lektoren beschäftigt. "Wir schauen alles an", heißt es beinahe unisono, "aber ins Programm kommt davon so gut wie nie etwas."

"Alle paar Jahre drucken wir mal ein Buch, das unverlangt eingesandt worden ist", heißt es aus vielen Verlagen. Wer schreiben kann, so die Erfahrung der "Buchmacher", ist eben irgendwo oder irgendjemandem in der Branche schon einmal aufgefallen. Völlige Neulinge, die bisher keinen Kontakt zu Kollegen aus dem Verlagswesen hatten und die trotzdem schriftstellerisch begabt sind, gibt es so gut wie nie. "Wenn nur all die Leute, die Gedichte und Romane schreiben, genauso viele Gedichte und Romane kaufen würden", heißt ein oft zitierter Spruch aus der Buchbranche. Denn als Autor versuchen sich viele.

"Die Strahlkraft des Buches ist nach wie vor ungebrochen", sagt Lektorin Birgit Schmitz vom Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch, einem Verlag, der einen Großteil seines Erfolges auch Erstlingswerken verdankt. Frank Schätzings "Der Schwarm" zählt ebenso dazu wie Benjamin Leberts "Crazy", Nick Hornbys "High Fidelity" oder Benjamin von Stuckrad-Barres "Soloalbum". Natürlich kann ein Erstling nur ein Erfolg werden, wenn das Buch gut ist. Als Beispiele für schlechten Stil werden immer wieder genannt: Trivialität nach dem Muster "Die Sonne sandte ihre warmen Strahlen aus", holprige Sprache, Figuren, die nicht leben, Klischees, Banalitäten.

Wie aber finden neue Autoren, die an ihre Begabung glauben, den passenden Verlag für ein Manuskript? "Zuallererst sollten sich Autoren überlegen, in welches Verlagsprogramm ihr Buch passt", sagt Ruth Geiger vom Zürcher Diogenes-Verlag. "Unendlich viele Menschen schicken ihr Manuskript völlig wahllos weg. Historische Romane an Verlage, die hauptsächlich Krimis herausbringen, Liebesgeschichten an Sachbuchverlage. Natürlich sehen die Lektoren dann sofort, dass das nicht ins Programm passt."

Bei den Verlagen kommen Manuskripte mit Begleitschreiben, wie: "Als ich vor zwei Jahren an der Übersetzung der deutschen Richtlinien für die Errichtung von Parkhäusern und Rastplätzen arbeitete, fing ich an, nebenher selbst Texte zu schreiben." Da erübrigt sich dann auch das Lesen des Werkes.

Beim Schweizer Diogenes Verlag ist es in 20 Jahren zweimal vorgekommen, dass ein unverlangt eingesandtes Manuskript ein Erfolg wurde: Erich Hackls "Auroras Anlass" und Ingrid Nolls "Der Hahn ist tot". Was muss eigentlich passieren, damit ein Romandebüt überhaupt die Chance zum Erfolg bekommt? Wie kann jemand, der seinen ersten Roman geschrieben hat, diesen in einem guten Verlag unterbringen? Allein dieser Frage widmen sich dutzende Ratgeber mit Titeln wie "Vom Schreiben leben", "Marketing für Autoren" oder dem beliebten "Handbuch für Autoren". Und geben damit natürlich wieder neuen Autoren Arbeit. Schreiben erscheint vielen so leicht, weil es ja nicht wirklich etwas kostet, keine Filmausrüstung, keine Ölfarben oder jahrelanges Üben auf einem Instrument sind nötig. Deshalb probieren es so viele. Den Verlagen obliegt dann die gnadenlose Auslese.

"Auch Bernhard Schlink, Daniel Kehlmann und Patrick Süskind haben mit ihren Erstlingswerken große Erfolge feiern können", sagt Ruth Geiger von Diogenes, doch sie alle waren bereits branchenintern auf Interesse gestoßen. Auch Autoren wie Donna Leon, Martin Suter oder John Irving haben gezeigt, dass das erste Buch toll und ein Riesenerfolg sein kann. Im vergangenen Jahr erst haben in den USA und in Folge dann auch bei uns Marisha Pessl mit ihrem virtuos, geistreich und elegant geschrieben Erstling "Die alltägliche Physik des Unglücks" sowie J.R. Moehringer mit seinem Debut "Tender Bar" bewiesen, wie man praktisch aus dem Stand literarischen Erfolg haben kann. Einen der erstaunlichsten Erstlingserfolge liefert seit diesem Jahr die Hausfrau Andrea Maria Schenkel mit "Tannöd", der ganz vorne auf den Bestsellerlisten steht und sich inzwischen 300000-mal verkauft hat.

Sechsstellige Verkaufszahlen sind wie ein Lottogewinn

Solche Verkaufszahlen versprechen natürlich finanziell angenehme Einkünfte. Zehn bis zwölf, maximal 15 Prozent vom Verkaufspreis gehen in der Regel an die Autoren. Aber es gibt nur sehr wenige Autoren in Deutschland, die vom Schreiben leben können. Selbst für diejenigen, die es mit ihren Büchern in attraktive Verlage geschafft haben, sind Auflagenzahlen von wenigen Hundert Stück bis zu 10000 nicht selten. Ab 30000 verkauften Exemplaren kann man vorsichtig von einem Bestseller sprechen. Sechstellige Verkaufszahlen sind zumindest im Bereich Belletristik selten wie ein Lottogewinn.

Pro Saison veröffentlichen die größeren deutschen Verlage zwischen zwölf und 25 belletristische Titel. Dazu zählen die neuen Werke von Autoren, die bereits an den Verlag gebunden sind, Romane und Erzählungen, die durch Literaturagenturen, Empfehlungen befreundeter Kollegen aus der Branche oder Werke, die durch Literaturpreise aufgefallen sind. Etwa die Hälfte der deutschsprachigen Literatur wird inzwischen über Agenten an Verlage vermittelt. Die bekommen gewöhnlich zehn bis 15 Prozent vom Honorar. Viele der Agenten nehmen unverlangt eingesandte Manuskripte gar nicht erst an. Sie suchen sich ihre Autoren bei Wettbewerben oder durch veröffentlichte Texte aus.

Wer denkt, er könne eben mal etwas aufschreiben, einem Verlag schicken, und dann werde es gedruckt, macht sich vollkommen unrealistische Vorstellungen vom Literaturbetrieb. Die Zahl der produzierten Bücher ist in den letzten 15 Jahren um 43 Prozent gestiegen. Sorgten sich Lektoren früher vor allem um die literarische Qualität, müssen sie heute Umsatz- und Verkaufsquoten berechnen. Büchernarren, die am liebsten mit viel Zeit und Liebe Manuskripte betreuen würden, müssen heute zu Produktmanagern werden.

Am 10. Oktober beginnt die Frankfurter Buchmesse, der größte Marktplatz für den Handel mit Rechten und Lizenzen in der Verlagsindustrie. Unter den mehr als 380000 dort präsentierten Titeln werden auch viele Erstlingswerke sein. Was ein Erfolg wird, bestimmt der Markt. Und manchmal auch das Marketing.