Gesprochen hat er ihn nie, gekannt aber wohl. Bis heute erinnert er sich an seinen Geruch. Und irgendwie ist Marek Erhardt auch ein wenig in die Fußstapfen seines Großvaters getreten. Heute kann der Enkel ihm doch noch etwas sagen. In einem Brief. Bei uns im Journal.

Es ist schon unglaublich. Am 20. Februar feierst Du Deinen 100. Geburtstag! Wow, 100.

Manchmal frage ich mich, ob Du diese Zeit noch gerne erlebt hättest. Ich denke nicht, denn ich hoffe, Du weißt schon, dass sich vieles verändert hat. Ja, ob Du es glaubst oder nicht, sehr viel!

Was sich allerdings bis heute nicht verändert hat, Du wirst es kaum glauben, dass die Menschen immer noch gerne über Dich lachen und Du für viele Menschen unvergessen bleibst. Ok, der Humor hat sich sehr verändert. Man benutzt jetzt andere Wörter, um Komik zu erzeugen, Menschen werden durch den Kakao gezogen oder häufig bloßgestellt. Wir sind allerdings auch politischer und mutiger geworden. Dinge, die Du nie getan hast. Du wolltest nur Freude verbreiten. Mittlerweile steckt die Welt wieder in einer Finanz- und Wirtschaftskrise, also eigentlich genau die gleiche Zeit, in der Du begonnen hast, die Menschen glücklich zu machen. Die Vorzeichen sind sicherlich ein bisschen anders. Wiederaufbau haben wir nicht nötig und auch eine Währungsreform steht nicht unmittelbar bevor. Obwohl - wer weiß! Aber die Menschen haben wieder Angst. Angst vor der Zukunft, Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, Angst, im nächsten Monat ihre Miete nicht bezahlen zu können. Und genau in diesen Situationen brauchen die Menschen Deinen Humor und Deine Unterhaltung. Ich weiß, dass es genau das ist, was Dir die Generation von "gestern" nie vergessen hat. Du hast ihnen immer ein Lächeln geschenkt, hast sie mitgenommen, hast sie ihre Angst vergessen lassen. Und da der Mensch an sich gerne beim Vertrauten bleibt, hast Du es geschafft, nach Deinem Tod 1979 in den Köpfen und Bäuchen der Menschen zu bleiben.

Viele deiner heutigen Kollegen erzählen und reden noch heute von Dir! Bewundern Dich! Vielen ist aber, glaube ich, auch Dein damaliger Humor suspekt. Wie kann man um Himmels willen durch einfaches Wortspiel Komik erzeugen? Wieso reichte auch häufig nur das Aussehen? Oder waren es sogar Deine augenscheinliche Bescheidenheit und Deine Demut vor diesem Beruf?

Nein, Du warst ein künstlerisches Genie! Entschuldige, aber ich darf so etwas über Dich sagen, obwohl Du es nie hättest hören wollen. Du warst ein harter, aber sehr zerbrechlicher Arbeiter, der sich immer wieder in einer gewissen Form in die Melancholie verlor. Aber jedes Mal kamst du zurück. Gestärkt und noch besser.

Wie war Dein Leben eigentlich? Warst Du glücklich? Du hast mir nie etwas erzählen können. Dein Zuhause in Wellingsbüttel mitsamt Deiner Familie waren Dein Rückhalt, Dein Rückzugsort! Sie gaben Dir in beschwerlichen Zeiten Kraft und den Humor, den auch Du das eine oder andere Mal sicherlich verloren hast. Ohne diese Kraft warst Du, so wurde es mir häufig erzählt (sorry, ich bin einer der Jüngsten aus der Familie), kraftlos. Und doch hast Du, alter Perfektionist, es immer wieder geschafft aufrecht und gestärkt die Leute zu unterhalten.

Du warst kein Perfektionist? Doch mein Lieber, Du hast so lange und hart gearbeitet, bis alles perfekt war! Was ist eigentlich perfekt? Egal, Du warst es einfach, jedenfalls für mich. Hey, Du warst mein Großvater! Trotzdem hast Du von Deiner Familie nicht immer so viel mitbekommen, denn Du warst immer beschäftigt, viel auf Reisen! Verständlich, Du wolltest den Menschen ein Lächeln schenken. Ist das Lächeln bei der Familie vielleicht ein bisschen zu kurz gekommen? Wer weiß das schon! Wir alle hätten uns ein paar Jahre mehr mit Dir gewünscht, einfach Zeit. Ohne Arbeit.

Doch dann kam Deine schreckliche Krankheit. Eine Krankheit, die Dir den Boden unter Füßen wegzog. Ein Mann, der von Sprache, Bewegung und Gestik lebte, verlor alles in einer Nacht. Leider durfte ich Dich nur so kennenlernen. Leider konnte ich nie mit Dir zu unserem geliebten HSV gehen. Leider konnte ich nie mit Dir reden. Wobei - sei froh, mit drei war mein Wortschatz noch nicht besonders groß. Heute allerdings könnte ich mit Dir reden. Und wie! Du bist aber nicht da, so muss ich Dir dann eben schreiben.

Ich hätte Dich so gerne gefragt, ob alles stimmt, was mir über Dich erzählt wurde. Ich hätte so gerne gespürt, ob Du auch privat dieser liebevolle Vater und Großvater warst, den Du in Deinen Filmen verkörpert hast. Leider konntest Du mir das nie beantworten, geschweige denn zeigen. Das ist, glaube ich, auch der Grund, warum ich bis heute so ungern über Dich rede. Ich kann einfach nichts erzählen! Und immer nur das weiterzutragen, was man selber nicht erleben durfte, ist langweilig und unbefriedigend. Ich hoffe, Du verzeihst mir das, denn das hat nichts mit meiner Liebe zu Dir zu tun. Irgendwann erzähle ich Dir mal, wie es mir geht. Aber das machen wir zwei dann alleine!

Übrigens, ich weiß bis heute noch, wie Du riechst! So ist mir jedenfalls etwas geblieben, außer Deinen Werken und Filmen!

Herzlichen Glückwunsch, Gropi (Abkürzung für Großpapi) zum Geburtstag! Du bist und bleibst unvergessen. In 61 Jahren werde ich 100 Jahre alt, schreibst Du mir dann mal?

Dein Marek