Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute Sabrina Ascacibar, Schauspielerin und Sängerin.

Ach diese Sehnsucht! Nach Fremde und Ferne. Dem Geruch von Aufbruch und Abenteuer. Sie kann sich schon ins Herz brennen. Zum Träumen verführen. Zum Schiffen-hinterher-gucken, zum wehmütige Lieder singen. Oder zu allem auf einmal. Wie bei Sabrina Ascacibar, Schauspielerin und Sängerin, in ihrem maritimen Soloprogramm "Ahoi!", das am 7. April im St.-Pauli-Theater Premiere hat.

Ein vertrauter Boden. Denn hier stand sie als Spelunken-Jenny in der Brecht’schen "Dreigroschenoper" und in Franz Wittenbrinks "Mütter" und "Lust" auf der Bühne. Und jetzt also mit diesem selbst produzierten Abend voller neuer und bekannter Texte. Musikalisch untermalt von Maik Schott und Sönke Rust. Mit Walzerklängen, Ragtime und argentinischem Tango ein verheißungsvolles Versprechen, so wie Sabrina Ascacibar sich diesen Tanz auf der Zunge zergehen lässt. Und der Titel des Abends erst. Was für ein Wort, dieses Ahoi , sagt sie. Unten am Elbstrand. Diese Kraft darin. Ahoi es geht hinaus! Was ist denn da alles, was wartet da. Die chinesische Geliebte zum Beispiel, die auf einen Kapitän wartet. Aber er kommt nicht. Der Matrose, der in jedem Hafen die Frau sucht, deren Namen er eintätowiert auf seiner Brust trägt. Der Zwerg, der die Königin liebt und sie ins Meer . . .

Sabrina Ascacibar, schmal, dunkelhaarig, mit flammendem Blick und schnellen Gesten, sprudelt das alles nur so heraus. Atemlos. Als wenn sie den trüben Himmel und ihre eigene Befangenheit wegreden will. Sabrina "Askassibar", ja, das sagen Sie schon ganz gut. Und dann die Schiffe, sagt sie, die hier vorbeifahren. Die Verbindung zur großen Welt. Man sticht in See, ins Leben. Das ist wie eine Metapher. Man sticht ins Ungewisse. Ohne zu wissen, was man will. Man will nur weg. Aufbrechen zu neuen Ufern.

Wie sie selbst immer wieder. Wegtauchen, wenn der Himmel hier zu grau wird. Zurück nach Buenos Aires, wo sie aufgewachsen ist. Wieder eintauchen in dieses Gefühl von Nähe und Wärme, das da leichter entsteht als hier. Oder damals als Achtzehnjährige. Dieses jahrelange Hin und Her. "Immer zick zack, bumm bumm bumm." New York, Spanien, Buenos Aires, Frankreich, Deutschland. "Ich kam nicht zur Ruhe. Wusste nicht, wo ich hingehöre."

Das ist jetzt vorbei. Heute gibt es den in Miami geborenen Lucas, ihren siebeneinhalbjährigen Sohn, der hier zur Schule geht und ihr immer Schiffe aus Papier bastelt. Wie das daumennagelgroße unter der gläsernen Tischplatte in ihrer Wohnung mit Elbblick. Im Haus ihrer Tante, "sonst könnte ich das gar nicht bezahlen", aus einer Kapitänsfamilie. Die Schwester ihrer Mutter. Eine Wahnsinnsfamilie. Verstreut über die ganze Welt. Die spanische nach Argentinien ausgewandert, die deutsche nach Südafrika und Chile und die . . .

Das geht jetzt wirklich zu schnell. Erst noch mal lieber Lucas und die Papierschiffe. Der Anstoß für die Entstehung ihres Soloprogramms. Im letzten Sommer, als sie gerade in so einem Loch steckte. Neue Aufträge nicht recht in Sicht waren. Und sie etwas Eigenes auf die Beine stellen wollte. Mit vollem Risiko. Finanziell und überhaupt. Als sie zu Franz Wittenbrink ging mit ihrer Idee. Dem Regisseur und Freund zugleich. Und der sagte: Ja, mach das.

Gucken Sie schnell, sagt Sabrina Ascacibar plötzlich und springt auf, da fährt ein Schiff vorbei! "Courage" heißt das auch noch. Wenn das kein Zeichen ist. Das muss doch gut gehen. Dieser Sprung ins kalte Wasser. Sie tanze immer auf dem Seil. Das grenze an Leichtsinn, aber sie habe es bisher immer geschafft. Und dieses Projekt, das liege ihr sehr am Herzen. Sie macht eine kurze Pause. Zum Atemholen und mal am Strohhalm ziehen. Mate-Tee aus einem Keramikbecher.

Ein guter Zeitpunkt, um von vorn anzufangen. Mit dieser Geschichte eines verrückten bewegten Lebens auf mehreren Kontinenten, das sie für immer geprägt hat. Hier in Blankenese, mit dem Blick auf die Elbe und die Schiffe, sei sie zum ersten Mal zur Ruhe gekommen. Vor allem wegen Lucas, der plötzliche Aufbrüche einfach nicht verkraften könne. Zeit brauche, um sich auf eine Reise und Programmänderungen einzustellen. Ganz anders als sie in ihrer Kindheit. Als der Vater in Dakar im Senegal die argentinische Fluglinie aufbaut, weil alle Flüge aus Europa nach Südamerika dort zum Auftanken zwischenlanden müssen. Und das filmreife Zusammentreffen ihrer Eltern: Die Mutter, die dort bei der Lufthansa arbeitet, am Strand spazieren geht, auf einen Seeigel tritt und auf diesen schönen Mann trifft, der ihr hilft die Stacheln herauszuziehen.

Was für ein Paar, sagt sie. Die Mutter wunderschön, der Vater wahnsinnig gut aussehend. "Sean Connery und Raquel Welch." Smart, super eloquent und chic. Immer der ganz große Auftritt. Die Mutter barfuß mit Nelkenblüten zwischen den Zehen. Eine Diva eben. Und nicht ganz einfach für die Tochter? Nein, sagt sie und lacht. Ein kehlig aufsteigendes Lachen, das sich in heiteren Höhen entlädt. Schön und schwierig zugleich für die einzige Tochter sei das gewesen. Als Älteste, die sich verantwortlich fühlt für die Jungs, die heute über die ganze Welt verstreut sind: Diego in Miami, Patricio in Spanien, Felipe in Berlin, Agustin in Buenos Aires und der Halbbruder Ricardo, ja, wo nur noch? Diese große Sehnsucht nach den Geschwistern. Die könne ein Telefon und das Internet gar nicht stillen. Überhaupt diese Sehnsucht. Von Generationen von Kapitänen und Auswanderern ins Blut gepflanzt. Vom Vater, der die Welt umsegelt hat, von einer Kindheit, in der die weite Welt dank der vielen Freiflüge auf ein überschaubares Maß zusammenschrumpfte.

Sabrina Ascacibar ist der absolute Gegenpart einer Diva. Verhalten schüchtern, völlig ungeschminkt und, nein, in den Spiegel gucke sie auch nicht, der trüge nur. Sie lebe sich auf der Bühne aus, sagt sie. "Da liebe ich das große Tamtam." Da würde sie sich öffnen. Und wenn dann alles zusammenginge, stimmig sei, dann sei sie eins mit dieser Welt um sich herum. Und die eingestanzte Unruhe würde wieder verschwinden.

Als Kind wollte sie eigentlich Politikerin werden, sagt sie. Wollte die Welt verändern. Sie sei schließlich in einer Diktatur groß geworden. Den Grundstein für die Schauspielkarriere legt dann eine der beiden Großmütter. Aus der urpreußischen Familie Lützow. Die den Kindern Balladen vorliest. Und Klassiker. Hier, sagt Sabrina Ascacibar. Der Mephisto, den kann ich noch heute. Dann spult sie es in einem Atemzug runter: "Ichbineinteilvonjenerkraft ..."

Diese Großmutter ist auch schuld an ihrem zweiten Vornamen. Nein, sagt sie, bloß nicht! Den dürfen Sie nicht mal schreiben. Urdeutsch, absolut nicht anmutig, altmodisch sei er. Einfach nur scheußlich. Und das bei Brüdern, die alle nach spanischen Königen benannt worden wären.

Was für ein grandioser Redefluss. Von einer so zarten Person. In vielen verschiedenen Tonlagen. Kindlich hoch bei heiteren Dingen. Tief und leidenschaftlich, wenn es ans Eingemachte geht. An dunkle Gefühle und Ängste. Existenzielle auch. Niederlagen, wenn man die Rolle nicht kriege, die man so gerne hätte. Oder diese drei überflüssigen Jahre einer unseligen Liebesbeziehung.

Aber aus all dem sei so viel Kraft zu schöpfen, sagt sie. Aus dieser Berg- und Talfahrt. Das sei wie ein Sog. Das brauche sie auch. Wie all dieses andere.

Und dann singt sie zum Abschied noch ein paar Takte. Von dem Schiff, das die große Liebe ist. Von der Fremde, die draußen wartet. Und von der Sehnsucht nach der Ferne . . .


Ahoi! gibt’s am 7. und 14. April im St.-Pauli-Theater, Spielbudenplatz 29/30. Karten zu 19,70 und 25,20 Euro im Abendblatt-Center, Tel. 30 30 98 98 und über die Ticket-Hotline: 47 11 06 66.