"Die Barre war eine Eisenstange, an der die Finger anfroren - und die Pirouetten drehten wir mit nackten Füßen auf eisigen Fußböden." So sah in den zertrümmerten deutschen Großstädten 1945 die Situation der Tänzer aus.

Trotzdem traten sie schon wenige Wochen nach Kriegsende wieder auf. Choreographen und Tänzer kehrten an ihre alten Bühnen zurück und versuchten einen Neuanfang.

Und da war sie wieder, die Spaltung. Hier Gret Palucca, Mary Wigman und Dore Hoyer, die Protagonistinnen des Modernen Tanzes, da Tatjana Gsovsky, die Fackelträgerin der klassischen Formensprache. Diese beiden Linien haben sich, wenn auch beeinflusst vom zeitlichen Wandel, bis heute erhalten.

In ihrem chronologisch angelegten Buch "Krokodil im Schwanensee" behalten Hedwig Müller, Ralf Stabel und Patricia Stöckemann noch eine weitere Zweiteilung im Auge: Sie stellen die in den östlichen und westlichen Besatzungszonen Deutschlands unterschiedlich verlaufenden Entwicklungen des Tanzes in einem Überblick dar, wie er erst nach der Wende möglich war, und setzen sie in Beziehung zur internationalen Tanzszene.

Die zahlreichen Fotos des Buches, das zur gleichnamigen Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste erschien, erzählen vom letzten Aufbäumen der Ausdruckstänzer, die von restaurativen Tendenzen in der Zeit des Wiederaufbaus ins Abseits gedrängt wurden. Sichtbar wird auch das Fortleben ihrer Ansätze im deutschen Tanz, wie ihn vor allem Pina Bausch weltweit verbreitet hat.

Wie stark selbst das klassische Vokabular Neues aus dem modernen Tanz gesogen hat, zeigt sich in der Broschüre "30 Jahre Hamburg Ballett John Neumeier". Die strengen, an der Vertikalen orientierten Formen sind durchmischt mit freieren Bewegungen, die allein das Lebensgefühl der Gegenwart wiederzugeben vermögen.

  • H. Müller, R. Stabel, P. Stöckemann: Krokodil im Schwanensee. Tanz in Deutschland seit 1945. Anabas Verlag, 286 S.; 34 Euro. 30 Jahre Hamburg Ballett John Neumeier, Hrg. Hamburg Ballett, 112 S.; 12 Euro. Erhältlich über www.hamburgballett.de oder im Opernshop vor den Vorstellungen.