Abi, Examen, Diplom? Dann erst mal in das Praktikums-Marathon. Eine ganze Generation zieht nach der Schule und der Uni Warte-Schleifen in Firmen, weil der Arbeitsmarkt die Berufsanwärter nicht aufnehmen kann. Was läuft schief? Hier kommen Praktikanten, Berufsberater und Arbeitsvermittler zu Wort.

Oft sind die jungen Kollegen schon alte Hasen. Sind längst vertraut mit den Einzelschicksalen im Großraumbüro, haben ihr Lieblingsessen in der Kantine, kennen die Telefonschaltungen, können den Toner im Kopierer wechseln und Teamergebnisse auf Flip Charts präsentieren. Außerdem nerven sie nicht mit ihrem Privatleben, berechnen keine Überstunden, sind billig, flexibel und dankbar. Denn: "Praktikantenjahre sind keine Herrenjahre".

Nichts wünschen sich Praktikanten sehnlicher als einen festen Job. Zumindest für ein paar Jahre, um endlich eigenes Geld zu verdienen. Für ein gebrauchtes Auto, eine größere Wohnung vielleicht. Aber es ist merkwürdig: Die Gesellschaft scheint sich daran zu gewöhnen, daß ganze Jahrgänge von Hochschulabsolventen heute monate- oder jahrelang Praktikanten bleiben, statt Berufseinsteiger zu werden. Schon Abiturienten richten auf "etliche Praktika" ein. Der Begriff "Generation Praktikum", den "Die Zeit" vor einem Jahr prägte, ist zum bekannten Schlagwort geworden.

Wie viele Praktikanten es in Deutschland gibt, weiß niemand so ganz genau. Die Bundesagentur für Arbeit zählt nur die sozialversicherungspflichtigen Praktika; danach gab es gerade mal zwischen 8000 und 11 000 Hochschulabsolventen pro Jahr, die zwischen 2000 und 2005 bei Praktika Löhne über Mini-Job-Niveau erhielten. Die Gesamtzahl beträgt ein Vielfaches. Im Jahr 2004 schlossen 230 900 Studenten ihr Studium erfolgreich ab - im Herbst 2004 waren bei der Bundesagentur für Arbeit fast 100 000 Akademiker ohne Berufserfahrung als Arbeitssuchende gemeldet.

Wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können und sich bei der Arbeitsagentur melden, tauchen sie in der Statistik unter dem Begriff EHS auf - Erwerbsfähige Hilfebedürftige. Im Dezember 2005 waren das in Hamburg 1163 Jungakademiker im Alter von 25 bis 34 Jahren. Im Februar 2005 waren es noch 712 gewesen. Gemessen an den Absolventenzahlen von 2003 hieße das: Jeder siebte Absolvent war Empfänger von Arbeitslosengeld II.

In Frankreich heißen die Geburtenjahrgänge der späten 70er und 80er Jahre "Generation precaire" - etwa: Generation heikel. Ihr Start ins Arbeitsleben ist prekär, zumindest wenn sie sich auf etwas anderes eingestellt hat. Gesucht wird der flexible Mensch. "Flexibilität, das braucht der Arbeitsmarkt", bestätigt Knut Böhrnsen, Sprecher der Hamburger Arbeitsagentur. Das kann bedeuten: 20 Stunden fest hier und ein Honorarvertrag dort. Oder nur Honorarverträge, von Projekt zu Projekt. Oder nur befristete Verträge, denn die sind "auf dem Vormarsch", sagt Bernhard Hohn von der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung. Knapp ein Drittel aller offenen Stellen 2005 hatten ein "angekündigtes Verfallsdatum".

Davon profitieren Zeitarbeitsunternehmen und Personalvermittler. Die Branche boomt. Im letzten Jahr erhöhte sich das Stellenangebot der Zeitarbeitsfirmen bei den Arbeitsagenturen um 48 Prozent im Vergleich zu 2004. Zwar ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt für Akademiker allgemein nicht schlecht - 2005 lag die Arbeitslosenrate für Akademiker bei 3,8 Prozent im Vergleich zu 11,1 ingesamt. Vor allem Ingenieure und Wirtschaftswissenschaftler haben gute Chancen. Aber Juristen, Bauingenieure, Architekten und auch Betriebswirtschaftler haben es schwer.

Es sei "manchmal erschreckend", erzählt Annedore Bröker, Vermittlerin der Arbeitsagentur in Hamburg. Zu ihr kämen Leute mit Lebensläufen, "so etwas habe ich vorher gar nicht gesehen": Das Profil sieht gut aus, die Leute sind gut ausgebildet, haben erste Erfahrungen gemacht, waren im Ausland - und finden trotzdem nichts. Bröker: "Da weiß ich auch nicht, woran es liegt." Viele machten den Fehler, "sich nur auf ausgeschriebene Stellen zu bewerben, wo sie dann in Konkurrenz zu hundert anderen gut Ausgebildeten stehen." Deshalb rate sie den Jungakademikern, von sich aus bei Firmen vorstellig zu werden - und sei es für ein Praktikum. Rene Tollkühn von der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Hamburg glaubt, "danach besteht in der Regel eine hohe Wahrscheinlichkeit auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung".

Aber der Einstieg ist schwieriger denn je. 2005 richteten sich nur 0,8 Prozent aller Stellenausschreibungen bundesweit an Berufseinsteiger (2000 waren es noch 3,7 Prozent). Da ist der Druck, irgendwo "unterzukommen", immens gestiegen. Und die Berichte von Praktikanten sprechen dafür, daß ein Teil der Unternehmen diese Situation ausnutzt. Das bestätigen die jüngst entstandenen Interessenvertretungen der Praktikanten. Auf den Homepages von Fairwork und der DGB-Jugendabteilung (www.studentsatwork.org) findet man Datenbanken mit Erfahrungsberichten von Praktikanten (siehe Interview Seite 4).

Statistiken dazu sind rar. Es gibt Erhebungen aus der Absolventenforschung, außerdem eine Studie der DGB-Jugend vom Februar, in der 89 Absolventen befragt wurden. Danach machen die meisten Jungakademiker ein oder zwei Praktika nach dem Studium. Immerhin mehr als ein Viertel gibt an, für Praktika keine Vergütung erhalten zu haben, bei den Vollzeitpraktikanten waren es sogar 40 Prozent.

In ihrem Buch "Die Lebenspraktikanten" beschreibt die Berliner Autorin Nikola Richter (Jahrgang 1976, diverse Praktika und Jobs), wie Dauerpraktikanten nach und nach ihre Ansprüche herunterschrauben. Besonders dann, wenn die Praktika kaum etwas abwerfen und die Eltern nicht mehr zahlen können oder wollen. Ein Vollzeit-Praktikant kann keinen Nebenjob durchhalten, um sich etwas dazuzuverdienen, und ist dann auf die Arbeitsagentur angewiesen. Fürs Selbstbewußtsein ist das schlecht - nach der Abhängigkeit von den Eltern folgt die von Hartz IV.

Gerade die Generation der späten 70er Jahre wird das Lebensniveau und den Wohlstand, den viele von ihren Eltern kennen, selbst nicht erreichen. Sie wuchsen in einer Zeit auf, als Vollbeschäftigung noch ein glaubwürdiges Wahlkampfargument war und Akademiker nur Taxi fuhren, um eine Wartezeit zu überbrücken. Sie waren gewöhnt, daß die Mutter oft zu Hause war, womöglich im Eigenheim, und daß es jedes Jahr eine Urlaubsreise gab. Für die erwachsenen Kinder ist ein Job, mit dem sie das finanzieren könnten, in ebenso weiter Ferne wie die Gründung einer eigenen Familie. Damals war nicht alles besser, aber damals schien sicher, was heute unsicher ist.

Das ist nicht von vornherein schlecht. Die Generation Praktikum muß sich nur als erste an neue Bedingungen gewöhnen. Und das tut sie auch: Jede und jeder kämpft für sich, um es später gemeinsam schön haben. Der Familienwunsch ist weit verbreitet, die Bereitschaft, über sich selbst hinauszublicken, ist groß. Bloß der Zeitpunkt muß stimmen.

Auf politische Hilfestellung müssen die Dauerpraktikanten vorerst noch verzichten. Die Regierung in Berlin hat im Koalitionsvertrag vereinbart, in Arbeitsverträgen solle künftig eine auf 24 Monate verlängerte "Wartezeit" möglich sein, in der gekündigt werden darf - aber wann und ob das zu mehr Einstellungen führt, ist fraglich. Auch eine flächendeckende Ganztagesbetreuung für Kinder, die jungen Eltern helfen würde, ist nicht in Sicht.

Es ist paradox: Gerade die Generation, die zum ersten Mal lernen muß, ohne berufliche Sicherheit zurechtzukommen, soll die Geburtenrate nach oben korrigieren. Außerdem soll sie durch Steuern und höhere Beiträge das in die Krise geratene Solidarsystem retten.

Die Hochschulabsolventen von heute werden aber die gesetzliche Rente auf jeden Fall nicht retten. Sie werden selbst weniger Rente bekommen als frühere Generationen. "Das Hauptproblem ist, daß Akademiker zu spät ins Berufsleben einsteigen und zu früh wieder aussteigen. Deswegen kann ihnen die gesetzliche Rentenversicherung keinen ausreichenden Schutz bieten", sagt Felix Loth, Rentenberater bei der Allianz.

Die Generation Praktikum bleibt vorerst auf sich allein gestellt.

Alle Texte und Interviews von: Tim E. Braun, Corinna Voß, Tina Peetz (Praktikanten) und Simon Kerbusk (Abiturient, freier Mitarbeiter)