Stewart O'Nans intensives Erzählen läßt Gefühle und Gedanken seiner Figuren zu denen des Lesers werden.

ine ganz stille und dabei sehr kraftvolle Erzählweise - dieser Stil ist charakteristisch für Stewart O'Nan. Für diesen eindringlichen Ton hat schon sein Erstling "Engel im Schnee" 1993 den William-Faulkner-Preis bekommen. Doch ist O'Nan keiner, der sich auf ein Genre festlegt. Immer wieder unternimmt er Ausflüge in andere literarische Gefilde, wie zum Beispiel mit Edem Erzählband "Die Armee der Superhelden" oder dem rasanten Roman "Speed Queen", der ungeschminkten Geschichte einer zum Tode Verurteilten.

Jetzt hat der 1961 in Pittsburgh geborene Autor mit seinem neusten Roman "Abschied von Chautauqua" etwas vorgelegt, was wohl als minimalistische Familiensaga bezeichnet werden kann: Jeden Sommer kommt die Familie Maxwell für eine Woche in ihrem Sommerhaus in Chautauqua zusammen. Und das schon über mehrere Generationen hinweg. Doch diesmal ist es anders, dieses Mal nehmen sie "Abschied von Chautauqua". Nachdem Henry Maxwell, das letzte Familienoberhaupt, verstorben ist, wird das Haus verkauft.

Binnen weniger Seiten hat O'Nan die neun Hauptcharaktere seines Romans markant umrissen. Im Verlauf der Geschichte malt er diese Umrisse immer präziser aus, gibt den Figuren mit Plänen für die Zukunft, mit Träumen und Bildern aus der Vergangenheit Tiefe, läßt sie plastisch werden. Und spannt das komplizierte Verhältnisgeflecht zwischen den Familienmitgliedern auf. Dabei führt der Autor seinen Leser ganz nahe an die Familie heran. Man meint, Lisas Gedanken zu denken, wenn sie das Verhalten ihrer Schwiegermutter Emily als penetrant, pingelig und herrschsüchtig empfindet. Im nächsten Moment nimmt der Leser aber Emilys Perspektive ein und fühlt ihre Verzweiflung über ihre Unterkühltheit nach.

Diese schnellen Perspektivwechsel sind es auch, die den Leser nicht nur die Mechanismen dieser Alltagshelden erkennen lassen, sondern ihm gleichzeitig die Verurteilung einer Person unmöglich machen. Während man diese Familie in den acht Tagen ihres Urlaubs erlebt, wächst man lesend in sie hinein, wird Teil eines jeden von ihnen, weil Stewart O'Nan es versteht, ihre Gefühle, Gedanken und Handlungen glasklar darzustellen. Der Leser begreift nicht nur, warum Sam seiner Cousine die geliebte Taschenuhr stehlen muß, er weiß es. Denn seinen Impuls, sie nehmen zu müssen, wird in dem Moment fast schon zum eigenen. O'Nan hat einen so intensiven Erzählstil, daß sogar das Fangen einer Fliege zu einer spannenden Situation gerät.

Stewart O'Nan: Abschied von Chautauqua. Rowohlt, 752 Seiten; 24,90 Euro.