Der junge spanische Autor Unai Elorriaga hat über die Wirren geschrieben, die Demenz auslösen kann. Sein Roman zeigt aber auch, daß der Alltag des Alterns große Träume und groteske Ideen birgt.

Lucas ist ein ziemlich schräger Vogel. Er führt Gespräche mit einer Motte namens Don Rodrigo, vertieft sich gern in Bergzeitschriften, denn er liebt die Achttausender, ganz besonders den Shisha Pangma. Brei allerdings mag er gar nicht. Überhaupt hat er einen ziemlich bizarren Blick auf die Welt, und nicht selten erweist er sich als ganz schön störrisch. Lucas wohnt zusammen mit seiner Schwester Maria und einem Straßenmusiker mit Namen Marcos. Er ist uralt, und er ist dement. Der Arzt im Krankenhaus bringt es auf einen schlichten Nenner: "Die Probleme sind in seinem Kopf."

Er ist die Titelfigur des Debütromans "Lucas oder Der Himmel über Nepal". Der Autor Unai Elorriaga, 1973 in Algorta-Getxo im Baskenland geboren, hat sich in seinem Roman auf die Mühsal des Alters und des Alterns eingelassen und beschreibt den allmählichen psychischen und physischen Verfall des alten Mannes. Eines Mannes, der, wie es Maria zusammenfaßt, zwei Köpfe hat, "den von jetzt und den von vor sechzig Jahren". Bei Lucas, zumindest in der Vorstellung seines Schöpfers, bedeutet das, daß er zwischen Gegenwart und Vergangenheit kaum zu unterscheiden vermag. In seinem kleinen Kosmos treten deshalb seine längst verstorbene Frau Rosa und sein toter Bruder Angel ebenso auf wie die Schulkameraden von einst.

Nach einem Krankenhausaufenthalt kehren Lucas und seine gleichfalls alte Schwester Maria in ihre gemeinsame Wohnung zurück. Als sie dort einen jungen Straßenmusiker antreffen, der sich während ihrer Abwesenheit in der vermeintlich leeren Wohnung einquartiert hat, scheint dies die beiden Alten nicht sonderlich zu überraschen, im Gegenteil: sie fordern ihn auf zu bleiben und das verwaiste Zimmer des verstorbenen Bruders Angel zu übernehmen. Ein reichlich seltsames Trio findet sich da zu einer Wohngemeinschaft zusammen. Mit ihren abstrusen Ideen, mit grotesken Einfällen und entlegenen Gedanken sorgen sie durchaus für Heiterkeit beim Leser. Gut möglich, daß Lucas von seinem Balkon aus mit staatsmännischer Geste kleine Reden hält, in denen es eigentlich um alles geht, "um die spanische Republik . . ., um Motten, um Freundschaft unter den Toten, um die Uhrwerke von Kuckucksuhren und um schwarze Insekten . . . und darum, wie oft ein Mensch am Shisha Pangma oder Annapurna ums Leben kommen kann".

Niemals gibt der Autor seine Figuren der Lächerlichkeit preis, er begegnet ihnen auf Augenhöhe: voller Wertschätzung und mit großem Verständnis. Und nur gelegentlich scheint ein Gefühl der Trauer über das unrühmliche Ende eines Lebens durch all die Absonderlichkeiten. Von den kleinen Katastrophen des Alltags macht er kaum Aufhebens, unaufgeregt benennt er die körperlichen Unpäßlichkeiten. Vielleicht wird sich nicht bei jedem Leser Mitgefühl einstellen. Bisweilen folgt man den Eskapaden ein wenig ungeduldig - als wäre es Realität.

Unai Elorriaga: Lucas oder Der Himmel über Nepal. Aus dem Spanischen von Karl A. Klewer. Schöffling & Co, 186 Seiten; 16,90 Euro.