Berlin. In den USA breitet sich die Corona-Variante HV.1 rasant aus. Auch bei uns nimmt ihr Anteil zu. So schätzen Mediziner die Lage ein.

  • Das RKI verzeichnet Fälle der Corona-Variante HV.1 in Deutschland
  • HV.1 soll laut Berichten andere Symptome mit sich bringen und „eine Art chronische Bronchitis“ auslösen
  • Ein Experte ordnet ein, wie gefährlich die Corona-Variante wirklich ist

In den vergangenen Tagen machten besorgniserregende Schlagzeilen die Runde: „Corona: Neue Mutation HV.1 greift die Bronchien an“ oder „Neue Corona-Variante kann chronische Bronchitis auslösen“. Zudem zu lesen: „HV.1 ist auf dem Vormarsch“. Letzteres lässt sich tatsächlich mit Zahlen belegen.

In Deutschland wird die Variante seit Mitte September im „Überblick über die zirkulierenden Sars-CoV-2-Sublinien“ des Robert Koch-Instituts (RKI) verzeichnet. Allerdings zu Beginn auch mit einem sehr geringen Anteil von etwas über einem Prozent. In den Folgewochen stieg der Anteil auch bei uns – mit Schwankungen – über die Zeit an und erreichte in der zweiten Novemberwoche mit etwas über zehn Prozent seinen ersten Höhepunkt.

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Danach sank der Anteil der sogenannten Virus-Rekombinante HV.1 hierzulande wieder etwas. Aktuell (KW 47) liegt er sogar bei 12,86 Prozent und hat damit BA.2.86.1 überholt. Die Omikron-Sublinie JN.1 dominiert mit gut 17 Prozent aber nach wie vor das Infektionsgeschehen. Schaue man sich die letzten zehn Wochen in Deutschland an, so sehe man jedoch sofort, dass es sich um einen sehr dynamischen Prozess mit ständiger Veränderung handele, ordnet Virologe Thomas Mertens ein.

Corona: Variante HV.1 dominiert Infektionswelle in den USA

In den USA dominiert der Corona-Subtyp HV.1 bereits das Infektionsgeschehen und breitet sich dort seit Ende Juli rasant aus. Er hat dort den zuvor dominierenden Subtyp EG.5 – auch bekannt als „Eris“ – abgelöst. Die Vizepräsidentin der American Medical Association (AMA), Andrea Garcia, mahnte daher zur genauen Beobachtung der Virusvariante.

Die Symptome von HV.1 scheinen denen anderer Corona-Varianten, insbesondere Omikron, zu ähneln. Ohne eine Laboranalyse ist eine genaue Zuordnung also kaum möglich. Klassische Krankheitszeichen sind wie bei den meisten Atemwegsinfekten:

  • laufende Nase
  • Niesen
  • Husten
  • Halsschmerzen
  • Kopfschmerzen
  • Muskel- und Gliederscherzen
  • Schüttelfrost
  • Erschöpfung
  • Fieber

Gegenüber dem US-Nachrichtenportal today.com erklärte William Schaffner, Infektiologe am Vanderbilt University Medical Center in Nashville, Tennessee, dass HV.1 „eine Art chronische Bronchitis“ auslösen könnte. Dies zeige sich durch anhaltenden Husten, der fortbestehe, auch nachdem andere Symptome bereits abgeklungen seien.

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Dieses Urteil teilt Bernd Salzberger, Infektiologe am Universitätsklinikum Regensburg und Past-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, nicht. „Die Daten, um zu beurteilen, ob diese Variante jetzt wirklich andere Verläufe verursacht, sind noch sehr, sehr dünn“, so seine Einschätzung.

„Im Augenblick wird alle paar Wochen mit ähnlichen Argumenten eine neue Variante durchs Dorf gejagt“, kritisiert Salzberger. Meist beruhten diese alarmierenden Einschätzungen aber auf der Beurteilung weniger Fälle. „Ich wäre sehr vorsichtig damit zu sagen, dass diese Variante einen anderen Verlauf hat als andere Virusvarianten“, so der Corona-Experte. Gedanken über neue Langzeitfolgen müsse man sich daher aktuell nicht machen.

Corona-Infektion: Atemwege samt Bronchien grundsätzlich betroffen

Dass Sars-CoV-2 die Atemwege einschließlich der Bronchien befalle, gelte grundsätzlich, ergänzt Infektiologe Christoph Spinner vom Universitätsklinikum rechts der Isar in München. „Das ist an sich nicht ungewöhnlich.“ Auch ob dieser Subtyp häufiger zu Komplikationen wie etwa Long- oder Post-Covid führe, sei derzeit noch nicht bekannt. Aber: „HV.1 scheint, nach allem, was bisher bekannt ist, nicht wesentlich infektiöser zu sein als andere Varianten“, so der Infektiologe.

Christoph Spinner ist Oberarzt für Infektiologie und Leiter der Stabsstelle Medizin & Strategie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München.
Christoph Spinner ist Oberarzt für Infektiologie und Leiter der Stabsstelle Medizin & Strategie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. © Klinikum rechts der Isar/TUM | Falk Heller

Virologe Thomas Mertens sieht mit Blick auf HV.1 keinen Grund zur Beunruhigung: „Zur genauen Beantwortung der Frage, inwieweit sich diese Variante hinsichtlich ihrer krank machenden Eigenschaften besonders verhält, bedarf es weiterer umfangreicher klinischer Untersuchungen“, so Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko) am RKI. „Derzeit besteht kein besonderer Alarm.“

„Die gute Nachricht ist, dass es derzeit grundsätzlich keine neue Variante gibt, die besonders krank machend ist oder die bestehende Basisimmunität vollständig umgehen kann“, betont er. „Vor allem, weil der Immunschutz durch die T-Zellen weiterhin sehr gut ist.“ Wichtig sei jedoch nach wie vor, das Auftreten neuer Virusvarianten frühzeitig zu erkennen und deren Verbreitung fortlaufend zu untersuchen.

Dabei müsse auch immer untersucht werden, ob sich die krank machenden Eigenschaften und die sogenannte Immunflucht neuer Varianten verändere, so der Experte. „Solange kein wirklich ‚neues‘ Virus auftritt, werden wir häufige Infektionen, aber – abhängig von den Impfquoten bei Risikopersonen – nur relativ wenige schwere Erkrankungen haben, die zum Beispiel eine stationäre Behandlung im Krankenhaus erfordern.“

Virologe Thomas Mertens vom Universitätsklinikum Ulm ist Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko).
Virologe Thomas Mertens vom Universitätsklinikum Ulm ist Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko). © Brigitte Mertens/KNA | Brigitte Mertens

Corona-Variante HV.1 und steigende Fallzahlen – Experte erinnert an Impfung

Auch aus Spinners Sicht besteht aktuell kein Grund zur Panik. Die aktuellen Berichte und insgesamt steigende Fallzahlen seien aber eine gute Erinnerung daran, dass vor allem chronisch Kranke und über 60-Jährige sowie Menschen in deren Umfeld an eine saisonale Auffrischungsimpfung denken sollten, so der Infektiologe.

Denn nicht nur der Anteil der Virus-Sublinie HV.1 nimmt zu. Auch insgesamt steigt die Zahl der Corona-Infektionen wieder. Dass das im Herbst und Winter passieren würde, war absehbar und wurde auch von Expertinnen und Experten genau so vorhergesagt. „Wie bei anderen Viren, die primär über die Atemwege verbreitet werden und primär solche Erkrankungen hervorrufen, gibt es dafür mehrere Gründe“, erklärt Virologe Thomas Mertens:

  • Menschen treffen sich mehr in Innenräumen
  • Die virusinaktivierende Sonneneinstrahlung ist jetzt draußen viel geringer
  • Auch Temperatur und Luftfeuchtigkeit haben sich im Vergleich zum Sommer verändert

All das beeinflusse die Epidemiologie dieser Erreger, so Mertens. Das Gute: Die Voraussetzungen, unter denen Sars-CoV-2 auf uns trifft, sind nun völlig andere als in den Jahren der Pandemie. „Die Sars-CoV-2 Virusvarianten sind seit Omikron weniger krank machend“, erklärt Mertens. „Und vor allem besteht jetzt in unserer Bevölkerung eine gute Basisimmunität durch Impfungen und bereits durchgemachte Infektionen.“