Berlin/Neubrandenburg. Die Droge „Blue Punisher“ hat in Neubrandenburg ein Kind getötet, Verdächtige wurden festgenommen. Jetzt äußern sich die Eltern.

  • Eine 13-Jährige stirbt nach Einnahme der Droge "Blue Punisher"
  • Mehrere Verdächtige werden festgenommen
  • Die Eltern des Kindes haben sich inzwischen deutlich geäußert

Bei der neubrandenburgischen Polizei herrschte vor einer Woche Ausnahmezustand. „Wir haben alle Register gezogen, das komplette Programm“, sagte Sprecherin Diana Krüger. „Wir sind überall dorthin gegangen, wo sich Kinder und Jugendliche tagsüber aufhalten, in Schulen, Jugendzentren, im Prinzip zu allen Trägern, die irgendetwas mit Jugendarbeit zu tun haben.“

Was ist geschehen? Es ist eine Tragödie, so oder so, aber ganz besonders, weil die Betroffenen noch Kinder sind. In einem Fall ist es nun zum Äußersten gekommen: Ein 13-jähriges Mädchen ist in Altentreptow bei Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern gestorben, nachdem es eine Ecstasy-Pille namens „Blue Punisher“ zu sich genommen hat.

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Mittlerweile hat die Polizei vier Verdächtige zwischen 16 und 37 Jahren festgenommen, ihnen werden „Drogenhandel und die Weitergabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige“ vorgeworfen, berichtete die Nachrichtenagentur AFP. Die Polizei durchsuchte auch die Wohnungen der mutmaßlichen Drogendealer und fand Rauschmittel, Bargeld und sogar Munition für einen Revolver.

Gegen den 37 Jahre alten Tatverdächtigen ist mittlerweile Haftbefehl erlassen worden. Das teilte das Amtsgericht Neubrandenburg am späten Dienstagnachmittag mit. Er soll in zwei Fällen Betäubungsmittel an Minderjährige abgegeben haben. Gegen einen 17-Jährigen sei mangels Haftgrundes kein Haftbefehl erlassen worden.

Ecstasy: Eltern der 13-Jährigen glauben nicht an freiwillige Einnahme

Die Eltern des gestorbenen 13-jährigen Mädchens glauben unterdessen nicht daran, dass ihre Tochter die Droge freiwillig genommen hat. „Definitiv hat sie das nicht freiwillig gemacht“, sagte die Mutter im Gespräch mit „stern TV am Sonntag“ auf RTL. Denn erst Tage zuvor habe ihre Tochter Finja den Kollaps einer Freundin nach Drogenkonsum selbst miterlebt.

Finja hätte ihren Eltern in Panik von dem Vorfall erzählt, weil sie dachte, ihre Freundin würde sterben. Sie habe deren Krampfanfälle und Luftnot und die Behandlung im Krankenhaus unmittelbar mitbekommen. Entsprechend überzeugt zeigten sich Finjas Eltern, dass ihre Tochter die Ecstasy-Pille nicht freiwillig genommen habe. Zu groß sei ihre Angst um das Leben der Freundin gewesen: „Sie hat gesagt, sie macht sowas nicht“, betonte die Mutter.

Ein 13-jähriges Mädchen ist in Altentreptow bei Neubrandenburg durch die Ecstasy-Pille
Ein 13-jähriges Mädchen ist in Altentreptow bei Neubrandenburg durch die Ecstasy-Pille "Blue Punisher" ums Leben gekommen. Sie ging auf diese Schule. © Bernd Wüstneck/dpa

Während des Interviews wirkten die Eltern zwar äußerlich gefasst, aber innerlich verzweifelt. „Man steht vor einem tiefen schwarzen Loch, funktioniert eigentlich bloß und denkt sich: Warum?“, sagte die Mutter. „Zerstört ist unser Leben eigentlich“, sagte der Vater. „Sie war ein fröhliches Mädchen.“

Nach der Einlieferung ihrer Tochter waren die Eltern in die Klinik in Neubrandenburg gefahren. „Dann ging auch alles ganz, ganz schnell. Das war Wahnsinn“, schilderte die Mutter. Finja habe auf nichts mehr reagiert. Der Vater erzählte, den Ärzten habe die Zeit gefehlt. „Sie haben mit aller Macht alles getan für unsere Tochter. Man konnte ihr nicht mehr helfen. Die Zeit hat einfach gefehlt. Das ging so schnell.“

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Ecstasy in Neubrandenburg dreimal stärker als „normale“ Drogen

Die Ermittler prüfen unterdessen, ob dem Mädchen die Ecstasy-Pille eingeflößt worden sein könnte. Aktuell werde keine Möglichkeit ausgeschlossen, da über die Umstände, die zum Tod des Mädchens geführt haben, wenig bekannt sei, teilte eine Sprecherin der Polizei in Neubrandenburg mit.

Die Droge, so die Befürchtung der Behörden, ist sehr wahrscheinlich weiterhin im Umlauf. Das sei besonders bedenklich, weil „Blue Punisher“ kein gewöhnliches Ecstasy ist. Bis zu drei Mal stärker als die „Standardversion“ soll die kleine, blaue Pille sein, schreibt der NDR. Bis zu 300 Milligramm des synthetischen Wirkstoffs 3,4-Methylenedioxymethamphetamine (MDMA) sei darin. Bei einer Überdosierung – und die tritt bei so hochkonzentriertem Wirkstoff schnell ein – drohen Halluzinationen und mehr. Im schlimmsten Falle: der Tod.

Sieht harmlos aus, ist aber tödlich: Die Ecstasy-Variante „Blue Punisher“, benannt nach einem Comic-Helden.
Sieht harmlos aus, ist aber tödlich: Die Ecstasy-Variante „Blue Punisher“, benannt nach einem Comic-Helden. © Polizei | Polizei

Ihren Namen hat die Pille vom Marvel-Helden „Punisher“ bekommen, sein Logo ist in die Pillen gepresst. Und wie der Punisher ist auch die Droge äußerst brutal. Birgit Grämke von der Landeskoordinierungsstelle für Suchtthemen in Mecklenburg-Vorpommern sagte der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf die Namensgebung: „Das denken sich die aus, die das machen. Das soll halt cool klingen.“ In Laboren würden immer wieder Ecstasy-Pillen mit neuem Aussehen und Namen geschaffen.

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Seinen Ursprung hat das Ecstasy in der Partyszene. Länger wach bleiben, länger tanzen können, außerdem werden Schmerz, Hunger und Durst unterdrückt. Gleichzeitig teile sich Ecstasy ein Problem mit allen anderen synthetischen Drogen, sagt Grämke: Man wisse nie, was tatsächlich drinsteckt. Auch der „Blue Punisher“ sei ihr in der Vergangenheit schon untergekommen.

Polizei zu Super-Ecstasy: „Irgendwer hat das hierher geschleppt“

Nun habe die Polizei Elternbriefe vorgefertigt, versuche, die Kinder selbst auf Instagram zu erreichen. „Sie müssen es mehrmals hören, auf verschiedenen Wegen, sie müssen verstehen, wie gefährlich dieser ‚Blue Punisher‘ ist“, sagte Diana Krüger. Gefährlicher womöglich als alles, was die Jugendlichen jemals gesehen oder ausprobiert haben. Auch Finjas Eltern richteten einen Appell an alle Kinder und Jugendlichen: „Nehmt keine bunten Pillen! Wenn etwas angeboten wird, nicht annehmen! Weggehen, Polizei rufen! Es darf nicht noch einmal passieren, dass wegen des Zeugs jemand stirbt.“

„Wir sind uns sicher, irgendwer hat das hierher geschleppt“, sagte Krüger. „Blue Punisher“ gebe es schon seit Jahren, doch jetzt taucht er plötzlich in Neubrandenburg auf, „und das wahrscheinlich mit noch höherem MDMA-Gehalt als in seiner Ursprungsversion. Normalerweise werden solche Drogen ja gestreckt, aber hier könnte die Dosierung noch erhöht worden sein.“

Damit ist die Droge ohnehin schon gefährlicher, für bestimmte Menschen noch mehr als für andere. „Wenn jemand klein und zart ist, vielleicht nichts gegessen hat, kann dieselbe Dosis viel heftiger wirken als auf die nächste Person.“

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Ermittler warnen vor Selbstjustiz

Eine weitere Waffe im Kampf gegen das Ecstasy: die Ermittlungen der Behörden. Von den vier mutmaßlichen Drogenhändlern erhofft sich die Polizei Namen, Adressen. Natürlich auch von möglichen Hintermännern, vor allem aber von Käufern der „Blue Punisher“-Pillen. Damit die Beamten einschreiten können, bevor sich die Tragödie des 13-jährigen Mädchens wiederholt.

Vor eigenständigen Ermittlungen etwa durch Eltern warnt die Polizei von Mecklenburg-Vorpommern jedoch: „Das kann einen im Zweifel selbst in Gefahr bringen, wenn zum Beispiel versucht wird, als Strohkäufer an weitere Informationen zu gelangen“, so das Polizeipräsidium Neubrandenburg. „Ebenso warnen wir vor Selbstjustiz mit Blick auf mögliche Beteiligte oder mutmaßliche Dealer.“