Hamburg. Constantin Schreiber, Moderator der Tagesschau, kritisiert die Weltuntergangsszenarien, mit denen Nachrichten heute verbreitet werden.

Punkt 9.30 Uhr ruft er an. Nicht auf die Minute genau, sondern auf die Sekunde. Pünktlichkeit ist sein Beruf: Constantin Schreiber ist mit 43 Jahren jüngster Sprecher der 20-Uhr-Tagesschau, sein Renommee als Journalist erarbeitete der Grimme-Preisträger sich zuvor als Nahost-Experte. So einer muss ein hartgesottener News-Junkie sein, denkt man.

Doch Schreiber, verheiratet mit einer Journalistin und zweifacher Vater, geriet durch eine Überdosis an Es-ist-eigentlich-schon-zu-spät-Meldungen fast in den News-Burnout. Darüber hat er ein Buch geschrieben. „Glück im Unglück: Wie ich trotz schlechter Nachrichten optimistisch bleibe“ (22 Euro, Hoffmann und Campe) ist eine Mischung aus Autobiografie, Gesellschaftskritik und Glücksratgeber.

Im Gespräch prangert er den Zeitgeist an, der von Weltuntergangpanik beseelt sei. Verantwortlich: das pausenlose News-Gewitter in sozialen Medien und der Aktivismus, das gezielt mit Ängsten arbeite.

Herr Schreiber, Sie schildern, wie „fix und fertig“ Sie waren, nachdem Sie am 26. Februar 2022 einen weiteren Beitrag über ukrainische Flüchtende ansagten. Sie änderten dann Ihre Verabschiedung von „Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend“ in „Ich wünsche Ihnen einen guten Abend“. Eine Überreaktion ist das nicht gerade…

Constantin Schreiber: Nun, als Tagesschau-Sprecher kann ich schlecht in Tränen ausbrechen, dann würden die Leute denken, der Weltuntergang wäre da.

Das glaubt man derzeit ohnehin.

Schreiber: Ukraine-Krieg, Klimakatastrophe, Inflation, Energiekrise – die Apokalypse schwebt tatsächlich über jedes einzelne dieser Themen. Dazu noch Putin, mit dem angeblich zuckenden Finger über dem Atomknopf. Wenn wir so weiterleben wie bisher, ist die Erde bald unbewohnbar, wenn wir nicht so weiterleben, wird Deutschland deindustralialisiert – es sind Zuspitzungen, die ich so von früher nicht kenne.

Constantin Schreiber.
Constantin Schreiber. © Uwe Zucchi/dpa

Weil die Weltlage eine andere ist?

Schreiber: Viele Nachrichten waren immer schon schlecht. Aber erst die permanente Penetration damit, auf dem Handy und über soziale Medien, schafft das Gefühl von unmittelbarer Betroffenheit und Bedrohung. Früher gab es vielleicht ein paar verwackelte Bilder, jetzt wirkt jedes Bombardement auch optisch, als wäre es bei mir um die Ecke.

Die Welt ist also nicht schlechter geworden?

Schreiber: Nein, unser Zeitgeist ist panisch geworden. Das bemängele ich an dem Aktivismus, der mit Weltuntergangsszenarien und Ängsten arbeitet. Ja, es gibt Probleme, aber vieles ist besser geworden. Trotz der großen Vermögensungleichheit auf der Welt: Der Anteil der Menschen, die in absoluter Armut leben, ist gesunken. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Wir sehen die Fortschritte gar nicht, sondern konzentrieren uns auf das Negative. Wahrscheinlich, weil Aktivismus genau so funktioniert, und er ist inzwischen sehr wirkmächtig in den Medien.

Inwiefern trägt die Politik dazu bei? Wenn Karl Lauterbach während der Pandemie im Fernsehen sprach, sah man schon die vier Pferdemänner über den blutroten Horizont fliegen.

Schreiber: Egal ob Aktivismus oder Politik, ich wünsche mir Menschen, die Chancen und Möglichkeiten in den Vordergrund stellen. In der Energiewende etwa stecken große Potenziale: Technologien, Arbeitsplätze und Investitionen. Das Thema steckt jedoch voller Angst. Weil alle nur die Vorschriften und die Kosten sehen. Da tun sich Aktivismus und Politik gleichermaßen keinen Gefallen, weil sie die Menschen verschrecken.

Ist das die berüchtigte German Angst?

Schreiber: Ja. In Spanien ist mir aufgefallen, wie anders mit vielen Themen umgegangen wird. Ob das jetzt Corona war oder der Klimawandel, Diversität oder Frauenförderung.

Wie denn?

Schreiber: Die Spanier sind sehr unverkrampft, während bei uns vor allem diese Widerstände und diese giftigen Debatten präsent sind. Auch die Diskussion um den Klimawandel findet ohne diese Verbissenheit statt. Ich wüsste nicht, dass sich Leute da auf die Straße kleben.

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Was war denn Ihre längste Zeit ohne Nachrichten?

Schreiber: Während der Elternzeit 2015 habe ich zwei, drei Monate so gut wie gar nichts gelesen. Da hatte ich keine Kraft mehr. Ich war übernächtigt wie noch nie. Ich lese auch heute am Wochenende konsequent nichts und merke, dass mir das guttut. Ich kann es nur jedem empfehlen.

Was empfehlen Sie noch?

Schreiber: Nach diesem Tiefpunkt im Studio hatte ich zufällig das Klavierspielen wiederentdeckt, durch den Unterricht für unsere Tochter. Ich habe mich nach 23 Jahren wieder ans Klavier gesetzt und merkte: Das lenkt mich ab. Naturerlebnisse, Humor, Soziales, Optimismus, Spiritualität. Neugier, Ehrfurcht vor Naturgewalt und Talent – das sind Dinge, die auch laut Forschern glücklich machen.

Heimische Klavierkonzerte oder Wandertage, das klingt nach einem neuen Biedermeier wie im 19. Jahrhundert mit seinem Rückzug ins Private. Müssten wir nicht noch mehr auf die Barrikaden gehen?

Schreiber: Es gibt Eskapismus, der daraus besteht, sich Ersatzhandlungen zu suchen und vor der Wirklichkeit zu fliehen. Eskapismus kann aber gut und heilsam sein, wenn er mir Kraft gibt, mein Leben in die Hand zu nehmen und meinen Werten gemäß zu gestalten.

Wenn Sie beschreiben, was Sie glücklich macht, sind es ungewöhnliche Reisen: als Kind nach Hongkong, später nach Jan Mayen in der Arktis oder auf die tropischen Komoren. Hat man automatisch mehr Glücks-Ressourcen, wenn man privilegiert lebt?

Schreiber: Dass ich mehr Gelegenheiten habe, besondere Momente erleben zu dürfen, als jemand, der gar kein Geld hat zu reisen, steht außer Frage. Das Niedersachsen-Ticket, um von Hamburg an die Nordsee zu fahren, können sich jedoch die meisten leisten. Der Effekt ist der Gleiche. Es geht darum, Neugier zu verspüren und ihr nachzugehen. Ich schildere auch, wie ich meine Heimatstadt Cuxhaven neu entdecke.

Humor ist laut Ihrem Buch ein weiterer wichtiger Glücksmacher. Was bedeutet er für eine Partnerschaft?

Schreiber: Dass meine Frau und ich zusammen lachen können, hat uns definitiv zusammengebracht.

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