Münchnen. Jerome Boateng kämpft vor Gericht gegen den Verdacht, seine Ex-Freundin geschlagen zu haben. Doch der Befreiungsschlag misslingt.

Jerome Boateng will einen guten Eindruck machen. Also hat er sich einen dunklen, engen Anzug angezogen, eine weinrote Krawatte umgelegt und sich eine golden schimmernde Hipsterbrille aufgesetzt. Gut aussehen, dafür hat er ein Talent.

Mit sauber ausrasiertem Bärtchen um Kinn und Oberlippe sitzt der ausrangierte Nationalspieler in einem kleinen, fensterlosen Saal mit mattgelb gestrichenen Betonwänden, verschränkt die Hände vor dem Bauch und schweigt vor sich hin. Der Fußballstar, der sich selbst als Stilikone sieht und eine eigene Brillenkollektion herausgebracht hat, ist aus Lyon, wo er für den französischen Verein Olympique spielt, ins Münchener Justizzentrum gereist.

Es geht ihm um den vielleicht wichtigsten Sieg seines Lebens. Doch die Rettung seines angeknacksten Rufs erweist sich als schwieriges Unterfangen.

Jerome Boateng steht erneut vor Gericht.
Jerome Boateng steht erneut vor Gericht. © AFP | Christof Stache

Jerome Boateng will kein Frauenschläger sein

Boateng lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Mit betonungsfreier Stimme bestätigt er die vom Richter verlesenen Personalien. Dann tritt Sherin S. (33) in sein Blickfeld. Die Berlinerin setzt sich an einen kleinen Tisch vor Richter Andreas Forstner – sie soll als Zeugin berichten von dem, was sich vor mehr als vier Jahren im gemeinsamen Luxusurlaub in der Karibik zugetragen hat.

Boateng verzieht das Gesicht, als sie schildert, wie er sie beleidigt und schließlich angegriffen habe. Er kratzt sich am Kopf, fasst sich an die Krawatte, flüstert seinem Anwalt was ins Ohr. Boateng schaut so ungläubig, als wolle er ausdrücken: Ich doch nicht.

Sherin S. erzählt die Geschichte eines folgenreichen Kartenspiels. Boateng hatte den Urlaub im Sommer 2018 kurzfristig gebucht, nachdem er mit der deutschen Mannschaft bei der Weltmeisterschaft in Russland frühzeitig ausgeschieden war – und Zeit hatte. An einem Abend – die gemeinsamen, heute zehnjährigen Zwillingstöchter waren schon im Bett – spielten Boateng, Sherin S. und eine mitgereiste Freundin der Frau auf der Terrasse ihrer Ferienbungalows das Kartenspiel Skip-Bo.

Zunächst verlief die Partie friedlich, doch dann habe Boateng zu schummeln versucht. Als die Frauen ihn deswegen zur Rede gestellt hätten, sei der aggressiv geworden. Der Streit eskalierte.

Jerome Boateng und ein Kartenspiel mit Folgen

„Dann hat er mich so ein Stück nach vorne gerissen an den Haaren“, sagt sie. Er habe ihr den Daumen ins Auge gedrückt, ihr in den Hinterkopf gebissen und mit der Faust in die Niere geboxt. Boateng, der in sozialen Netzwerken das Bild einer familiären Idylle pflegt, schüttelt immer wieder den Kopf.

Weiterer Boateng-Fall: Ermittlungen gegen Jerome Boateng wieder aufgenommen

Der 34-Jährige steht schon zum zweiten Mal wegen dieses Urlaubsstreits vor Gericht. Im September 2021 war der langjährige Verteidiger von Bayern München vom Amtsgericht wegen einfacher vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 1,8 Millionen Euro verurteilt worden. Boateng hätte es dabei bewenden lassen können: Der Richter hatte sein jährliches Gehalt inklusive Werbeeinnahmen damals auf 10 Millionen Euro geschätzt, er dürfte die Strafe verschmerzen können. Doch Boateng fühlte sich im Recht, ging in Berufung. Er kämpft gegen das Urteil – und überlässt dennoch Sherin S. das Wort.

„Er bestreitet strafbares Tun, wird sich ansonsten aber nicht zur Sache äußern“, sagt sein Anwalt am Donnerstag vor dem Landgericht München I. Eine vom Gericht vorgeschlagene Verständigung lehnt er ab, weil er das „mit seinem Gewissen nicht vereinbaren“ könne. Boateng will es wissen.

Jerome Boateng soll mehrfach gewalttätig gewesen sein

Doch es gelingt ihm nicht wirklich, den Eindruck des Frauenschlägers zu entkräften. Sherin S. wiederholt ihre Vorwürfe aus dem ersten Prozess, sie spricht ausführlich darüber, wie es damals zur Eskalation kam – und lässt ihren Ex-Freund in schlechtem Licht dastehen. Er habe sie schon zuvor mehrmals geschlagen, behauptet sie. „Ich war schon wegen vorheriger Übergriffe in Behandlung.“ Auch interessant: Boateng rassistisch beleidigt? Staatsschutz soll ermitteln

Während der rund elf Jahre dauernden „On-Off-Beziehung“, die das Paar kurz nach dem Urlaub beendete, sei sie „daran gewöhnt“ gewesen, „dass es Gewaltübergriffe gab, dass es toxisch zuging“. Schließlich habe Boateng ihr „finanzielle Angebote“ gemacht, wenn sie auf ihre Aussage verzichte.

Ob Boateng Täter oder Opfer ist, ob er der Mutter seiner Töchter Gewalt angetan hat oder als millionenschwerer Prominenter womöglich Ziel einer Racheverschwörung wurde, ist weiterhin offen. Doch ein Befreiungsschlag war dieser Auftritt nicht.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.