Washington. Adnan Syed soll 1999 seine Ex-Freundin getötet haben. Der Fall wurde durch einen Podcast weltberühmt. Nun folgt die spektakuläre Wende.

Es ist die Nachricht, mit der zahlreiche Fans der preisgekrönten und weltweit bis heute über 300 Millionen Mal konsumierten Podcast-Reihe "Serial" wohl nicht mehr gerechnet hatten: Adnan Syed, der 1999 seine damals 18 Jahre alte Ex-Freundin Hae Min Lee in Baltimore erdrosselt und in einem Park vergraben haben soll und dafür zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe plus 30 Jahre verurteilt worden war, ist nach fast einem Vierteljahrhundert hinter Gittern bis auf weiteres ein freier Mann.

Richterin Melissa Phinn hat am Montag im US-Bundesstaat Maryland das damalige Mord-Urteil aufgehoben. Auf Drängen der Staatsanwaltschaft, die einräumte, potenziell entlastendes Material gegen den damals 17-jährigen Moslem mit pakistanischen Wurzeln unterdrückt zu haben.

Podast "Serial": Staatsanwaltschaft gibt überraschende Info frei

Schon Anfang der 2000er Jahre sei intern bekannt gewesen, dass zwei andere Tatverdächtige damit gedroht haben sollen, die junge Asiatin umzubringen. So steht es in einer Verfügung von Baltimores Chef-Anklägerin Marilyn Mosby. Diese Information landete jedoch nie bei Syeds Anwälten – obwohl dies eigentlich vorgeschrieben ist.

Damit, und weil Syed offenbar irreführende Mobilfunk-Daten am Tatort zugeordnet wurden, sei die "Integrität" des Schuldspruchs hinfällig, erklärten Mosbys Leute. Syeds Verurteilung fußte hauptsächlich auf der Aussage eines befreundeten Drogenhändlers, der beim Vergraben der Leiche behilflich gewesen sein will, heute aber justiz-amtlich als "unglaubwürdig" eingestuft wird.

Verurteilung von Adnan Syed: Davon hängt nun alles ab

Syed, heute 41, hatte stets seine Unschuld beteuert und haarsträubende Versäumnisse bei den Ermittlungen und seiner eigenen Verteidigung geltend gemacht. 2018 wäre es beinahe zu einer Neuauflage des Verfahrens gekommen, aber das Oberste Gericht Marylands durchkreuzte den Plan. Auch der Supreme Court in Washington verweigerte sich einem weiteren Verfahren zu dem Fall.

Die Staatsanwaltschaft in Baltimore hat nun 30 Tage Zeit, um einen neuen Prozess zu beantragen oder die Anklage gegen Syed endgültig fallen zu lassen. Bis dahin darf Syed seine Wohnung nicht verlassen und wird per GPS-Sender überwacht.

Marylands Justizminister Brian Frosh kritisierte den Alleingang Mosbys als "übereilt". Nach Angaben der obersten Staatsanwältin Baltimores hängt die Einleitung eines neuen Verfahrens maßgeblich von der Auswertung bestimmter DNA-Spuren ab.

Adnan Syed (Mitte) verlässt das Gerichtsgebäude nach der Anhörung in Baltimore.
Adnan Syed (Mitte) verlässt das Gerichtsgebäude nach der Anhörung in Baltimore. © Jerry Jackson/The Baltimore Sun via AP/dpa

Podcast: Sarah Koenig schreibt bereits neue "Serial"-Folge

Als die Entscheidung am Montag im "Baltimore City Circuit Court" bekanntgegeben wurde und Syed unter dem Jubel von Anhängern in ein Auto stieg, war eine Frau mit Brille und dunklen Haaren live dabei: Sarah Koenig. Sie ist Journalistin und war vor acht Jahren Mit-Erfinderin von "Serial", einer der bis heute weltweit erfolgreichsten Podcast-Sendungen.

In der ersten Staffel des Podcasts beschäftigte Koenig sich mit dem Mord an Hae Min Lee – und entsprechend auch mit Adnan Syed. In einem Dutzend Folgen – insgesamt knapp zehn Stunden Sendezeit – legte die in Baltimore im Lokaljournalismus gestartete Rechercheurin nach monatelangen Untersuchungen ab Herbst 2014 die vielen Ungereimtheiten des Falles frei.

Koenig tauchte tief in Akten des Verbrechens ein, sprach mit Zeugen und mit Adnan Syed und dessen Familie. Auf dieser Basis entwickelte die Journalistin, ohne klare Position zu beziehen, ein Reality-Krimi-Rätsel, dessen Sogwirkung auf die Zuhörer immens war – auch in Deutschland.

Koenig spielte dabei gekonnt mit Spannung und Spekulationen, klammerte sich an kleinsten Details fest, hielt ihr Publikum mit Cliffhangern bei Laune und schlich detektivisch zweifelnd um die Frage, wer hier gelogen haben könnte: Syed, der jede Beteiligung an dem Mord von sich wies, oder dessen Kiffer-Freund Jay Wilds, der vor Gericht ausgesagt hatte, Syed habe ihm die Leiche von Hae Min Lee im Kofferraum gezeigt?

Neue Entwicklung nach Podcast: Opfer-Familie fühlt sich betrogen

Bei "Serial" ließ Sarah Koenig, unterstützt von einem Produktionsteam der NPR-Radioshow "This American Life", unter anderem Asia McClain zu Wort kommen; eine Zeugin, die Syed zur unterstellten Tatzeit in einer Bibliothek in Baltimore gesehen haben will. Im Laufe des Dienstags will Koenig voraussichtlich in einer neuen Podcast-Folge die sensationelle juristische Kehrtwende zugunsten Syeds aufarbeiten.

Dabei wird die Opfer-Familie außen vor bleiben. Young Lee, der Bruder des 1999 getöteten Mädchens, sagte vor Gericht, er fühle sich durch die Urteilsaufhebung betrogen. "Das ist schwer für mich und insbesondere für meine Mutter zu verdauen." Die Vorstellung, dass der wahre Mörder seiner Schwester "noch da draußen ist", sei wirklich "hart".

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.