Berlin/Münster. Ein Angriff in Münster, eine Attacke in Bremen. Die Fälle zeigen: Immer wieder werden Homosexuelle und Transmenschen Opfer von Gewalt.

Für Malte C. lief gerade vieles richtig gut. Der 25-Jährige zog aus seiner Wohngruppe aus, bekam ein eigenes Zuhause. Eine Operation im April, bei der er sich die Brüste entfernen ließ, war sehr gut verlaufen. Malte C. trainierte viel, baute Muskeln auf, wurde selbstbewusster. Nicht nur mit Blick auf seinen Körper. „Er war weniger schüchtern“, sagt Felix Adrian Schäper am Telefon. Er ist Vorstand des Vereins Trans-Inter-Münster und kannte Malte C. nach eigenen Angaben seit Jahren sehr gut.

Ende August feierte Malte C. mit Freundinnen und Freunden die Parade zum „Christopher Street Day“ (CSD) in Münster. Auch Schäpers Verein war an dem Tag bei der Demonstration dabei. „Wir haben eine Tombola veranstaltet, und Malte wollte unbedingt das Einhorn gewinnen“, sagt Schäper. Er gewann es nicht. Aber es habe ihm an dem Tag nichts ausgemacht. „Er hat mich in den Arm genommen an dem Tag. Er war glücklich“, sagt Schäper.

Malte C. ist jetzt tot. Vor wenigen Tagen erlag er seinen Verletzungen, schweres Schädel-Hirn-Trauma. Am Rand des CSD hatte ein Mann zwei Frauen beleidigt, laut Polizeimeldung als „lesbische Huren“. Malte C. ging dazwischen. Und wurde selbst zum Ziel des Täters. Malte C. selbst war Transmann, wurde als Frau geboren und lebte nun als Mann.

In Bremen wird eine 57 Jahre alte Transfrau Ziel eines Übergriffs

Nur wenige Tage später, Tatort Bremen. Eine 57 Jahre alte Transfrau wurde am Wochenende laut Polizei von einer Gruppe Jugendlicher in der Straßenbahn attackiert. Sie haben demnach die Frau als „Scheiß Transe“ beleidigt, ihr die Perücke vom Kopf gerissen. Ein Täter, laut Zeugenaussagen zwischen 14 und 16 Jahre alt, schlug der Frau ins Gesicht – unter dem Jubel der anderen. Erst als Fahrgäste eingriffen, ließ die Gruppe nach, haute ab. Die Frau kam mit Verletzungen im Gesicht im Krankenhaus.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Mahnwache kommen nach dem transfeindlichen Angriff in Bremen zusammen.
Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Mahnwache kommen nach dem transfeindlichen Angriff in Bremen zusammen. © dpa | Sina Schuldt

Es sind zwei Meldungen aus den vergangenen Tagen. Doch Übergriffe auf Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität bleiben oft verborgen. Hilfsorganisationen und Sicherheitsbehörden berichten über eine hohe Dunkelziffer, weil Betroffene Gewalttaten oder Beleidigungen nicht anzeigen würden – auch aus Sorge, von Polizei und Justiz nicht ernst genommen zu werden.

Dabei steigt die Aufmerksamkeit auf diese Form der Gewaltverbrechen – und vor allem deshalb steigen auch die Fallzahlen. Polizeibehörden registrierten 2021 knapp 900 Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung der Betroffenen – das sind 50 Prozent mehr als im Jahr davor. Darunter 164 Gewalttaten. Im Deliktsbereich „Geschlecht oder sexuelle Identität“ gab es laut Polizei sogar einen Anstieg um 66 Prozent auf 340 Delikte.

„Dieses Hassverbrechen muss mit aller Härte verfolgt werden“

Zugleich äußern immer wieder auch Vertreterinnen und Vertreter der LGBTQI-Vereine eine Zunahme des Hasses und der Übergriffe. In Deutschland agitiert die rechtsextreme und neurechte Szene in den sozialen Netzwerken nicht nur gegen vermeintliche Ausländer – auch Homosexuelle, Lesben, Bisexuelle und Transmenschen gehören zu den zentralen Feindbildern von extremen Rechten.

Nicht nur auf der Straße in Deutschland, auch in den Parlamenten europaweit gewinnen diese Kräfte an Macht. Ungarn verschärfte wie Polen die Gesetzeslage und grenzt Lebensformen abseits klassischer Geschlechterrollen systematisch aus.

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Immer wieder fallen auch junge muslimisch geprägte Männer als Täter auf. In den vergangenen Jahren hatte es auch islamistisch motivierte Anschläge gegeben, die sich gezielt gegen Homosexuelle und Transmenschen gerichtet hat, etwa auf einen Nachtclub in Orlando 2016 oder in diesem Sommer auf eine Schwulenbar in Oslo.

Der mutmaßliche Täter vom Münster, ein 20 Jahre alter Mann, der aus Tschetschenien nach Deutschland geflohen war und hier Asyl beantragt haben soll, war laut Medienberichten vorbestraft wegen Körperverletzung. In seiner Heimat Tschetschenien werden Homosexuelle vom autoritären Regime brutal ausgegrenzt und verfolgt.

Angriffe auf Transmenschen zeigen Trend zur Verrohung

„Dieses Hassverbrechen muss mit aller Härte verfolgt werden. Es zeigt, welch entsetzliche Folgen Hass und Gewalt gegen queere Menschen haben können“, sagt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mit Blick auf die Tat in Münster. Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, sagte, dass diese Tat „die gesamte Gesellschaft und Politik auf allen Ebenen aufrütteln“ müsse, damit etwa Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Intersexuelle „stärker gegen Anfeindungen“ geschützt würden.

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) hat sich besorgt über die Angriffe auf transsexuelle Menschen gezeigt. „Die Angriffe auf transsexuelle Menschen sind skandalös“, sagte Reul unserer Redaktion. „Der Staat hat die Verantwortung dafür, dass alle hier friedlich und sicher leben können. Nicht zuletzt gilt das in Fällen, in denen bestimmte Minderheiten besonders im Fokus stehen.“

Der konkrete Schutz könne in manchen Situationen schwer sein, wenn zum Beispiel gerade kein Polizist in der Nähe sei, räumte der Landesinnenminister ein. „Aber dahinter steht ein Trend zur Verrohung unserer Gesellschaft“, fügte Reul hinzu. „Dem müssen wir uns entgegenstellen.“

Polizeibehörden erfassen Straftaten genauer, blicken stärker auf das Motiv des Täters

Verbände von Schwulen und Lesben, aber auch Vereine wie Trans-Inter in Münster fordern bereits seit Jahren von der Politik und den Sicherheitsbehörden, dass sie genauer nach Motiven von Gewalttaten schauen, bei denen etwa Transmenschen wie Malte C. betroffen sind. Und sie wollen, dass die Bundesregierung ähnlich wie in anderen Kriminalitätsfeldern einen „nationalen Aktionsplan“ gegen Homo- und Transfeindlichkeit auf den Weg bringt, der konkrete Maßnahmen festschreibt.

Immerhin in einigen Punkten hat die Politik reagiert. Die Polizeibehörden erfassen Straftaten genauer bei einem möglichen Motiv des Täters, das sich gegen die Identität des Betroffenen richtet. Für Ende September hat das Bundesinnenministerium zur ersten Sitzung eines Arbeitsgremiums „Bekämpfung homophober und transfeindlicher Gewalt“ eingeladen.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hebt hervor, das Strafgesetzbuch in diesem Feld zu verschärfen und ein Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Identität in das Grundgesetz aufzunehmen.