Berlin. Ravensburger-Verlag stoppt „Winnetou“-Bücher wegen angeblich rassistischer Stereotype: Feige Kapitulation vor den Eiferern im Netz.

Winnetou, der vor 150 Jahren erdachte Apachen-Häuptling aus der Feder des sächsischen Cowboys Karl May, hat das Zeug zum Friedensnobelpreisträger. Immerzu hebt er mahnend den Zeigefinger, um seine roten wie weißen Brüder und Schwestern dazu aufzurufen, sich nichts anzutun. Und wenn er mal einen Feind in die ewigen Jagdgründe schickt, dann nur in Notwehr.

Statt ihn zum gutmütigen, Grenzen überwindenden Vorbild der Jugend zu erklären, soll der Gentleman in Mokassins nun aus den Bücherregalen verschwinden. Man muss sich die Verantwortlichen des schwäbischen Spieleherstellers und Buchverlegers Ravensburger als hasen­füßige Duckmäuser vorstellen. Anders ist die Kapitulation der Verlagsleitung vor maßlosen Eiferern im Internet nicht zu begreifen.

Ihre Entscheidung, gerade erst erschienene Kinderbücher über Winnetou aus dem Verkehr zu ziehen, begründen sie nach Lektüre einiger kritischer Kommentare so: Die Geschichten hätten „Gefühle anderer verletzt“, man habe mit der Veröffentlichung „einen Fehler gemacht“, gesteht der Verlag reumütig.

Funke Medien Gruppe / Mitarbeiter: Jonas Erlenkämper
Funke Medien Gruppe / Mitarbeiter: Jonas Erlenkämper © Reto Klar | Reto Klar

Nicht nur Winnetou ist von der Cancel Culture betroffen

Mit anderen Worten: Ravensburger überlässt ein paar Hundert anonymen Aktivisten die Abstimmung darüber, was gelesen werden darf. Dieses zensorische Gebaren ist gefährlicher Unfug und trägt zur Verdummung jeder Debatte bei.

Die Episode steht in einer Reihe ähnlich gelagerter Fälle aus der letzten Zeit. Da war die Bürgermeister-Kandidatin der Grünen bei der Berlin-Wahl, die in einer Parteitagsrede erzählt hatte, dass sie als Kind gern „Indianer-Häuptling“ werden wollte. Ein diskriminierender Begriff, schimpften viele Grünen-Anhänger und zwangen die Frau zur Entschuldigung.

Da war außerdem die Diskussion um den Klassiker „Pippi Langstrumpf“ von Astrid Lindgren, die den Vater des Mädchens ursprünglich als „Negerkönig“ bezeichnet hatte. In neueren Ausgaben wurde daraus zeitgeistgemäß ein „Südseekönig“.

Und da ist immer wieder die Erregung über die Frage, ob weiße Übersetzer die Werke schwarzer Autorinnen und Autoren bearbeiten dürfen. Dieser Tugendfuror hat in Einzelfällen einen berechtigten Kern. Aber die Sorge vor der Aufgeregtheit des Netzes darf kein Argument sein, Literatur zu tilgen.

Karl May und die Indianer

Noch bedenklicher als der Wankelmut des Verlags erscheint mir, dass auch den Fachleuten der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) der Kopf schwirrt. Das ist keine Versammlung irgendwelcher Trolle, sondern eine gemeinsame Behörde der 16 Bundesländer. Deren Jury sei „absolut gespalten“, was den aktuellen Kinofilm „Der junge Häuptling Winnetou“ angehe, teilt die FBW mit.

Kritische Juroren finden, dass Karl Mays literarische Vorlage das Unrecht ausblende, das den Indianern vor allem im 19. Jahrhundert widerfahren ist. Herrje, das können die doch nicht ernst meinen.

„Der junge Häuptling Winnetou“ mit Mika Ullritz bewegt die Gemüter.
„Der junge Häuptling Winnetou“ mit Mika Ullritz bewegt die Gemüter. © dpa

Wer das konsequent weiterdenkt, kann jedes Buch verbieten, das in einer vergangenen Epoche spielt und nicht ausdrücklich die größten Gräueltaten der damaligen Zeit behandelt. Geschichten über den Wikingerjungen Wickie könnten sich also bald erledigt haben, wenn die brandschatzenden Raubzüge der nordischen Krieger darin nicht im Vordergrund stehen.

Karl Mays Werke sind Abenteuerromane, keine Sachbücher über die reale Benachteiligung amerikanischer Ureinwohner. Und Winnetou ist kein Teufel mit Silberbüchse, vor dem unsere Kinder geschützt werden müssen. Sondern mit seinem berechenbaren Edelmut höchstens ein bisschen langweilig.

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.