Berlin. Lernen von der „Vogue“-Chefin: Wie Modekönigin Anna Wintour ihre Macht erobert, ausgebaut und verteidigt hat - die besten Tipps.

Seit 34 Jahren regiert Anna Wintour als Chefredakteurin der US-„Vogue“ die Modewelt. Sie hat Farbbeutelwürfe von Pelzgegnern überstanden und nächtelange Arbeitnehmer-Proteste vor ihrem New Yorker Haus. Sie hat teuer gescheiterte Titel wie „Men’s Vogue“ überlebt. Sie hat das Internet überdauert und Scharen blutjunger Fashion-Bloggerinnen, die plötzlich auf Modenschauen in die erste Reihe drängelten.

Die „Vogue“ hat wie alle Magazine Auflage verloren, doch den rund 1 Million Lesern stehen 57 Millionen Follower in sozialen Medien gegenüber. Auch ein unsägliches Glamourstück über die syrische Diktatorengattin Asma al-Assad, das sie inklusive der Überschrift „Eine Rose in der Wüste“ durchwinkte, führte nicht zu ihrem Sturz. Sie blieb die Königin.

Anna Wintour landet große Coups mit Beyoncé und Serena Williams

Zuletzt gelangen ihr Coups, die weit über die Mode hinausreichten. In der aktuellen September-Ausgabe kündigte Serena Williams ihren Rückzug vom Profi-Tennis an. Als Global-Chefin des „Vogue“-Universums verantwortete sie auch die Juli-Titelgeschichte der britischen Ausgabe. Superstar Beyoncé gab darin das einzige Interview zu ihrem Comeback-Album „Renaissance“.

Die Queen und die Modekönigin bei einer Fashion Show in London im Jahr 2018.
Die Queen und die Modekönigin bei einer Fashion Show in London im Jahr 2018. © Getty | WPA Pool

Anna Wintour: Die „Vogue“ ist jetzt „woke“

Mit den beiden afroamerikanischen Berühmtheiten beweist die 72-Jährige, dass die „Vogue“ in der Woke-Kultur angekommen ist, jener Bewegung, die sich für Vielfalt einsetzt. „Warum sind hier alle weiß?“, meckerte sie schon einmal in einer Konferenz.

Das war nicht immer so: Jahrzehntelang propagierte sie dünne, weiße Models. Zwischen 2000 und 2005 waren drei Cover-Models „Women of Color“ – bei 81 Titeln. Heute unvorstellbar ist das Cover von 2008, als sie Basketballer LeBron James und Gisele Bündchen das Filmplakat von „King Kong“ nachstellen ließ.

Vergessen. „Es gibt im Moment keine Person in der Mode, die ihr nur annähernd das Wasser reichen kann“, sagt die Autorin Amy Odell, die in ihrer bei uns am 20. September erscheinenden Biografie „Anna“ die Machtgeheimnisse der Medienmatriarchin ergründet. Entscheidend für Wintours Erfolg:

Die heiligen drei Modeköniginnen: Anna Wntour, „Zara“-Erbin Marta Ortega und Designerin Diane von Fürstenberg im Jahr 2019 (v.l.).
Die heiligen drei Modeköniginnen: Anna Wntour, „Zara“-Erbin Marta Ortega und Designerin Diane von Fürstenberg im Jahr 2019 (v.l.). © AFP | Jamie McCarthy

Lebenslange Lernfähigkeit: 2020 entschuldigte sie sich dafür, „Bilder und Geschichten gedruckt zu haben, die verletzend oder intolerant“ waren: „Ich übernehme die volle Verantwortung.“ Doch ewig zerknirscht ist sie nicht. Sie blickt nach vorne – und ändert.

Kontaktfreude: „Sie hat in den 34 Jahren ein außergewöhnliches Netzwerk aufgebaut, das weit über die Modebranche hinausreicht, sie kennt Politiker, Sportler“, sagt Odell. Serena Williams bittet sie privat um Rat. Bradley Cooper schickte ihr das Drehbuch für „A Star Is Born“ und fragte Wintour, ob er Lady Gaga dafür besetzen solle.

Arbeitsethik: „Wintour steht um vier auf, gibt Order per E-Mail, liest die Nachrichten, trainiert, lässt sich Haar und Make-up machen und dann ins Büro fahren, wo ihre Assistentinnen vorbereitet in den Startlöchern stehen“, sagt Odell.

Effizienz: Wintour hasst es, Zeit zu verschwenden, so die Biografin. „Wer eine 15-minütige Audienz von ihr bekommt, kann sich glücklich schätzen.“ Ein Businesslunch beendet sie nach 45 Minuten. Immer. Aber sie lässt Leute auch nicht warten, antwortet und entscheidet schnell. Small Talk hebt sie sich für Dinnerpartys auf.

Mut zu Veränderungen: „Als sie anfing, änderte sie die Modefotografie komplett“, sagt Odell. Vorher waren romantische Fotos von Frauen zu sehen, die Pferde streichelten und Zweige im Haar hatten. Unter Wintour waren es Großstädterinnen, die ein Taxi heranwinkten.

Selbstvertrauen: „Hab eine Haltung. Vertraue deinem Geschmack und kultiviere ihn“, riet sie Studentinnen der Oxford-Uni.

Privatheit: Ihren Noch-Ehemann Shelby Bryan, ein Geschäftsmann (Trennung 2020), hielt die zweifache Mutter aus der Öffentlichkeit raus. Sie soll humorvoll und familienorientiert sein. Tierfreunde stimmt auch die private Anna nicht versöhnlich: Sie liebt Büfetts mit viel Fleisch.

Dieser Text erschien zuerst auf morgenpost.de