Oldenburg. Der ehemalige Krankenpfleger Niels Högel sagt erstmals als Zeuge gegen seine früheren Vorgesetzten aus. Doch kann man ihm glauben?

Der Todespfleger kennt den Weg. Justizbeamte fahren ihn am Dienstagmorgen vom Oldenburger Gefängnis, wo Niels Högel seine lebenslange Haft in einer keine zehn Quadratmeter kleinen Zelle absitzt, zur Weser-Ems-Halle. Der 45-jährige Serienmörder betritt den abgetrennten Saal ohne Handschellen. Er war schon mal da.

Wegen des großen öffentlichen Interesses fand in dem Kongresszentrum 2019 bereits der aufsehenerregende Mordprozess statt, an dessen Ende Högel verurteilt wurde. Am Dienstag ist er nicht Angeklagter, sondern Zeuge: Er soll aufklären, ob seine ehemaligen Chefs eine Mitschuld am Tod der fast 100 Patienten tragen, die Högel nachweislich zwischen 2000 und 2005 mit Medikamenten zu Tode gespritzt hat, um sich als Retter zu profilieren.

Doch es gibt ein Problem: Weil er als narzisstisch und als notorischer Lügner gilt, ist es schwer einzuschätzen, ob seine Aussagen belastbar sind. „Als Zeuge haben Sie die Wahrheit zu sagen“, mahnt der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann. Mehr zum Thema: Die 91 Morde des Niels Högel: Warum ihn niemand stoppte

Högel weiß nicht, wie oft er mordete

Auf die Frage des Richters, wie viele Menschen er getötet habe, antwortet der des Mordes an mindestens 91 Patienten für schuldig befundene Högel, er wisse, weshalb er verurteilt worden sei. „Ich könnte aber niemals sagen, ob das die endgültige Zahl ist. Das kann ich wirklich nicht sagen.“

Niels Högel (l.) auf dem Weg zum Gerichtssaal.
Niels Högel (l.) auf dem Weg zum Gerichtssaal. © dpa | Hauke-Christian Dittrich

Der Prozess richtet sich gegen sieben Angeklagte. Konkret geht es um acht Fälle: drei Morde im Oldenburger Klinikum sowie drei Morde und zwei Mordversuche in Delmenhorst. Für die sechs Morde wurde Högel 2019 verurteilt, für die beiden Mordversuche bereits 2006 und 2015.

Das Landgericht will klären, ob die früheren Vorgesetzten – drei Ärzte, drei leitende Pflegerinnen und Pfleger sowie ein Ex-Klinik-Geschäftsführer – diese Verbrechen wirklich mit an „Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ hätten verhindern können, weil sie entsprechende Hinweise nicht ­adäquat weitergaben, wie es Staatsanwältin Gesa Weiß formuliert.

Doch auf dem Zeugenstuhl entlastet Högel die Angeklagten eher, als dass er sie – wie von vielen Hinterbliebenen der Opfer erhofft – belastet. So widerspricht er der Darstellung, er habe während seiner Oldenburger Zeit eine Station verlassen müssen. Das spräche für die Erkenntnis der Klinik, dass von Högel eine Gefahr für die Kranken ausging. Am Dienstag sagt er stattdessen, er habe die Station auf eigenen Wunsch verlassen und sei keineswegs gedrängt worden. Lesen Sie hier: Serienmörder Högel: Bringt der neue Prozess alles ans Licht?

Högels „hohe Lügenneigung“

In der Befragung durch die Anwälte der Angeklagten zeigt Högel Wissenslücken. Er habe sich nicht weiter inhaltlich auf den Prozess vorbereitet, weil er „möglichst objektiv“ als Zeuge helfen wolle, sagt er. Ihm sei zwar bekannt, wer angeklagt sei und dass es um Totschlag durch Unterlassen gehe. Doch um wie viele Todesfälle es genau gehe und wie die jeweiligen Opfer hießen, wisse er nicht.

Die Frage des Berliner Rechtspsychologen Max Steller, der Högel eine „hohe Lügenneigung und eine hohe Lügenbereitschaft“ attestiert, ob er das 2019 gegen ihn verhängte Urteil intensiv gelesen habe, bejaht der Zeuge. Auf die Nachfrage, wie lang das Urteil sei, erwidert Högel, es müssten „um die 20 Seiten“ sein. Tatsächlich umfasst das Urteil 149 Seiten. Auch interessant: Patientenmörder Niels Högel: Deshalb tötete er regelmäßig

Allzu glaubwürdig klingt das nicht. Der Prozess geht weiter, insgesamt sind 42 Verhandlungstage angesetzt.