Markus Söder will Corona-Lockerungen. Olaf Scholz bleibt dagegen im “Team Vorsicht“ – zu Recht, meint unsere Autorin Julia Emmrich.

Wenn gegnerische Spieler nach dem Abpfiff die Trikots tauschen, ist das hygienisch etwas heikel, zeigt aber, dass alles eben doch nur ein Spiel ist, dass man sich schätzt und achtet. In der Politik ist so ein Trikottausch dagegen schwierig. Wer in der Pandemie die ganze Zeit im Team Vorsicht gespielt hat und dann mal eben das Trikot tauscht, um im Team Freiheit mitzumachen, muss sich Fragen gefallen lassen.

Besonders, wenn man Markus Söder heißt und seit Jahren dafür bekannt ist, dass man ganz gerne mal das Trikot tauscht, wenn es gerade Vorteile bringt.

In diesen Tagen ist ein besonders interessanter Trikottausch zu beobachten: Noch vor wenigen Wochen verlangte der bayrische CSU-Ministerpräsident von Bundeskanzler Scholz, die epidemische Notlage mit all ihren harten Lockdown-Optionen wieder auszurufen. Scholz weigerte sich und setzte auf moderate Maßnahmen. Söder und viele andere Spitzenleute der Union fanden das unverantwortlich.

Julia Emmrich, Politik-Korrespondentin
Julia Emmrich, Politik-Korrespondentin © Anja Bleyl

Jetzt, Anfang Februar, hat sich der Wind gedreht. Nahezu täglich meldet sich Söder mit Lockerungsideen zu Wort. Mehr Optionen für Großveranstaltungen, Abschaffung von 2G im Handel, Abschaffung der Testpflicht für Restaurantbesuche.

Diesmal ist es Scholz, der auf die Bremse tritt. Lockerungen seien erst möglich, wenn die Infektionszahlen wieder sinken, Entscheidungen über einzelne Öffnungsschritte könne es nach dem Höhepunkt der Infektionen geben. An dem Punkt sei Deutschland noch nicht.

Erst, wenn die Infektionszahlen sicher sinken, gibt es Entwarnung

Scholz trägt im Moment das in zwei Jahren Pandemie ziemlich strapazierte Trikot des Teams Vorsicht. Zu Recht. Denn noch steigen die Infektionszahlen. Noch ist nicht sicher, ob die Kliniken die Lage weiterhin stemmen können. Mitte Februar, wenn Bund und Länder das nächste Mal zusammenkommen, wird der Höhepunkt der Welle aller Voraussicht nach noch nicht erreicht sein.

Sicher, es ist vollkommen legitim, über mögliche Lockerungsschritte zu reden. Wer jetzt aber die Erwartung schürt, dass die Länderchefs Mitte Februar die große Freiheit ausrufen, kann schnell das Erreichte verspielen. Erst, wenn die Infektionszahlen sicher sinken, gibt es auch Entwarnung in den Kliniken.

Man darf ja nicht vergessen: Deutschland ist es mit den aktuellen Beschränkungen gelungen, die Omikronwelle abzuflachen. Was auf keinen Fall jetzt passieren darf, ist folgendes Szenario: Die Länder lockern – und es geht nach hinten los. Die Welle wird nicht nur höher, sondern dauert auch länger. Das darf nicht passieren.

Die Frage der Lockerungen darf nicht die Frage des Schutzes überwiegen

Lockerungen, so warnen die Intensivmediziner, würden wieder mehr Ungeimpfte auf Intensivstationen führen. Der Notfallmediziner Janosch Dahmen, der sich in der Pandemie zu einem der wichtigsten Gesundheitsexperten der Grünen entwickelt hat, warnt Team Freiheit mit einem sportlichen Vergleich: Wer in der aktuellen Lage vorschnell und weitgehend lockere, würde sich verhalte wie ein Trainer, der in der Halbzeit die komplette Abwehr in der Kabine lassen würde. Erwartetes Ergebnis: Der Gegner dreht das Spiel.

Es ist vollkommen richtig, dass Bund und Länder nicht erst über das Lockern nachdenken, wenn die Welle vorbei ist, sondern rechtzeitig Pläne entwickeln. Doch man muss kein Psychologe sein, um zu ahnen, was passiert, wenn die Frage der Lockerungen die Frage des Schutzes überwiegt: Die Vorsicht schwindet, die längst bröckelnde Disziplin auch. Das Virus wartet nur darauf.