Berlin. Die Skepsis gegenüber Astrazeneca ist groß. Zahlreiche Senioren lassen ihre Impftermine ausfallen. Was kann man dagegen unternehmen?

  • Der Astrazeneca-Impfstoff sorgte wochenlang für Schlagzeilen
  • Erst sollten nur jüngere Menschen mit dem Corona-Vakzin geimpft werden - dann nur noch ältere
  • Grund dafür sind seltene Hirnvenenthrombosen. Viele Senioren sind jetzt verunsichert

Regina F. hätte schon längst geimpft sein können. Bereits Anfang April erhielt die 64-jährige Berlinerin einen Anruf von ihrem Hausarzt. Er hätte sie gleich zwei Tage später in seiner Praxis impfen können. Doch die 64-jährige lehnte ab, und das, obwohl sie sehr wohl gegen Corona geimpft werden möchte. „Nur eben nicht mit Astrazeneca“, erläutert F., die ihren vollständigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

Dabei zählt die Berlinerin zur Gruppe der Menschen, für die die Ständige Impfkommission (Stiko) Astrazeneca ohne Vorbehalte empfiehlt. F. ist 64 Jahre alt und hat keine Vorerkrankungen. Die schweren Nebenwirkungen, wie etwa Hirnvenenthrombosen, treten bei Menschen über 60, nach offiziellen Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts, extrem selten auf.

Auch die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) steht weiterhin hinter Astrazeneca. „Der Impfstoff rettet Leben“, bilanzierte der leitende Ema-Datenanalytiker Peter Arlett kürzlich. Zudem soll Astrazeneca besonders wirksam gegen die weit verbreitete britische Mutation B1.1.7 sein.

Abgesagte Impftermine, liegengebliebene Impfdosen

Trotzdem lehnt F. das Angebot für Astrazeneca strikt ab. „Das ganze Hin und Her um diesen Impfstoff hat mich einfach extrem verunsichert“, erklärt die 64-Jährige. Die Angst vor Astrazeneca kann ihr auch ihr Hausarzt nicht nehmen. Also hat sich die Berlinerin dafür entschieden, zu warten. Und zwar auf Biontech oder Moderna. „Lieber warte ich, bis ich einen mRNA-Impfstoff erhalte, als mich mit Astrazeneca impfen zu lassen“, schlussfolgert die Berlinerin. Wie lange das noch dauern soll, das weiß die 64-Jährige aber nicht.

Regina F. ist kein Einzelfall. Immer mehr Menschen aus der Altersgruppe 60+ lehnen ihren Impftermin mit Astrazeneca ab und versuchen mit verschiedenen Begründungen an eine Biontech-Impfung zu kommen. Alleine das Land Hessen berichtet, dass in seinen Impfzentren bis zu 50 Prozent der Impftermine mit Astrazeneca nicht wahrgenommen werden. Inzwischen haben viele Bundesländer, darunter auch Bayern, Sachsen und Berlin, das Vakzin für alle Altersgruppen freigegeben – unter anderem auch, weil immer wieder Impfdosen des Präparats liegen geblieben sind.

„Bis zu 50 Prozent der Impfwilligen haben Bedanken zu Astrazeneca“

„Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass etwa 50 Prozent der Menschen, die ein Angebot für Astrazeneca erhalten, Bedenken zu diesem Impfstoff haben“, sagt Dr. Hans-Michael Mühlenfeld, Vorstandsvorsitzender des Instituts für hausärztliche Fortbildung im Deutschen Hausärzteverband. Das Vakzin hat in seinen Augen von Anfang an einen erheblichen Imageschaden erlitten, von dem sich der Impfstoff nur schwer wieder erholen kann.

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„Rational betrachtet fällt die Nutzen-Risiko-Abwägung eindeutig zugunsten von Astrazeneca aus“, sagt Mühlenfeld. Trotzdem plädiert der Mediziner dafür, die Bedenken von älteren Menschen, die sich gegen Astrazeneca entscheiden, ernst zu nehmen und für sie Verständnis zu haben: „Die Wahrscheinlichkeit einer schweren Komplikation wie der Hirnvenenthrombose ist sehr gering. Die Häufung ist aber trotzdem statistisch auffällig.“

Akzeptanz durch Gespräch steigern

Laut Paul-Ehrlich-Institut wurden in ganz Deutschland bisher 63 Fälle einer Hirn-/Sinusvenenthrombose im Zusammenhang mit Astrazeneca bei rund 4,8 Millionen Erstimpfungen registriert. In 55 Fällen lag das Alter unter 60 Jahren. Zwölf Menschen starben daran, sechs Frauen und sechs Männer.

„Man sollte den Menschen ihre individuelle Entscheidung nicht absprechen, wenn sie Astrazeneca kategorisch ablehnen und als Arzt muss ich das Risiko für meine Patienten abwägen können“, beteuert der Mediziner. Eine transparente und verständnisvolle Erklärung in einem persönlichen Gespräch könne die Akzeptanz für Astrazeneca in der Regel zumindest auf etwa 80 Prozent steigern. „Das erfordert aber natürlich viel Zeit“, sagt Mühlenfeld.

Christian Drosten: Ältere Menschen sollten jetzt nicht wählerisch sein

Weniger Verständnis für abgelehnte Impftermine und wählerische Senioren zeigt dagegen Christian Drosten, Chefvirologe der Berliner Charité. „Im ganzen Land haben sich die jüngeren Leute in ihrem Leben eingeschränkt, mit Rücksicht auf die Älteren. Da sollte man jetzt als jemand, der älter ist, nicht wählerisch sein und nicht die Impfgeschwindigkeit dadurch verzögern, indem man sagt: Ich will jetzt noch nicht geimpft werden“, sagt Drosten in der aktuellen Folge des NDR-Podcasts. Der Virologe befürchtet, solche Rosinenpickerei würde die Impfkampagne deutlich verzögern.

Doch ist es wirklich so? Bleiben zum Schluss so viele Dosen von Astrazeneca liegen, dass die im schlimmsten Fall sogar weggeschmissen werden müssen? „Wenn jemand die Impfung nicht annehmen möchte, wird sie dem Nächsten angeboten, der an der Reihe ist“, erklärt Mühlenfeld. Jede Hausarztpraxis würde über Patientenlisten verfügen „Und es gibt nach wie vor genügend Menschen, die sich mit Astrazeneca impfen lassen möchten“, beteuert der Mediziner. Damit kein Impfstoff verworfen werde, könne man auch geeignete Kandidaten aus nachfolgenden Prioritätsgruppen vorziehen. „Das muss pragmatisch vor Ort geregelt werden“, so Mühlenfeld.

Damit Menschen ihre Impftermine mit Astrazeneca weniger ablehnen, müsste man das Vertrauen der breiten Bevölkerung zurückgewinnen. Doch wie soll das funktionieren? „Hausärzte können nicht plötzlich Astrazeneca rehabilitieren“, sagt Mühlenfeld. Vielmehr sei die Politik gefragt: „Dass die Bundeskanzlerin sich mit Astrazeneca hat impfen lassen, hat bestimmt viele Menschen ermutigt. Aber es braucht noch mehr Politiker, die sich aktiv für diesen Impfstoff entscheiden.“