Brasilia/Mexiko-Stadt. Senioren bekamen in Brasilien oft gar kein Vakzin gespritzt. In vielen Staaten Lateinamerikas fliegen nun Betrügereien aller Arten auf.

Es sind beängstigende Szenen, die sich in Brasilien in den vergangenen Tagen mehrfach wiederholt haben. Ein Seniorenpaar oder ein Rentner, begleitet von einem Kind oder Enkel, fahren im Auto beim Impfzentrum vor.

Auf dem Beifahrersitz rollen ein alter Mann oder eine betagte Frau den Ärmel hoch, und eine Impfhelferin im Schutzanzug drückt dem Patienten routiniert eine Spritze vorgeblich mit dem Corona-Vakzin in den Oberarm. Es wirkt professionell und routiniert – und ist doch ganz offensichtlich häufig ein Betrug, der in dem von Covid-19 so stark gebeutelten südamerikanischen Land immer mehr um sich greift.

Impfhelfer wollen Corona-Vakzin vermutlich für sich oder Verwandte nutzen

Denn vielfach sind diese Impfungen wahrhafte Luftnummern, das heißt Impfungen, in denen gar kein Schutzpräparat injiziert wird. Die Krankenschwester oder der Impfhelfer haben entweder gar kein Vakzin in der Spritze aufgezogen – oder sie verimpfen den Inhalt der Spritze gar nicht unter die Haut, sondern lassen ihn im Kolben.

Mutmaßlich wollten die Impfhelfer das Impfstoff für sich oder Angehörige nutzen oder es auf dem Schwarzmarkt verkaufen, vermuten die Behörden.

Impfbetrug mit Corona-Vakzin flog in Brasilien mehrfach auf

Diese Art von „Drive-by-Impfung“ in mobilen Impfzentren, bei welcher der Patient gar nicht aus dem Auto aussteigt, sind in Brasilien sehr verbreitet. Aufgefallen sind diese Betrügereien jetzt mehrfach, nachdem die Patienten zuhause noch mal in Ruhe die Handyvideos der angeblichen Immunisierung angeschaut und dabei festgestellt haben, dass sie um ihre Schutzimpfung betrogen wurden.

Besonders dramatisch ist ein Fall aus Petrópolis in der Nähe von Rio de Janeiro. Eine Greisin von 94 Jahren dachte, sie sei gerade gegen Covid-19 geschützt worden, aber ihre Spritze war leer.

Impfbetrügerin droht bis zu vier Jahre Gefängnis

Auf dem Video, das ihre Kinder machten, sieht man, dass die Helferin Probleme mit der Schutzkappe der Spritze vorgibt und diese dann gegen eine angeblich neue austauscht. Diese andere Spritze aber enthält gar kein Vakzin und wurde der alten Frau dann also „leer“ gesetzt.

Die Impfhelferin sah nicht, dass ihr Betrug gefilmt wurde, da sie sich nicht so weit ins Auto beugte, um den filmenden Fahrer sehen zu können. Die Täterin verteidigte sich mit dem Argument, sie sei wegen des Dauerstresses der Akkord-Impfungen übermüdet gewesen und habe einen Fehler gemacht.

Sie habe aber nicht vorgehabt, das Vakzin zu unterschlagen. Laut Staatsanwaltschaft drohen der Frau dennoch nun bis zu vier Jahren Gefängnis.

Behörden: Angehörige sollen Impfung dokumentieren

Brasilianische Medien nennen diese Betrügereien "Windimpfungen", und sie sind eindeutig und vielfach belegt aus den Bundesstaaten Rio de Janeiro, São Paulo, Goiás, Alagoas und dem besonders dramatisch unter Corona leidenden Staat Amazonas mit seiner Hauptstadt Manaus.

Dort wurden in vielen Städten nachweislich Scheinimpfungen verabreicht. Mittlerweile empfehlen die Behörden sogar ausdrücklich, dass die Angehörigen das Verabreichen des Impfstoffs dokumentieren und bei Zweifeln sofort zum Zentrum zurückkehren und Anzeige erstatten sollen.

Brasiliens rechtsextremer Präsident hält nichts von Impfungen

Der Skandal trifft ein Land, das erstens wie kaum ein anderes unter Covid-19 leidet und wo die Immunisierung zudem erst spät (17. Januar) und sehr holperig angelaufen ist, weil der ultrarechte Präsident Jair Bolsonaro nichts von Impfungen hält und sie lange auf allen politischen und administrativen Ebenen bekämpft hat.

Bis heute haben nach internationalen Erhebungen erst 3,3 Prozent der 211 Millionen Brasilianer ihre erste Dosis erhalten. Zudem kommen die Impfstoffe nur sehr langsam und in geringer Zahl ins Land, weil die Regierung sehr spät Verträge mit den Pharmaherstellern abgeschlossen hat. Große Städte wie Rio de Janeiro oder Salvador de Bahía mussten ihre Impfkampagnen zeitweise ganz einstellen.

Das größte Land Lateinamerikas hat laut Johns-Hopkins-Universität mit über 254.000 Toten die zweitmeisten Opfer nach den USA zu beklagen und verzeichnet mit 10,5 Millionen die drittmeisten Infizierten nach den USA und Indien.

Auch in anderen südamerikanischen Ländern gab es Impfskandale

Proteste gegen "VIP-Impfungen" in Argentinien

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    Andere Impfskandale haben in den vergangenen Wochen auch Peru, Ecuador und Argentinien erschüttert. In Peru mussten die Außen- und die Gesundheitsministerin zurücktreten, weil sie sich vorzeitig impfen ließen.

    In Ecuador stolperte der Gesundheitsminister über Vetternwirtschaft beim Immunisieren. Auch in Argentinien hatte der Ressortchef politischen Freunden ermöglicht, sich außer der Reihe vorschnell zu impfen.

    Einzig im kleinen Chile läuft alles nahezu vorbildhaft. Dort sind die Impfungen weitgehend skandalfrei, bestens organisiert und auch Vakzine sind genügend vorhanden. In dem kleinen Land ist bald ein Fünftel der 19 Millionen Menschen immunisiert. Chile könnte das erste Schwellenland sein, das Herdenimmunität erlangt.