Washington. Eine Doku könnte Woody Allen endgültig vom Sockel holen. Der Verdacht wird erhärtet, der Regisseur (85) habe seine Tochter missbraucht.

„Was hat Papa gemacht? Wo hat er Dich berührt?“ Mit diesen von einer Videokamera aufgenommenen Fragen, gestellt im August 1992 von Mia Farrow an ihre damals sieben Jahre alte Adoptiv-Tochter Dylan, beginnt die am schwersten erträgliche Sequenz einer neuen TV-Dokumentation. Sie könnte geeignet sein, Woody Allen endgültig vom Sockel zu holen. Wenn man denn zu denen gehört, die den preisgekrönten Filme-Macher (85) für einen Sexual-Verbrecher und Lügner halten.

In der vor „Allen v. Farrow“ (US-Sender HBO, bis 14. März) noch nie öffentlich zu sehen gewesenen Aufnahme zeigt das verlegen mit einer Haarsträhne spielende Mädchen auf ihren Unterleib und sagt zu ihrer Mutter: „Er hat meine Genitalien angefasst. Und er hat gesagt: ,Beweg dich nicht, ich muss das machen. Wenn Du still bleibst, können wir nach Paris fahren’.“

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„Allen v. Farrow“: Jahrzente andauernde Auseinandersetzung

Seit Jahrzehnten ist diese Urwunde eines Er-sagt-sie-sagt-Familien-Dramas hollywoodscher Größe bekannt. Und man hatte sich fast daran gewöhnt hatte, dass die volle Wahrheit wohl nie herauskommen wird. Auch weil Woody Allen, zwölf Jahre Lebens- und Film-Partner Farrows gewesen und Adoptiv-Vater Dylans, bis heute alles dementiert, was sich auf dem Dachboden von Farrows Farm-Haus im idyllischen Bridgewater im US-Bundesstaat Connecticut am 4.8.1992 zugetragen haben soll.

Sein Vorhalt jedoch, Mia Farrow habe die geschilderte Szene mit Dylan akribisch einstudiert, um ihn zu dämonisieren, gerät nach der sehenswürdigen vierstündigen Arbeit von Kirby Dick, Amy Ziering und Amy Herdy in die Schusslinie.

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Die Stärke der Film-Autoren, die sich schon bei der Aufdeckung sexueller Gewalt an Universitäten und im Militär Meriten erworben haben, liegt neben der nicht nach Effekten heischenden Erzählweise im Zutagefördern kleinster Details aus Polizei-Unterlagen, Vernehmungsprotokollen, Interviews mit Hausbediensteten, Familien-Mitgliedern, Babysittern und Ermittlern.

Woody Allens Opfer-Pose wird durch HBO-Doku in Frage gestellt

Was dadurch bekannt wird, setzt zumindest Fragezeichen hinter Woody Allens Opfer-Pose. Danach habe Mia Farrow den sexuellen Übergriff erfunden. Als Rache dafür, dass sie Anfang 1992 in Allens New Yorker Wohnung auf Nacktfotos ihrer damals 21 Jahre alten Adoptivtochter Soon-Yi Previn gestoßen war, mit der Allen eine Affäre unterhielt, die 1997 in eine Ehe mündete.

Akribisch arbeiten die Dokumentar-Filmer heraus, dass der damals federführende Staatsanwalt Frank Maco sehr wohl genügend Indizien sah, um Allen anzuklagen. Er verzichtete nach eigenen Worten darauf, weil Dylan Farrow einer „weiteren Traumatisierung“ durch einen Gerichtsprozess nicht standgehalten hätte.

Bizarr in diesem Zusammenhang: Warum die Aufzeichnungen, die die Kinder-Psychologinnen des Yale-New Haven-Krankenhaus von ihren neun (!) Anhörungen binnen sieben Monaten mit Dylan Farrow anfertigten, vernichtet und nicht der Staatsanwaltschaft übergeben wurden, ist bis heute ein Rätsel.

Mia Farrow mit ihrer Tochter Dylan O Sullivan Farrow.
Mia Farrow mit ihrer Tochter Dylan O Sullivan Farrow. © imago images/Future Image | imago images/Future Image

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Doku „Allen v. Farrow“: Drei Babysitter melden sich zu Wort

Die kolportierte Substanz ihrer Anamnese, Dylan habe die sexuelle Belästigung erfunden, wird in der Film-Doku von vielen Experten angezweifelt. Drei Babysitter, die noch nie öffentlich ausgesagt haben, berichten, dass Woody Allen und Dylan an dem besagten Sommer-Tag für 20 Minuten im Haus am See wie vom Erdboden verschwunden waren.

Dick, Ziering und Herdy schenken in ihrem Werk, in dem viele Heim-Videos und Gesprächsmitschnitte zwischen Allen und Farrrow eine ungeheure Wirkung entfalten, einer Facette besondere Aufmerksamkeit: Woody Allen war zu Beginn der Beziehung mit Farrow dezidiert uninterressiert an Kindern und der Vater-Rolle. Zu Dylan pflegte er gleichwohl von Minute eins an ein Verhältnis, das Psychologen und Richter später als „unangemessen intensiv“ bezeichneten. Er war deswegen in psychologischer Behandlung. Dylan sagt es so: „Ich war immer in seinen Fängen. Er hat mich immer verfolgt.“

Allen verweigerte den Film-Machern ein Interview. Auch Soon-Yi kooperierte nicht. Beide sprachen nach Ausstrahlung der ersten von vier Folgen von einem „lausigen Machwerk voller Fehler“. Dylan Farrow, inzwischen 35 und Mutter eines vierjährigen Kindes, hat unterdessen ihren ersten Roman veröffentlicht, der auch auf Deutsch erschienen ist. In „Hush“ schreibt sie, dass ihre Familie von „einem mächtigen Individuum angegriffen wurde, das unser Leben und unsere Glaubhaftigkeit ruinieren wollte“. Man muss nicht lange raten, wer gemeint ist.

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