Berlin. Viele Wintersportler wollen sich trotz Corona-Pandemie ihren Skiurlaub nicht nehmen lassen. Droht jetzt ein weiteres Ischgl-Szenario?

Schneeschuhe und Tourenskier sind in den Alpen vielerorts ausverkauft. Jürgen Schmude kann das unschwer deuten. „Ausweichbewegungen“, nennt der Professor für Wirtschaftsgeografie und Tourismusforschung an der Universität München dieses Phänomen.

Tatsächlich stellen sich Wintersportler derzeit darauf ein, dass die Skipisten- und Lifte über das Ende des Lockdowns am 10. Januar hinaus geschlossen bleiben. Dann schnallen sie sich die Schneeschuhe an die Füße und gehen ins Gelände: Wandern, Langlauf, rodeln. „Wir rechnen damit, dass die Menschen wieder ins Gebirge gehen“, bestätigt Roland Ampenberger von der Bergwacht.

Tourismusforscher Schmude befürchtet im Gespräch mit unserer Redaktion, dass darunter „ein hoher Anteil ungeübter Skitourengeher sein könnte“. Das sei nicht ohne Risiko, jedenfalls in Lawinengebieten und Wildschutzzonen.

Corona und Skiurlaub: Nicht Skifahren ist das Problem

Ski und Corona, da war doch was? Mehrere Hundert Touristen aus Europa haben sich im Tiroler Skiort Ischgl im Februar und März mit Covid-19 angesteckt. Ein „Horrorbild“, sagt Schmude, „für die Branche: vernichtend“. Das Skifahren an sich sei nicht das Problem, aber das nebeneinander Anstehen und die Verpflegung. Und das Vergnügen danach: das „Après Ski“.

„Schon das Weihnachtsgeschäft ist flöten gegangen. Das allein macht schätzungsweise 30 Prozent des Umsatzes im Wintertourismus aus“, erläutert Schmude. Gemeint ist der Urlaub über die Feiertage bis zum 10. Januar. Die Betreiber von Hotels, Restaurants, Kneipen, Sportgeschäften und Seilbahnen fragen sich, ob sie die Saison ganz abschreiben müssen.

In der Schweiz sind Skireviere wie St. Moritz und Davos offen, aber immer mehr Kantone schließen ihre Pisten. Tschechien öffnete die Skigebiete am 18. Dezember, Österreich folgte am Heiligabend. Lesen Sie auch: Corona-Versicherung und Storno-Option: Tui stellt neue Tarife vor

Normalerweise zieht es 60 Prozent der deutschen Skitouristen nach Österreich – ein ökonomischer Faktor für die Alpenrepublik. Bis zuletzt wurde daher um die Rahmenbedingungen zur Öffnung der Lifte gerungen. Und da kamen sie auf, die wirklich drängenden Skisportfragen, die ein jeder kennt, der es schon einmal eilig hatte mit drei Kleiderschichten, Latzhose und Skistiefeln an den Füßen: Hotels zu, Hütten zu, wo sollen die Gäste also ihre Notdurft verrichten? Und: Ist ein Sessellift mit Wetter-Schutzhaube ein „geschlossenes Fahrmittel“?

Abgesehen davon ist ein Skiurlaub in Österreich durch die verschärften Einreiseregelungen nicht attraktiv. Wer aus einem Land mit einer über 100 liegenden 7-Tage-Inzidenz kommt, muss für zehn Tage in Quarantäne. Freitesten kann man sich erst nach fünf Tagen.

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Das gute Wetter lockte die Österreicher massenhaft an die Lifte

Und obwohl damit der Massentourismus faktisch tot ist, lockte das gute Wetter am vergangenen Wochenende die Österreicher in so großer Zahl an die Lifte, dass Abstandsregeln nicht mehr eingehalten werden konnten. In Oberösterreich wurden daher Parkplätze begrenzt und mehr Ordner eingesetzt.

Am Wochenende gab es in Österreich wegen des guten Wetters teils so große Verkehrsstaus, dass einige Skigebiete die Notbremse zogen und den Zutritt sperrten.
Am Wochenende gab es in Österreich wegen des guten Wetters teils so große Verkehrsstaus, dass einige Skigebiete die Notbremse zogen und den Zutritt sperrten. © dpa

In Deutschland sind die Lifte erst gar nicht geöffnet. Trotzdem war auch in den Mittelgebirgen wie Sauerland, Thüringer Wald und Schwarzwald über die Feiertage teilweise zu viel los – die Menschen kamen zum rodeln, spazieren gehen und wandern.

Die Versuchung, die Saison halbwegs zu retten, dürfte groß sein, zumal mit Blick auf den Februar, wenn in neun deutschen Bundesländern mehrtägige Winterferien beginnen, in der Regel eine Woche, in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern zwei.

„Im Moment ist Winterurlaub schwer vorstellbar“, sagt einer, der selbst Ski fährt: Thomas Bareiß (CDU), parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und Tourismusbeauftragte der Bundesregierung. Man fahre auf Sicht, sagt er unserer Redaktion.

Für viele Regionen ist der Skitourismus die Haupteinnahmequelle

Das ist womöglich Teil des Problems. Denn: „Die Unternehmen wie auch die Verbraucher brauchen Planungssicherheit. Für viele Regionen, vor allem in den Alpen, ist der Skitourismus die jährliche Haupteinnahmequelle“, sagt Bareiß. Laut Bundesverband der Deutschen Sportartikel-Industrie gehen elf Millionen Deutsche Jahr für Jahr zum Skifahren, Snowboarden oder Langlaufen und geben fast 13 Milliarden Euro für Skifahren und Snowboarden aus.

Von der Ministerpräsidentenkonferenz am 5. Januar erwartet Bareiß „ein klares Signal und Regelungen für den Winter- und Skitourismus, die nachvollziehbar sind. Die Branche muss wissen, woran sie ist und auf was sie sich einstellen muss.“ Die betroffenen Regionen bräuchten Hilfszusagen für den Fall, dass der Lockdown über den 10. Januar hinaus verlängert werde. „Die Gesundheit geht vor, keine Frage. Aber als Tourismusbeauftragter liegt mir viel daran, dass bisher gesunde Unternehmen die Auswirkungen der Pandemie überstehen“, so Bareiß.

Wenn der gesamte Wintertourismus wegbricht, sind die Folgen nicht für alle Skiresorts gleich, erläutert Schmude. „Manche sind fast vollständig auf den Winter angewiesen, andere haben auch eine Sommersaison.“ Für Hoteliers, Gastwirte oder Sportgeschäfte steht kurzfristig Schadensbegrenzung im Vordergrund.

Im Sommer wird der Wunsch auf Reisen groß sein

„Sicher wird die erste Jahreshälfte 2021 für die Tourismuswirtschaft noch eine Ausnahmezeit sein“, sagt Bareiß. Er sei davon überzeugt, „sobald sicheres Reisen wieder möglich ist, wird die Reisewirtschaft einen Boom erleben. Der Wunsch auf Reisen und Urlaub wird so groß sein, wie schon lange nicht mehr. “

Ungeachtet des (Zweck?)Optimismus ist unklar, wie viele Skifahrer nach der Pandemie an ihr Hobby festhalten werden; ob der Winter 2020/21 für die Tourismusbranche womöglich zum Filmriss wird. In Befragungen vom bayrischen Zentrum für Tourismus gaben ein Drittel der Menschen an, sie würden ihr Reiseverhalten nach Corona ändern.

„Sicherheit und Hygiene werden über die Pandemie hinaus wesentliche Einflussfaktoren bleiben“, so Schmude.

Wie wird sich der Tourismus in der nächsten Zeit entwickeln?

Die Erreichbarkeit, die Rückkehrmöglichkeit spiele eine größere Rolle. Mit der Rückholaktion des Auswärtigen Amts im Frühjahr sei klar geworden: „Wenn ich in Neuseeland sitze, dann sitze ich unter Umständen noch drei Wochen dort, weil das mit der Rückholaktion so kompliziert ist.“

Der Wissenschaftler rechnet fest damit, „dass die Kurz- und Mittelstrecken gewinnen. Erst zieht der Binnentourismus an, dann kommt Europa zurück.“ Das hänge vom Pandemieverlauf ab; davon, wie in den Zielgebieten Impfstoffe verfügbar seien und das Infektionsgeschehen sei. „Was hilft mir, wenn Deutschland durchgeimpft wird, aber Spanien oder Bulgarien nicht?“