Bremerhaven. Ein Jahr lang driftete das Forschungsschiff in der Arktis mit einer Eisscholle. Jetzt kehrt die „Polarstern“ zurück nach Bremerhaven.

Nach einem Jahr in der Arktis ist das deutsche Forschungsschiff „Polarstern“ am Montag planmäßig in seinen Heimathafen Bremerhaven zurückgekehrt. Bei der Hafeneinfahrt begleiteten andere Schiffe die „Polarstern“ auf der Außenweser, im Hafengebiet warteten zahlreiche Schaulustige bei blauem Himmel und Sonnenschein. Es ist ein würdiger Abschluss für die spektakuläre Expedition namens „Mosaic“.

Im Rahmen der Forschungsreise wurden unzählige für die Klimaforschung wichtige Daten wurden gesammelt. Zehn Monate lang driftete die „Polarstern“, angedockt an eine riesige Eisscholle, durch die Arktis. Den gesamten Eiszyklus vom Gefrieren bis zur Schmelze messen und dokumentieren - das konnten die Wissenschaftler so zum ersten Mal. Sie versprechen sich von den Daten wichtige Erkenntnisse über das Nordpolarmeer und über den Klimawandel. Kaum eine Region auf der Erde bekommt diesen so deutlich zu spüren wie die Arktis.

Karliczek: Arktis ist das Epizentrum des Klimawandels

Die Forscherinnen und Forscher hätten einen einmaligen Datenschatz gehoben, „von dem noch Generationen nach uns profitieren werden“, teilte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek mit. „So können wir Klimamodelle präzisieren und neu bewerten.“ Die Forschungsministerin bezeichnete die Arktis als Epizentrum des Klimawandels.

Die „Mosaic“-Expedition war die bisher teuerste und logistisch aufwendigste im Nordpolarmeer. Die „Polarstern“ ließ sich dabei an einer Eisscholle festfrieren und trieb mit dieser monatelang durch die Arktis. Rund 3.400 Kilometer legten die Forscher so im Zick-Zack-Kurs zurück. Beteiligt waren 70 Forschungsinstitute aus 20 Ländern mit über 300 Forschern. „Mosaic“ wurde fast ein Jahrzehnt vorbereitet, dauerte insgesamt 389 Tage und kostete rund 140 Millionen Euro.

Deutsches Forschungsschiff Polarstern sticht in See

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    War die Eisscholle, mit der sich die „Polarstern“ bewegte, zu Beginn der Drift etwa 2,5 mal 3,5 Kilometer groß, schrumpfte sie im Sommer nach 300 Expeditionstagen auf einen Quadratkilometer. Sie zerbrach kurz darauf mit lautem Knall. Expeditionsleiter Marcus Rex erzählt, im Sommer habe die „Polarstern“ direkt am Nordpol auch erodiertes, dünnes, brüchiges Eis gesehen.

    Es sind Erlebnisse, die ihm und seinem Team in Erinnerung bleiben werden: „Wir haben zugesehen, wie in der Arktis das Eismeer stirbt“, berichtet der Expeditionsleiter. „Wenn es mit dem Klimawandel in der Arktis so weitergeht, wie es in der Vergangenheit abgelaufen ist, dann werden wir in wenigen Jahrzehnten im Sommer eine eisfreie Arktis haben.“

    Eisbären: Wächter schützten Forscher und Eisscholle

    Rex ist nun froh, dass die Reise für sein Team ohne größere Blessuren zu Ende gegangen ist. Das Schlimmste sei der Beinbruch eines Kollegen gleich am Anfang an Bord gewesen. Dazu kamen kleinere Erfrierungen im Gesicht bei einigen Teilnehmern - bei bis zu minus 42 Grad nichts Ungewöhnliches. „Die verheilten aber problemlos“, sagt Rex.

    Dabei hätte viel passieren können. Begegnungen mit Eisbären gab es auf der Scholle viele. An eine besonders brenzlige erinnert sich Rex: „Der Bär war nur noch 40 Meter vom Eisbärenwächter entfernt.“ Dem Wächter gelang es erst mit einem Schuss knapp über den Eisbärenkopf, das Tier zu verjagen. Damit die Wissenschaftler in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen konnten, sicherten Wächter die Scholle permanent ab. Meist vertrieb bereits Lärm die vierbeinigen Gäste.

    „World Press Photo Award“ für tierischen Besuch am Forschungscamp

    Am Abend des 10. Oktober 2019 war Fotografin Esther Horvath bei einem dieser tierischen Besuch an Bord. Vom Bug der „Polarstern“ aus fotografierte sie eine Eisbärenmutter und ihr Junges, die das Forschungscamp erkundeten. Das Bild gewann den renommierten „World Press Photo Award“ in der Kategorie „Umwelt“.

    Auch andere Tiere kamen vorbei. Christian Haas, Fahrtleiter der zweiten Etappe, erinnert sich: „Ein kleiner, niedlicher Polarfuchs hätte fast das ganze Projekt zum Scheitern gebracht, weil er mit Vorliebe Strom- und Datenkabel auf dem Eis angeknabbert hat und sich nicht vertreiben lassen wollte.“

    Fotografin Esther Horvath schwärmt von der Polarnacht

    Noch stärker als die Tiere beeindruckte Fotografin Horvath die Polarnacht. „Dieses tiefe Schwarz hat mich jeden Tag aufs Neue fasziniert, das war magisch“, sagt sie. Von Mitte Oktober vergangenen Jahres an war es durchgehend dunkel. „Auf der Scholle wurde im Licht der ‘Polarstern’ und der Kopflampen gearbeitet. Ich habe mich ständig wie in einer Kinoszene gefühlt.“

    Christian Pilz, Atmosphärenphysiker am Leibniz-Institut für Troposphärenforschung in Leipzig, hat das Gegenteil der Nacht erlebt: den Polartag. Er war im Sommer zwei Monate an Bord und hatte wegen der durchgängigen Helligkeit und Temperaturen um null Grad gute Arbeitsbedingungen. „In unseren roten Sicherheitsanzügen war es fast zu warm.“

    Das deutsche Forschungsschiff
    Das deutsche Forschungsschiff "Polarstern", nähert sich dem Nordpol. Die Polarstern ließ sich im Eis der Arktis einfrieren. © dpa | Steffen Graupner

    Corona-Pandemie führte fast zum Abbruch der „Polarstern“-Expedition

    Eigentlich hätte Pilz schon zwei Monate früher an Bord sein sollen. Doch mit dem Beginn der Corona-Pandemie war zunächst unklar, ob die „Mosaic“-Expedition fortgesetzt werden kann. Wegen der Reisebeschränkungen war der vorgesehene Austausch des Teams an Bord per Flugzeug nicht möglich. Stattdessen fuhren schließlich zwei Forschungsschiffe mit Wissenschaftlern von Bremerhaven aus los. Die „Polarstern“ unterbrach ihre Drift, die Mannschaften konnten in Spitzbergen ausgetauscht werden. Dann kehrte das Schiff zurück an die Scholle und setzte die Drift fort.

    Leiter Markus Rex ist mehr als zufrieden mit dem Verlauf der Expedition. „Nicht mal Corona hat uns aus der Bahn geworfen“, betont er. „Während der Abwesenheit der ‘Polarstern’ haben wichtige Messinstrumente autonom auf der Scholle weitergearbeitet.“ In dem gesamten Jahr seien unzählige Proben und Daten von Eis, Schnee, Wasser und Luft gesammelt worden. „Die werden noch künftige Generationen von Wissenschaftlern beschäftigen.“

    ARD zeigt Dokumentarfilm über „Polarstern“-Expedition

    Neben der vielen Arbeit gab es dabei auch Zeit für Spieleabende, Sport und Feste. Nicht nur Weihnachten wurde an Bord gefeiert, sondern auch Geburtstage, so wie der von Markus Rex im November. Auf der Scholle wurde eine Eisbar aufgebaut, bei minus 30 Grad gab es Glühwein. Rex: „Der erste Schluck ist noch warm, der zweite kalt und der dritte ist Eis.“

    Demnächst kann man die Reise der „Polarstern“ im Fernsehen noch einmal mitverfolgen: Das Erste zeigt den Dokumentarfilm „Expedition Arktis“ zu Beginn der ARD-Themenwoche „#WIELEBEN - Bleibt alles anders“ am Montag, 16. November, um 20.15 Uhr. Er soll eine „spektakuläre Nahaufnahme“ der „Mosaic“-Expedition unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), liefern.

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    (dpa/jbi/fmg)