Memmingen. Das Fischen im Stadtbach ist in Memmingen seit Jahrhunderten Männersache. Jetzt will eine Frau mitmachen. Ein Gericht gibt ihr recht.

Frauenquote hin, bröckelnde Geschlechterklischees her: Wer eine der letzten echten Männerbastionen erleben will, muss nach Bayern fahren, um dort einer skurrilen Traditionsveranstaltung beizuwohnen.

In der schmucken Kleinstadt Memmingen steigt jeden Sommer ein mehrtägiges Volksfest, dessen Höhepunkt es ist, dass die Männer des Ortes in einen Bach springen und mit Keschern die darin schwimmenden Fische fangen. Wer das größte Tier erwischt, hat gewonnen und darf sich ein Jahr lang Fischerkönig nennen – viele halten das für die höchste Ehre im Leben eines echten Memminger Mannes.

Und die Memminger Frauen? Dürfen bei dem jahrhundertealten Spektakel im Allgäu mit Zehntausenden Zuschauern nicht mitmachen. Bis jetzt: Am Montag hat ein Gericht entschieden, dass alles anders werden soll. Dass auch Frauen das Zeug zur Fischerkönigin haben.

Klingt wie eine Provinzposse, doch das Urteil dürfte weit über Memmingen hinaus Männervereine ins Schwitzen bringen.

Frauen in Memmingen: Tradition oder Gleichberechtigung?

Fest steht, dass sich Christine Renz bei den Memminger Stadtfischern ziemlich unbeliebt gemacht hat. Sie ist seit 30 Jahren Mitglied des Vereins und hatte dagegen geklagt, dass sie nicht auch in den Bach springen, sondern als „Kübelmädle“ nur die Wassereimer für die gefangenen Forellen bewachen darf.

Sie habe den seit Jahren schwelenden Streit nicht vor Gericht austragen wollen, beteuert sie. Doch weil ihre Kameraden ganz anderer Meinung sind, habe sie am Ende keine andere Möglichkeit mehr gesehen: „Was vermittelt man den Mädchen, wenn man ihnen sagt: Du darfst nicht mitmachen, weil du ein Mädle bist?“

Aus dem Verein heißt es, sie sei inzwischen eine Persona non grata. Die meisten der 4500 Mitglieder begründen den Ausschluss von Frauen vom Höhepunkt des Volksfestes mit der Wahrung eines 400-jährigen Brauchtums und berufen sich auf die Vereinsfreiheit. Ein Drittel der Mitglieder seien Frauen, aber das Abfischen sei nun einmal seit jeher einheimischen Männern vorbehalten.

Die Frage lautet also: Was wiegt mehr – Tradition oder Gleichberechtigung?

Die Entscheidung oblag am Montag der Memminger Amtsrichterin Katharina Erdt. Und die folgte Renz’ Argumentation: Eine männliche Tradition allein sei bei einer Veranstaltung mit herausragender Bedeutung kein zulässiger Grund für Diskriminierung. Der Fischertagsverein, dem zahlreiche Lokalpromis wie der Bürgermeister angehören, habe eine besondere soziale Machtstellung in der Stadt und müsse sich an den Grundsatz der Gleichbehandlung im Grundgesetz halten.

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Die Klägerin will den dicksten Fisch fangen

Während sich Renz von dem Urteil „einen Tick mehr Gleichberechtigung“ erwartet, sitzt die Enttäuschung bei den Fischern tief. „Wir sind über das Urteil verwundert“, mosert der Vereinsvorsitzende Michael Ruppert. „Die Autonomie von Vereinen sehen wir dadurch deutlich eingeschränkt.“

Christine Renz hofft nun, im nächsten Sommer endlich in den Bach springen zu dürfen – und gleich den dicksten Fisch zu fangen. Das letzte Wort ist allerdings nicht gesprochen: Die Fischer haben bereits angekündigt, die nächsthöhere Instanz anrufen zu wollen. Der Streit um eine der letzten Männerdomänen, er ist noch nicht vorbei.

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