Berlin. Der Polizeiruf wirkte teilweise überladen, machte aber auf ein wichtiges Thema aufmerksam: Abtreibung in Polen. Das sind die Fakten.

In Frankfurt ist das Nachbarland nur eine Fahrt über die Oder entfernt. Die Nähe zur polnischen Grenze hat die „Polizeiruf“-Folgen von hier immer schon zu einer Bühne von Vermittlung und Kontrastierung gemacht. Von Gemeinsamkeiten und dem Miteinanderauskommen, aber ebenso auch von alten Feindschaften und kulturellen Klüften, die größer nicht sein können.

Um letztere geht es im Kriminalfall „Heilig sollt ihr sein!“ der Kommissare Olga Lenski (Maria Simon) und Adam Raczek (Lucas Gregorowicz). Der Frankfurter „Polizeiruf“ tastet das Spannungsverhältnis zwischen teils fanatischem katholischen Glauben und Selbstbestimmungsrecht der Frau, besonders in Polen, ab.

Ein Thema, das aktueller nicht sein könnte: Erst vor wenigen Wochen hat Polens Parlament zwei Gesetze angenommen, die Schwangerschaftsabbrüche und öffentliche Sexualerziehung komplett verbieten sollen. Beide Gesetze wurden als Bürgerinitiativen von ultrakonservativen Organisationen eingebracht.

„Polizeiruf 110“ treibt das Thema Abtreibung auf die Spitze

Schon jetzt sind Abtreibungen in Polen nur in drei Fällen legal: wenn Gefahr für Leben und Gesundheit der werdenden Mutter droht, bei einer schweren Missbildung des Fötus oder nach einer Vergewaltigung. Rechte Politiker hatten schon früher – zur Freude der katholischen Kirche in Polen – gefordert, Kinder, die aus einer Vergewaltigung entstanden sind , als „Geschenk Gottes“ anzusehen.

Im „Polizeiruf“ wird das Thema auf die Spitze getrieben: Die auf der polnischen Seite der Oder wohnende Larissa Böhler ist ungewollt schwanger. Die Ärzte diagnostizieren beim Kind der 16-Jährigen eine Trisomie 18. Das Kind wird wohl mit schwersten Behinderungen auf die Welt kommen. Eine Abtreibung will aber niemand in Polen vornehmen.

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Larissa ist verzweifelt, will ihrem Leben ein Ende zu setzen. Ein fremder junger Mann, Jonas Fleischauer, taucht scheinbar zufällig auf der Brücke auf, von der sie sich stürzen will. Er selbst nennt sich Elias. Ihm gelingt es, Larissas Suizid zu verhindern.

Doch als sie in Frankfurt (Oder) in ein Krankenhaus kommt, wo ein Spätabbruch der Schwangerschaft durchgeführt werden soll, schreitet „Elias“ zur Tat. Er fühlt sich von Gott dazu berufen, das Leben des ungeborenen Kindes zu retten.

Sonntagskrimi samt Wunderheilung und Exorzismus

In einer brutalen Szene sieht man, wie Fleischauer wie ferngesteuert, in dem festen Glauben, etwas Gutes zu tun, Larissa das Baby aus dem Bauch schneidet. Das Kind ist, entgegen aller medizinischer Vorhersagen, gesund. Nur die Mutter überlebt die schwere Körperverletzung nicht.

Der Täter, Jonas Fleischauer hält sich für einen Heiler durch Gottes Hand. Dass seine gläubige Mutter ihn deshalb seit drei Jahren den Exorzismus-Ritualen eines polnischen Pfarrers aussetzt, macht die Geschichte noch bizarrer. Der Sonntagskrimi zeigt eindringlich, wie radikal christlicher Glaube sein kann.

Auch das Leid der Eltern des Opfers wird im „Polizeiruf“ ausführlich behandelt. Die durch die ungewollte Schwangerschaft, den Suizidversuch und den geplanten Abbruch eh schon belastete Familie zerbricht unter der Gewalttat und dem Tod der Tochter vollständig. Kommissarin Olga Lenski fällt es selbst schwer, die Eltern mit dem Tatgeschehen zu konfrontieren.

Wirken die vielen Erzählstränge am Anfang lose zusammengewürfelt und für den Zuschauer ziemlich verwirrend, so kommen sie zumindest im letzten Drittel zu einem fulminanten Abschluss zusammen. Übersteht der Zuschauer die ersten 15 Minuten, wird er mit einem soliden „Polizeiruf“ belohnt.

Kriminalfall mit wichtigem Kern: Zehntausende Polinnen treiben heimlich ab

Das liegt auch daran, dass der Krimi richtige und wichtige Fragen aufwirft. Zum Beispiel, wie weit radikaler christlicher Glaube und Aberglaube überhaupt auseinander liegen. Und weshalb viele der im Film dargestellten Gläubigen lieber religiöser Schicksalsergebenheit frönen anstatt Medizinern zu vertrauen.

Das Ermittlerduo Lenski und Raczek konnte in den letzten Folgen manchmal nicht ganz überzeugen. Doch in „Heilig sollt ihr sein!“ spielen Maria Simon und Lucas Gregorowicz mit viel Inbrunst zwei Kommissare, die selbst nicht ganz fassen können, in was für einem Fall sie da ermitteln. Da verzeiht man in diesem Fall gerne das teils überladene Drehbuch.

Zehntausende Polinnen treiben im Untergrund oder mit Abtreibungspillen zu Hause ab, fahren für den Eingriff nach Deutschland oder Tschechien. Dass sich der neue „Polizeiruf“ damit, wenn auch in krass überzeichneter Form, beschäftigt, ist ein wichtiges Zeichen – gerade jetzt.

Abtreibungen – mehr zum Thema des ARD-Krimis:

In Deutschland gibt es immer wieder Streit um den Paragrafen 219a, dem Werbeverbot für Abtreibungen. Die Gießener Ärztin Kristina Hänel war wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche verurteilt worden. Das Oberlandesgericht Frankfurt hob das Urteil wieder auf, da es seit März 2019 eine neue Rechtslage zu Informationen über Abtreibungen gibt. Der umstrittene Paragraf war um einen Absatz ergänzt worden, der Klarheit und Rechtssicherheit für Ärzte, Krankenhäuser und andere Einrichtungen schaffen soll, unter welchen Voraussetzungen sie straflos öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren dürfen. Die Einigung im Streit um Paragraf 291a wurde von Beobachtern als gut bezeichnet.