Washington. Wegen Doppelmordes in den USA saß Jens Söring 33 Jahre in Haft. Er sagt: „Ich bin unschuldig.“ Nun ist er zurück in Deutschland.

14 Mal hatte Jens Söring um vorzeitige Freilassung auf Bewährung aus der Haft in den USA und Überstellung in die Heimat gebeten und wusste dabei prominente Fürsprecher bis hin zu Bundeskanzlerin Angela Merkel an seiner Seite. 14 Mal, zuletzt noch im vergangenen Januar, kam die Ablehnung.

Trotzdem gab Söring die Hoffnung nie auf. Nach 33 Jahren, sechs Monaten und 25 Tagen war er beim 15. Versuch am Ziel: Amerikas bekanntester deutscher Langzeit-Häftling verließ das US-Gefängnis.

Am Dienstag landete der wegen Doppelmordes an einem Ehepaar verurteilte Söring nach einem siebenstündigen Flug mit einer Linienmaschine auf dem Frankfurter Flughafen. Freunde und Unterstützer holten Söring vom Flughafen ab. Er selbst nahm sich Zeit für ein paar Statements.

Jens Söring bei der Ankunft in Frankfurt an der Seite von Unterstützerinnen.
Jens Söring bei der Ankunft in Frankfurt an der Seite von Unterstützerinnen. © dpa | Boris Roessler

„Das ist der schönste Tag meines Lebens“, sagte der 53-Jährige. „Ich freue mich, ich freue mich so sehr, nach 33 Jahren, sechs Monaten und 25 Tagen endlich, endlich hier in Deutschland zu sein. Das ist so toll, ich bin so froh.“Söring bedankte sich ausdrücklich bei seinen Unterstützern in Deutschland und den Vereinigten Staaten. „Ohne euch wären gerade die letzten Wochen nicht möglich gewesen. Ohne euch würde ich hier heute nicht stehen“, sagte der Ex-US-Häftling.

Söring, in grauer Jogginghose und blauer Daunenjacke, kündigte an, sich nach seiner Rückkehr zunächst zurückziehen zu wollen. „Ich muss psychologisch und emotional ankommen in Deutschland“, sagte er. Die Weihnachtsfeiertage wolle er mit seinen Freunden verbringen. „Und dann werde ich langsam entscheiden, wo und wie ich mir ein neues Leben aufbaue.“Interviews wolle er der Presse zunächst nicht geben, sagte Söring. Er freue sich allerdings über das Interesse an seiner Geschichte.

Jens Söring – mit Linienflug UA932 in die Freiheit

Söring reise mit dem Linienflug UA932 und habe die Maschine von United Airlines am US-Airport Washington/Dulles am Dienstag um 3.15 Uhr deutscher Zeit (Montagabend US-Zeit) bestiegen, berichtete eine mitreisende Reporterin der RTL/ntv-Redaktion. Den Angaben nach reiste Söring in der Economy Class.

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Auch die Wiesbadener Anwältin Karoline Rüsch war zum Flughafen gekommen. Sie pflegt nach eigener Aussage seit 2010 eine Brieffreundschaft mit Söring. „Ich habe an dieses Wunder, was hier gleich passiert, irgendwie nicht mehr geglaubt, es ist das schönste Weihnachten für mich, seit ich ihn kenne.“

Im Jahr 1985 war Söring wegen eines bestialischen Doppelmordes an den Eltern seiner damaligen Freundin, der US-Amerikanerin Elizabeth Haysom, zu zweimal lebenslänglich verurteilt worden. Er beteuerte aber stets, die Tat nicht begangen zur haben. Auch Elizabeth Haysom kommt frei. Sie war wegen Beihilfe zu 90 Jahren Haft verurteilt worden.

Diplomatensohn hatte den Doppelmord zunächst gestanden

Ende November hatte der Bewährungs- und Begnadigungsausschuss des US-Bundesstaates Virginia die vorzeitige Haftentlassung Sörings auf Bewährung und seine Abschiebung entschieden. Begnadigt wurde er nicht. Die Entscheidung, den 53-Jährigen freizulassen, sei „überraschend“, schrieb die „Washington Post“. Der brutale Doppelmord hatte jahrzehntelang in den USA und auch international Aufmerksamkeit auf sich gezogen.

Söring, Sohn eines Diplomaten, hatte die Morde zunächst gestanden, später aber das Geständnis widerrufen. Er habe die wahre Täterin, seine Freundin Elizabeth Haysom, vor der Todesstrafe bewahren wollen und darum die Schuld auf sich genommen, hatte Söring erklärt – in der Annahme, ein deutscher Diplomatensohn genieße Immunität. Eine Fehleinschätzung: Söring wurde in US-Medien als „german monster“ tituliert und trotz vieler Verfahrensfehler und Ungereimtheiten verurteilt.

USA: Deutscher begnadigt – Das muss man wissen:

  • Nach mehr als 33 Jahren wird ein Deutscher in den USA aus der Haft entlassen
  • Er wurde 1985 wegen Doppelmordes zu zwei Mal lebenslänglich verurteilt
  • Auch Angela Merkel unterstützte ihn
  • Jetzt wird seine Abschiebung nach Deutschland vorbereitet

Die US-Behörden halten Jens Söring weiter für schuldig

Gouverneur Ralph Northam bestätigte den Beschluss des Bewährungs- und Begnadigungsausschusses. Der Demokrat betonte aber, dass damit nicht die von Söring geforderte Anerkenntnis seiner Unschuld einhergehe.

Im Gegenteil: Adrianne Bennett, die Vorsitzende des Ausschusses, erklärte, dass Sörings Unschuldsbeteuerungen „unbegründet” seien. Die Entlassung sei aber angesichts der abgesessenen Haftstrafe und der Beurteilung, dass Söring keine Gefahr für die Öffentlichkeit darstelle, vertretbar. Außerdem sei die Haftverkürzung für die Steuerzahler Virginias ein „enormer Kostenvorteil”.

Häftling Nr. 1161655 durfte also die Justizvollzugsanstalt „Buckingham Correctional Center” in Dillwyn verlassen. Nach Informationen unserer Redaktion wurden die Details bereits im September zwischen Vertretern der US-Einwanderungsbehörde ICE und der deutschen Botschaft in Washington erörtert.

Doppelmord 1985: Polizei beschreibt Tatort als „Schlachthof“

Rückblende: 30. März 1985. An diesem Tag werden der aus Kanada stammende Stahl-Baron Derek Haysom (72) und seine Frau Nancy (55) in ihrem Wochenendhaus in Lynchburg/Virginia ermordet aufgefunden. Den Tatort beschreiben Kriminalbeamte als „Schlachthof”. Die Tatwaffe, ein Messer, wird nie gefunden. Fingerabdrücke, Zeugen? Beides Fehlanzeige.

Nach einigen Wochen ziehen Jens Söring, 18 Jahre alt, Begabten-Stipendiat an der Universität von Charlottesville, Sohn des deutschen Konsuls in Detroit, und seine Freundin Elizabeth Haysom (20), heroinabhängig, den Verdacht auf sich. Mögliches Motiv: Die Beziehung habe den alten Herrschaften von Elisabeth nicht gepasst.

Der Vernehmungsbeamte zweifelt das Geständnis an

Söring gesteht die Tat, obwohl der Vernehmungsbeamte massive Zweifel zu Protokoll gibt. Unmittelbar danach flieht das junge Paar nach England, lebt dort unter falschen Namen. Bis ein Scheckbetrug sie 1986 auffliegen lässt.

1990, der Fall beschäftigt inzwischen mehrere Regierungen, werden Söring und Haysom an die USA ausgeliefert. Im gleichen Jahr kommt es in der Kleinstadt Bedford/Virginia zum Prozess. Haysom sagt aus, sie habe ihren Freund zu der Tat angestiftet. Die Staatsanwaltschaft rechnet dem jungen Mann mit der großen Hornbrille einen „blutigen Sockenabdruck“ zu.

Jens Söring beteuerte jahrzehntelang: „Ich bin unschuldig“

Trotz etlicher Verfahrensfehler – Richter William Sweeney erklärt den Angeklagten vor Prozessbeginn in einem Interview de facto für schuldig – wird Söring zu zweimal lebenslänglich verurteilt. Sein letzter Satz in Freiheit lautet: „Ich bin unschuldig.“ Elizabeth Haysom bekommt in einem separaten Verfahren wegen Beihilfe 90 Jahre Gefängnis.

In der Haft bildet sich Söring wie besessen fort. Mit Liegestützen und Klimmzügen trainiert er seinen schmächtigen Körper. Per Hand schreibt er, Computer sind noch verboten, ein Buch nach dem anderen, sucht die Öffentlichkeit und bemüht sich mit allen Mitteln um Begnadigung. Oder wenigstens die Abschiebung nach Deutschland. Kanzlerin Merkel lernt seinen Fall ebenso kennen wie Präsident Obama.

Bundestagsabgeordnete setzen sich für Jens Söring ein

Über 50 Bundestagsabgeordnete setzen sich für ihn ein, darunter ist früh der heutige Beauftragte der Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen, der CDU-Parlamentarier Peter Beyer aus Nordrhein-Westfalen. Er hatte Söring zuletzt im Juli im Gefängnis besucht.

„Er war geistig und körperlich in bester Verfassung und mehr als jemals zuvor geprägt von großer Hoffnung”, sagte Beyer unserer Redaktion. Beyer begrüßt die Entscheidung der US-Behörden ausdrücklich („Endlich!“), hält die Schuldfrage aber weiter für ungeklärt. In Deutschland bildete sich zudem ein Freundeskreis für Söring. Auf Facebook findet er Tausende Abonnenten.

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Fortschritte in der Kriminalistik halfen Söring – scheinbar. 2009 legte die Gerichtsmedizin Virginias ein Gutachten über 42 am Tatort gefundene DNA-Spuren vor. Nicht eine konnte Söring zugeordnet werden. Ein Zeuge tauchte auf, der Elizabeth Haysom mit einem anderen Mann kurz nach der Tat gesehen haben will.

Politikwechsel in Virginia verhindert Begnadigung im Jahr 2010

2010 scheint der Durchbruch möglich. Vor Ende seiner Amtszeit lässt sich der demokratische Gouverneur von Virginia, Timothy M. Kaine, der später als „Vize” mit Hillary Clinton im 2016er-Wahlkampf gegen Donald Trump unterliegen sollte, auf ein hinter den Kulissen ausverhandeltes Geschäft ein:

Söring wird nach Deutschland überstellt, muss dort noch mindestens zwei Jahren einsitzen, bis die deutsche Justiz neu über ihn befinden kann. Aber ein Politikwechsel in Virginia kommt dazwischen. Söring wird zum Spielball. Bob McDonnell, der republikanische Nachfolger von Kaine, weiß um die unverändert hohe öffentliche Betroffenheit über den Mord an den Haysoms und entscheidet: Söring bleibt hinter Gittern.

Doku „Das Versprechen“ rollt Jens Sörings Fall auf

Es vergehen gut sechs Jahre, bis neue Hoffnung aufkeimt. Blutproben vom Tatort werden im gerichtsmedizinischen Institut von Virginia erneut abgeglichen. Resultat laut Untersuchungsleiterin Shelley Edler: Söring muss als Urheber der Blutspuren definitiv ausgeschlossen werden.

2016 kommt auch der Film „Das Versprechen“ von Marcus Vetter und Karin Steinberger in die Kinos. Im Sommer 2018 wird der Film auch im deutschen Fernsehen ausgestrahlt. Die Journalisten legen in der Dokumentation die vielen blinden Flecken im Fall Söring frei und berichten über den Verdacht, dass Elizabeth Haysom ihre Eltern mit Hilfe eines inzwischen verstorbenen Drogen-Dealers getötet haben könnte.

Steve Rosenfield, Sörings Anwalt, sagt damals dieser Redaktion, dass „ein Killer am Tatort war, der nicht Jens gewesen sein kann“. Trotzdem widersetzt sich Virginias damaliger Gouverneur Terry McAuliffe, ein Demokrat, der Begnadigung.

Jens Sörings Freilassung löst auch Kritik aus

Die überraschende Kehrtwende der Institutionen in Virginia hat erwartungsgemäß Protest ausgelöst. Ben Cline, republikanischer Kongressabgeordneter in Washington aus der Region des Tatortes, zeigte sich „schockiert und erschüttert” über die Freilassung von Söring und Haysom. „Das ist eine Beleidigung für die Opfer und das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit.”

Kontrapunkt: Sheriff Chip Harding, der Ende des Jahres nach 50 Jahren Polizeidienst in Charlottesville in den Ruhestand geht, und den Fall Söring und seine Schwächen minutiös analysiert hat und von Sörings Unschuld überzeugt ist, sagte am Montag in einem Interview: „Ich bin begeistert.”

Sörings Unterstützer und Freunde haben in Deutschland nach eigenen Angaben eine Wohnung, ein Handy und Kleidung für ihn besorgt. Der Ex-Häftling will demnach nun erst einmal Urlaub machen und dann durch das Land reisen und seine Unterstützer besuchen. (mit dpa-Material)

Lesen Sie hier: Jens Söring beteuert bei Markus Lanz seine Unschuld