Berlin. Die ARD geht in einer Dokumentation dem Vertrauensverlust in die Politik seit der Wende nach. Mehr als Denkanstöße gelingen nicht.

Wenn es nicht unsere gewählten Regierungen vom Dorfbürgermeister bis zum Bundeskanzler sind, stellt sich die Frage: „Wer beherrscht Deutschland“? Konzerne, Gewerkschaften, Lobbyisten, Bürgerinitiativen? Auch die Macher der ARD-Doku können auf die Frage keine Antwort geben, haben jedoch eine These parat: Seit der Wende wird es mit der Durchschaubarkeit von Machtstrukturen immer schlechter.

Als Denkanstoß mag diese gefühlte Wahrheit taugen. Stimmt ja auch alles: Die Wahlbeteiligung sinkt schleichend, das Berufspolitikertum ist immer weniger in der Bevölkerung verwurzelt, es gibt mehr Lobbyisten, Unternehmen und Branchen versuchen stärker, ihre Interessen durchzusetzen.

Ob es denn „früher“ anders, geschweige denn besser war? Den Vergleich als Beleg für ihre Ausgangsthese scheuen die Autoren über die gesamten 45 Minuten.

„Wer beherrscht Deutschland“: ARD-Doku sehr ostlastig

Von den Verhältnissen in der diktatorischen DDR hätte man gar nicht reden müssen, aber ein paar Sätze über die Affären in der BRD von Starfighter bis Flick würden ausreichen, um mit dem Märchen von der guten alten politischen Zeit in deutschen Landen aufzuräumen.

Dass der MDR für die Sendung die Feder geführt hat, ist unübersehbar. Es beginnt in Hoyerswerda und endet in Dresden und Leipzig. Der WDR steuert ein bisschen Hartz-IV-Expertise aus den West-Plattenbauten in Köln-Chorweiler bei, sowie die Braunkohle-Kontroverse um den Hambacher Forst, großes RWE gegen kleine Bürger-Wehrer.

Von Bremen bis Bayern bleibt der Rest von Deutschland und auch das Ruhrgebiet außen vor, ein doch schwaches, zu klar ostlastiges Bild von den Verhältnissen im vereinten Deutschland – und eins, in dem die AfD für den MDR erstaunlicherweise gar nicht vorkommt.

Frauen kommen gar nicht zu Wort

Schön sind nur die Bilder, doch schon die Dauertonuntermalung und die nur bedingt intelligenten Infografiken nerven. Und nur mal so nebenbei, aber nicht am Rand: Frauen scheinen in der kleinen Welt der ARD gar nicht zu existieren, geschweige denn, dass sie etwas zu sagen hätten – wenn man über einen eingeschnipselten, sechs Jahre alten Wahlsendungsauftritt von Kanzlerin Merkel hinwegsieht.

Deren langjähriger politischer Weggefährte Thomas de Maizière, der sich nach dem Ausscheiden aus dem Bundesinnenministeramt über neue Freiheiten freute, steuert die besten Beiträge bei. Es gebe weniger ein persönliches Misstrauen gegen Politiker, wohl aber ein mangelndes Vertrauen, ob „wir Politiker noch in der Lage sind, Dinge wirklich zu beeinflussen.“

Der Erfolg aus dem Nichts heraus etwa von Grünen und AfD sind für den CDU-Politiker ein Beleg dafür, dass Bürger und Wähler sehr wohl nicht nur etwas, sondern viel bewegen können – und wollen, zumal viele eine immer aggressiver werdende Gesellschaft beklagen. Und einiges spricht dafür, dass diese Aufsteiger morgen Deutschland mitbeherrschen.

Spitzenpolitik wird in Deutschland immer elitärer

Aber es geht auch noch um ein anderes Thema: Menschen in Deutschland, die keinen Hochschulabschluss oder ein geringes Einkommen haben, fühlen sich von der Politik oft nicht gut genug vertreten. Recherchen zu der TV-Dokumentation geben ihnen jetzt recht.

In Deutschland hat sich die politische Elite in den vergangenen 30 Jahren erheblich verändert. In der Bundesregierung seien Politiker ohne Hochschulabschluss immer mehr von Akademikern verdrängt worden. Dadurch fänden die Interessen von Bürgern mit einfachen Schulabschlüssen oder geringem Einkommen weniger Beachtung als die von Wohlhabenden und Studierten.

„Bis 2009 gab es stets mehrere Minister, die allein mit Mittlerer Reife und einem erlernten Beruf ein Ministeramt erreichten“, heißt es in der vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen durchgeführten Erhebung.

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Aktuell hätten 94 Prozent der Mitglieder der Bundesregierung einen Hochschulabschluss. Zum Vergleich: In der Bevölkerung beträgt der Anteil der Hochschulabsolventen 18 Prozent.

Elitenforscher warnt vor Kluft

Michael Hartmann, Elitenforscher an der TU Darmstadt: „Jene Eliteangehörigen, die selbst schon in Reichtum oder zumindest Wohlstand aufgewachsen sind, stehen den sozialen Unterschieden weit weniger kritisch gegenüber als jene, die aus den Mittelschichten oder aus der Arbeiterschaft stammen.“

Diese Eliten würden die Bedeutung sozialer Unterschiede mehrheitlich unterschätzen und durch Aktivitäten weiter verschärfen statt sie zu verringern, führt Hartmann aus.

• „Wer beherrscht Deutschland“ läuft am Montag um 20.15 Uhr im Ersten.