„Leaving Neverland“ entfacht Streit um Michael Jacksons Erbe
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Lesezeit: 7 Minuten
Berlin/München. Die Debatte um die umstrittene Michael-Jackson-Doku „Leaving Neverland“ hat nun auch Deutschland erreicht. Wir zeigen die Reaktionen.
In einem Punkt hat Filmemacher Dan Reed sein Ziel erreicht. Seine Dokumentation „Leaving Neverland“ ist in aller Munde. Die Film gewordene Anklage gegen die Pop-Ikone Michael Jackson ist in den USA seit Wochen ein Streitthema, und die hitzige Debatte um das Erbe des „King of Pop“ ist nun, nachdem ProSieben die umstrittene Doku am Samstagabend ausgestrahlt hat, auch jenseits des Atlantiks angekommen.
Die mutmaßlichen Jackson-Opfer Wade Robson (36) und James Safechuck (41) erheben in „Leaving Neverland“ Missbrauchsvorwürfe gegen ihr einstiges Idol. Sie klagen an mit teils verstörend detailreichen Erinnerungen.
Das packt die einen, weil sie dahinter abscheuliche Verbrechen vermuten. Und es erzürnt andere, weil sie Robson und Safechuck für Lügner halten, denen es nur um Geld geht.
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Ankläger aus „Leaving Neverland“ entlasteten Michael Jackson vor Gericht
Schließlich waren es auch diese beiden Männer, die Jackson früher noch entlastet hatten. In einem der Prozesse, in denen sich die US-Justiz mit den immer wiederkehrenden Pädophilie-Vorwürfen auseinandersetzte. Mit immer demselben Ausgang: Jackson blieb zu Lebzeiten juristisch unschuldig.
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Genauso umstritten wie die Schuldfrage ist gleichzeitig die Machart von „Leaving Neverland“. Viel zu einseitig, unausgewogen, zu unwidersprochen lässt Dan Reed die Anklagen von Robson und Safechuck auf den Zuschauer einprasseln.
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Außerdem musste der Regisseur Reed einräumen, dass ein Detail nicht so sein kann, wie es Safechuck vor der Kamera glauben machen wollte. Er gibt in der Dokumentation an, von 1988 bis 1992 von Jackson missbraucht worden zu sein – unter anderem in einem Raum des „Neverland“-Bahnhofes. Der wurde aber erst 1993 gebaut, wie ein Jackson-Biograf in den offiziellen Unterlagen der Baugenehmigung herausgefunden hat.
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Auch ProSieben gerät wegen „Leaving Neverland“ in die Kritik“
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Auf der anderen Seite geriet der Sender aber auch in die Kritik, weil er eine, so die Vorwürfe, hysterische und unfaire Anklage mit inhaltlichen Fehlern überhaupt einkaufte. Den Protest dagegen bekamen die Senderchefs auch zu sehen: Einige Dutzend Michael-Jackson-Fans zogen am Nachmittag vor der Ausstrahlung vor die Senderzentrale in Unterföhring und zeigten Plakate mit Aussagen wie „Facts don’t lie – people do“ und „MJ innocent“.
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Die Demonstrantin Jennifer Fuhrman hatte gemeinsam mit Mitstreitern die Kundgebung über Facebook organisiert – nach ihren Angaben kamen rund 70 Fans. Nach ihrem Protest vor dem Sender zogen rund 30 Anhänger in die Münchner Innenstadt vor das inoffizielle Michael-Jackson-Denkmal. „Uns geht es vor allem darum, dass anders als im Film auch eine andere Seite gehört wird – eine, die sicher ist, dass Michael Jackson unschuldig ist.“
So hitzig die Debatte geführt wird, so unspektakulär blieb hingegen die Quote für ProSieben am Samstagabend: Nur 1,19 Millionen verfolgten „Leaving Neverland“ – ein Marktanteil von 4,9 Prozent.
Zu viel war diese Debatte schon vor der Ausstrahlung für die die Frau, die sich seit Jahren hingebungsvoll um das Münchner Jackson-Denkmal kümmert. Sie will ihren Namen nicht mehr in den Medien lesen will. „Mein Herz schlägt ganz anders als das der Presse.“ Und eigentlich wolle sie gar nichts mehr dazu sagen – und spricht dann doch fast eine halbe Stunde ohne Pause. Wütend.
Fan von Michael Jackson wütend über „Lynchjustiz der Medien“
Sie ist Vorsitzende eines Vereins, der sich „MJ’s Legacy“ nennt und für Michael Jacksons Erbe zuständig fühlt. Sie spricht von einer „Lynchjustiz der Medien“. Wohin, so fragt sie, kommen wir denn, wenn über Schuld und Unschuld nicht mehr in Gerichtssälen geurteilt wird, sondern in Dokumentationen? Die Justiz, so betont der Fan, habe Jackson freigesprochen.
In Fan-Foren im Internet werden die Protagonisten des Films teils wüst beschimpft. Jacksons Unschuld ist dort keine Vermutung, sondern Gewissheit.
Ein solches Verhalten sei für Fans ganz normal, sagt der Würzburger Professor Harald Lange, Gründer des Instituts für Fankultur. „Fans beurteilen ihr Idol, ihren Star, ihre Mannschaft nicht rational, sondern aus einer emotionalen Perspektive heraus.“ Eine rationale Einschätzung könne man nicht erwarten. „Fans haben eine rosarote Brille auf – ähnlich wie in der Liebe.“ Das liege auch daran, dass Fans sich derart mit ihrem Idol identifizieren, dass sie – sollten sie den Star in Zweifel ziehen – das auch mit sich selbst tun müssten, sagt Lange. „Das ist nicht auszuhalten für echte Fans.“
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Für den Wissenschaftler ist es nur eine Frage der Zeit, bis im Fall Jackson globale Verschwörungstheorien ihre Runde machen werden. „Die werden mit sehr viel Engagement gestrickt“, sagt Lange.
Kunst-Institutionen halten am Werk von Michael Jackson fest
Der Fall Jackson hat auch die Frage aufgeworfen, wie nach den neuen Vorwürfen umzugehen ist mit dem Werk des wahrscheinlich größten Popstars aller Zeiten. Der Intendant der Bundeskunsthalle, Rein Wolfs, verteidigt die jüngst gestartete Ausstellung „Michael Jackson: On the Wall“. „Gerade jetzt nach dem Bekanntwerden neuer Missbrauchsvorwürfe ist es wichtig, sich mit dem „King of Pop“ auseinanderzusetzen“, sagt er.
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Und auch die Macher des Jackson-Musicals „Beat it!“ sehen keinen Grund für Konsequenzen. „Unsere Show ist ein eigenständiges Produkt, das sich wertungsfrei auf die Musik von Michael Jackson und die Kunstfigur „Michael Jackson“ konzentriert“, sagt ein Sprecher. „Im Mittelpunkt steht neben der Musik der Musiker, nicht die private Person.“
Wie gesagt: „Leaving Neverland“ hat einen Nerv getroffen, eine vielschichtige Debatte neu angefacht. Antworten auf die vielen Fragen rund um das Vermächtnis von Michael Jackson liefert die Doku allerdings nicht. Ganz im Gegenteil.
• In der Bildergalerie: Das war das Leben des „King of Pop“: