Berlin. Die Zahl der Fahrrad-Toten ist im vergangenen Jahr um 15 Prozent auf 455 Opfer gestiegen. Die Verkehrsminister wollen mehr Sicherheit.

Die Verkehrsminister der Bundesländer wollen sich gemeinsam für mehr Sicherheit für Radfahrer im Straßenverkehr einsetzen. Dazu werde bei der zweitägigen Minister-Konferenz ab diesem Donnerstag (4. April) in Saarbrücken über eine „fahrradfreundliche Novelle“ der Straßenverkehrsordnung beraten, die eine Arbeitsgruppe erstellt habe, teilte der Sprecher des saarländischen Verkehrsministeriums am Mittwoch mit.

Diese sieht vor, dass Radfahrer von Fahrzeugen nur noch in einem Mindestabstand von 1,50 Metern überholt werden dürfen. Außerdem sollen Lastwagen in Orten nur noch in Schrittgeschwindigkeit rechts abbiegen dürfen, um Crashs mit Radfahrern zu vermeiden.

Reform der Straßenverkehrsordnung

Über das 15 Punkte umfassende Maßnahmenpaket hatten zuvor die „Neue Osnabrücker Zeitung“ und der Saarländische Rundfunk (SR) berichtet. Demnach sollen Fahrradfahrer prinzipiell Einbahnstraßen in Tempo-30-Zonen in beide Fahrtrichtungen befahren dürfen. Zudem sollen sie auch nebeneinander fahren dürfen, „wenn dadurch der Verkehr nicht behindert wird“.

Und: An wichtigen Radfahrer-Strecken soll es Behörden innerorts ermöglicht werden, Tempo 30 anzuordnen. Die Maßnahmen könnten „maßgeblich dazu beitragen, Radfahren in Deutschland kurzfristig attraktiver und sicherer zu machen“, heißt es in dem Papier. Die Verkehrsminister werden den Bericht laut Vorlage begrüßen und das Bundesverkehrsministerium auffordern, die Vorschläge bei einer Reform der Straßenverkehrsordnung in Abstimmung mit den Ländern möglichst bis Ende 2019 zu berücksichtigen.

Zahl der Fahrrad-Toten um 15 Prozent gestiegen

Radfahren in Deutschland ist indes immer gefährlicher geworden. Im Jahr 2018 starben nicht weniger als 455 Radfahrer auf der Straße, darunter 89 auf Elektrorädern (Pedelecs). Das ist ein Plus von 15 Prozent im Vergleich zu 2017, bei Pedelecs sogar 27 Prozent. Das geht aus vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamts hervor.

Der Anstieg war nicht nur auf den langen Sommer 2018 zurückzuführen. Immer mehr Radfahrer müssen mit Auto- und Lkw-Fahrern um den knappen Platz auf den Straßen kämpfen – vor allem in den Städten. 2018 wurden 4,2 Millionen Fahrräder in Deutschland verkauft, der zweithöchste Wert in diesem Jahrzehnt. Jedes vierte neue Fahrrad ist ein Elektrorad. Ab dem Sommer sollen auch E-Scooter hinzukommen – aus Expertensicht eine weitere Unfallquelle.

Am Mittwoch wurde bekannt gegeben, dass die deutsche Fahrradbranche wieder spektakulär gewachsen ist. Die Umsätze einschließlich mit Zubehör und Radteilen wuchsen im vergangenen Jahr inflationsbereinigt um 11,9 Prozent. „Das ist der stärkste Anstieg seit Beginn der Berechnungen 1995“, erklärte das Statistische Bundesamt am Mittwoch.

Dazu beigetragen hat der Trend zu Elektrofahrrädern: Allein 888.000 dieser Elektro-Räder mit einer Nenndauerleistung von bis zu 250 Watt wurden im vergangenen Jahr nach Deutschland importiert. Das entspricht einer Steigerung um 32,3 Prozent.

Ein Überblick über die größten Gefahren für Radfahrer:

Autos

Die meisten Unfälle zwischen Rad und Auto gibt es laut Unfallforscher Siegfried Brockmann im Kreuzungs- und Abbiegebereich. Hier kollidieren geradeausfahrende Radfahrer oft mit abbiegenden Autos oder Lkw. „Idealerweise müssten die Verkehrsströme getrennt werden, etwa durch Ampelschaltungen“, sagt der Leiter des Berliner Instituts Unfallforschung der Versicherer (UDV). „Immer dann, wenn Radfahrer Grün haben, sollten Autos warten und umgekehrt.“

Lastwagen

Immer wieder werden Radler von Lkw-Fahrern beim Abbiegen übersehen. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) will den Einbau von Abbiegeassistenten daher vorantreiben. Er setzt sich für eine verpflichtende Einführung dieser Systeme für neue Fahrzeuge ab 2020 ein. Außerdem gibt es ein Förderprogramm zur Nachrüstung.

Nach Schätzungen des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) verfügen weniger als fünf Prozent der Fahrzeuge über ein etwa 1500 Euro teures System. Unfälle mit Lkw sind laut Brockmann allerdings nur „ein kleinerer Teil des Problems Radfahrerunfall“. 2017 seien 77 Radfahrer bei Unfällen mit Lkw gestorben, davon rund 30 beim Rechtsabbiegen.

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Infrastruktur

Mit extrabreiten und durch Poller geschützte Wege soll das Radfahren in Großstädten wie Berlin sicherer werden. Doch diese vereinzelten Projekte reichten bei weitem nicht aus, sagt Brockmann. Aus Sicht des ADFC ist die „schlechte und völlig unterdimensionierte Fahrrad-Infrastruktur“ das größte Sicherheitsproblem.

„Zerschlissene und schlecht einsehbare Bordsteinradwege wechseln ab mit zugeparkten, viel zu schmalen Radfahrstreifen – und die enden dann oft im Nichts oder an der nächsten Baustelle. Das ist frustrierend und gefährlich“, bemängelt Sprecherin Stephanie Krone.

E-Bikes / Pedelecs

Immer beliebter werden Elektro-Fahrräder. Sie bescheren vor allem Senioren eine neue Mobilität, denen sonst womöglich die Puste ausginge oder die Gelenke einen Strich durch die Rechnung machen würden. „Das sind völlig neue Gruppen jenseits der 75, die wir vorher nicht hatten“, so Brockmann. Die Kehrseite: „Die Beherrschung des Fahrzeugs, gerade mit der höheren Geschwindigkeit, ist in vielen Fällen nicht gegeben.“

Statistiken zeigen, dass es vor allem bei Pedelec-Fahrern mehr tödliche Unfälle gibt. „Eine Lösung wäre, die Geschwindigkeit der Räder an die Kraft zu koppeln, die ein Radfahrer mit seiner Muskelkraft aufbringen würde“, so der Experte.

Radfahrer

Rücksichtsloses Überholen oder fehlender Abstand: Auch Radfahrer werden für andere Radler zur Gefahr. Laut Brockmann gibt es hier eine große Dunkelziffer von Unfällen. „Auf einen von der Polizei registrierten Unfall kommen etwa drei weitere Radunfälle, bei denen Beteiligte mit erheblichen Verletzungen in Krankenhäuser kommen“, so der Experte. Oft werde die Polizei nicht gerufen, weil keine Versicherung im Spiel sei.

Stephanie Krone vom ADFC rät, vorausschauend zu fahren, Radwege nicht in Gegenrichtung zu nutzen und im Dunkeln das Licht einzuschalten. Auch Helme können schützen – Minister Scheuer wirbt aktuell mit einer umstrittenen Kampagne dafür. Nur acht Prozent der jungen Radfahrer tragen demnach einen Helm.

E-Scooter

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) will Elektrische Tretroller (E-Scooter) zulassen. Möglichst ab dem Frühjahr sollen sie unterwegs sein und rechtlich wie Fahrräder behandelt werden. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h sollen sie auf Radwegen fahren – wenn es keine gibt, darf auch die Fahrbahn genutzt werden. Aus Sicht Brockmanns ein weiteres Risiko.

„Ein E-Scooter-Fahrer verhält sich anders als ein Radfahrer, ist aber genauso schnell. Die Dinge sind nur sehr schwer miteinander kompatibel“, so Brockmann. E-Scooter würden Schlaglöchern beispielsweise eher ausweichen als Radler.

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Unverändert gefährliche Unfallschwerpunkte

Viele Unfallschwerpunkte sind laut Brockmann zwar bekannt, werden aber nicht geändert. „Unfallkommissionen kommen in vielen Städten nicht nach, die identifizierten Stellen zu bearbeiten und entsprechend umbauen zu lassen. Oft wird auch das Geld nicht bewilligt“, kritisiert der Experte.

Berliner Forscher wollen die Gefahrenstellen mit Hilfe von Radfahrern und der App „SimRa“ sichtbar machen. Sie kann erkennen, wann Radfahrer stark bremsen, beschleunigen oder einer Gefahr ausweichen müssen – also auch Beinahe-Unfälle registrieren. (dpa/cvdv/les)