Berlin. Nie wurden so viele Geldautomaten zerstört wie in diesem Jahr. Die Täter stammen oft aus dem Ausland und gehen immer aggressiver vor.

Die Täter kommen nachts. Meistens suchen sie sich kleine, spärlich besuchte Bankfilialen oder Bahnstationen in ruhigen Wohngebieten aus. Niemand soll sehen, wie sie durch den Ausgabeschlitz Gas in die Geld- und Fahrkartenautomaten leiten, das Gerät per Fernzündung in die Luft jagen und mit den Banknoten aus dem Innern türmen.

Die Räuber hinterlassen ein Schlachtfeld: schrottreife Automaten, mitunter verwüstete Bankgebäude, durch herumfliegende Trümmerteile beschädigte Autos am Straßenrand – und manchmal gar eine Leiche.

So wie im Oktober in Halle an der Saale, als drei junge Männer einen Ticketautomaten am Bahnhof sprengten und einer von ihnen zu nah an der explodierenden Maschine stand.

Automatensprengungen vor 2005 noch völlig unbekannt

Die Geldautomatensprenger schlagen immer häufiger zu, und sie gehen so aggressiv vor wie nie. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht irgendwo in Deutschland ein Gerät in die Luft fliegt – mit teils beträchtlichen Kollateralschäden.

Das Bundeskriminalamt (BKA) rechnet „für das Jahr 2018 mit einem neuen Höchststand und mindestens 350 Fällen“. Vor zehn Jahren hatte das BKA gerade einmal 33 ausgeführte und versuchte Sprengungen gezählt. Vor 2005 waren derartige Verbrechen in Deutschland sogar völlig unbekannt. Woher kommt der rapide Anstieg?

Moderne Variante des Bankraubs

Für die Täter führt längst nicht jeder Sprengversuch zum Erfolg – 311-mal attackierten sie zwischen Januar und Oktober Geldautomaten, nur in 122 Fällen machten sie Beute. Denn sie nutzen meist ein Gasgemisch, dessen Sprengkraft sich schwer kalkulieren lässt.

„Oft verläuft eine Sprengung nicht wie erhofft“, berichtet Jörg Reinemer, Sprecher des Polizeipräsidiums Mittelhessen, wo die Ermittlungen zu allen in seinem Bundesland verübten Automaten-Angriffen zusammenlaufen. Mal ist die Detonation zu schwach, um die Geldkassette freizulegen, mal so stark, dass das ganze Gebäude zerstört wird.

Trotzdem ist diese moderne Variante des Bankraubs äußerst lukrativ und relativ risikoarm. Je nach Automat kann sich die Beute auf mehr als 100.000 Euro belaufen, versierte Täter brauchen weniger als fünf Minuten.

Besonders viele Taten im Grenzgebiet zu Niederlanden

Es ist pures Glück, dass bislang keine Unbeteiligten verletzt wurden. Gerade in ländlichen Regionen sind Geldautomaten oft in Wohnhäusern untergebracht. „Die Gefährdung ist immens“, warnt Reinemer.

Das BKA geht davon aus, dass die meisten Räuber „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ der organisierten Kriminalität zuzurechnen sind. Es sind reisende Täter aus Bulgarien und Polen, vor allem aber „niederländische Staatsangehörige mit marokkanischem Migrationshintergrund“, wie es in einem Lagebild des BKA heißt.

Kein Wunder, dass besonders viele Taten in der Nähe der deutsch-niederländischen Grenze passieren, in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Eine Gemeinsamkeit der verschiedenen Banden: Häufig sind die Täter zu dritt oder viert, wobei einer von ihnen im Fluchtauto wartet. „Nur in wenigen Fällen sind Einzeltäter aktiv“, berichtet das BKA.

Farbpatronen machen Geldscheine unbrauchbar

Zwar haben einige Automatenhersteller bereits Sicherheitsmaßnahmen entwickelt, die Kriminelle abschrecken. In die Geräte eingebaute Farbpatronen etwa, die die Geldscheine im Fall einer Explosion markieren und somit unbrauchbar machen. Oder Systeme zum Absaugen des eingeleiteten Gases.

Die Banken halten sich jedoch bedeckt, wie verbreitet diese Ansätze sind. Pauschale Lösungen könne es nicht geben, meint ein Sprecher der Deutschen Kreditwirtschaft.

Tinte ist in anderen Ländern Pflicht

Unter der Hand ist zu hören, dass sich viele Geldhäuser gegen teure Nachrüstungen der Automaten sträuben. In den Niederlanden ist der Einsatz von Farbpatronen stärker verbreitet – ein Grund, warum holländische Banden nach Deutschland drängen. In Frankreich und Belgien sind Banken sogar gesetzlich zum Einbau von Tintentechnologie verpflichtet.

Deutsche Kreditinstitute setzen eher darauf, die Täter gar nicht erst hereinzulassen in den Vorraum – Kunden allerdings auch nicht: Nicht wenige Filialen in ländlichen Gegenden bleiben mittlerweile nachts geschlossen. In einigen Regionen ist die Zahl der Sprengungen seitdem gesunken.