Karlsruhe/Essen. Vor acht Jahren spendete Ralf Zietz seiner Frau eine Niere. Nun kämpft er vor Gericht um Schadenersatz. Man habe Risiken verschwiegen.

Über das genaue Datum muss Ralf Zietz keinen Moment nachdenken. Der Tag, der sein Leben verändert hat, ist der 19. August 2010. An diesem Tag spendet Zietz seiner Frau Marlies seine rechte Niere.

Wegen einer Autoimmunkrankheit ist sie damals von der Dialyse abhängig. Ein Organ über die Warteliste ist nicht in Sicht. Mit der Transplantation soll alles werden wie früher: „Ich wollte meine Frau wiederhaben und unser Leben“, erinnert sich der heute 54-Jährige. „Und es wurde einem auch suggeriert, dass das funktioniert.“

Organspender: „Mein Leben hat sich halbiert“

Bei einer Operation wird einem Spender eine Niere entnommen.
Bei einer Operation wird einem Spender eine Niere entnommen. © dpa | Jan-Peter Kasper

Gut acht Jahre später steht Zietz’ Fall am Dienstag zur Verhandlung beim Karlsruher Bundesgerichtshof (BGH) an (Az. VI ZR 318/17 u.a.). Zusammen mit einer zweiten Nierenspenderin hat er die Uniklinik Essen und die für die Transplantation verantwortlichen Mediziner auf Schmerzensgeld und Schadenersatz verklagt.

Denn Zietz hat zwar seiner Frau einige bessere Jahre geschenkt. Aber der Preis dafür war nach seinen Worten hoch: „Mein Leben hat sich im Prinzip halbiert.“

Vor dem Eingriff leitet der Unternehmer aus dem niedersächsischen Thedinghausen bei Bremen zwei Firmen mit Dutzenden Mitarbeitern, in der Familie mit vier Kindern in Ausbildung ist er der Ernährer. Danach will er genauso weitermachen und merkt schnell: Etwas stimmt nicht. „Zuerst fühlte es sich an wie die üblichen OP-Folgen. Aber es wurde einfach nicht weniger, es wurde im Laufe der Zeit mehr.“

Wann sind Organspenden von Lebenden erlaubt?

Laut Deutscher Stiftung Organtransplantation (DSO) muss eine Lebendspende „sorgfältig überdacht werden, da es sich um einen chirurgischen Eingriff an einem gesunden Menschen ausschließlich zum Wohle eines anderen handelt“.

ARCHIV - ARCHIV - 24.05.2013, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Ein Organspendeausweis wird in der Hand gehalten. (zu lbn vom 08.09.2018) Foto: Caroline Seidel/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
ARCHIV - ARCHIV - 24.05.2013, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Ein Organspendeausweis wird in der Hand gehalten. (zu lbn vom 08.09.2018) Foto: Caroline Seidel/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ © dpa | Caroline Seidel

Das Gesetz erlaubt die Lebendspende nur unter engen Verwandten und einander sehr nahestehenden Menschen – wenn der Spender „voraussichtlich nicht über das Operationsrisiko hinaus gefährdet oder über die unmittelbaren Folgen der Entnahme hinaus gesundheitlich schwer beeinträchtigt wird“. Erste Wahl soll grundsätzlich immer ein Spenderorgan eines Toten sein.

Bereitschaft zur Organspende rückläufig

Aber die postmortalen Organspenden sind 2017 auf den niedrigsten Stand seit 20 Jahren eingebrochen. Gerade einmal 857 postmortale Organspender gab es in dem Jahr. Demgegenüber standen aber 10.000 Patienten, die dringend auf ein Organ warteten.

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Lebendspenden – in den allermeisten Fällen einer Niere oder eines Teils der Leber – sind daher für die Wartenden und ihre Angehörigen eine Chance, ihre Bedeutung hat deutlich zugenommen.

2017 waren 557 von 1921 transplantierten Nieren Lebendspenden, das sind 29 Prozent. Spender und Empfänger durchlaufen einen genau geregelten Auswahlprozess mit Prüfungen und Gesprächen.

Organspender sollte nach achten Wochen wieder der Alte sein

Auch Ralf und Marlies Zietz durchlaufen 2010 diesen Prozess. Seine Frau habe Angst um ihn gehabt, sagt er. Aber die Ärzte hätten sie gewarnt, ohne die Spende verkürze sich ihre Lebenserwartung deutlich.

„Mir wurde gesagt, es gibt die üblichen Operationsrisiken, wie bei jedem Eingriff, und es gibt natürlich eine gewisse Rekonvaleszenz – aber nach sechs bis acht Wochen ist man wieder der Alte.“

Nach Organspende erschöpft und vergesslich

Aber Zietz ist nicht der Alte. Er leidet an chronischer Erschöpfung, ist vergesslich geworden. Wenn er seinen Tag schildert, klingt das so: Nach dem Aufstehen ist der Akku kaum aufgefüllt, morgens ein paar gute Stunden, mittags legt er sich mit Kopfschmerzen hin, nachmittags schaut er manchmal nur aus dem Fenster. Zietz ist überzeugt: „Das kommt durch die niedrige Nierenfunktion.“

Abends, wenn es ihm besser geht, engagiert er sich für den Selbsthilfeverein, den er inzwischen gegründet hat, die Interessengemeinschaft Nierenlebendspende (IGN). Die Verantwortung in seinen Firmen hat er weitgehend abgegeben.

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    Organspender fühlt sich von Ärzten betrogen

    Dass Zietz heute nach formalen Kriterien nierenkrank ist, ist diagnostiziert. Dass davon die Erschöpfung kommt, lässt sich nicht beweisen, obwohl es auch andere Nierenspender mit solchen Beschwerden gibt.

    Zietz fühlt sich von seinen Ärzten betrogen, sie hätten ihm wider besseres Wissen Risiken des Eingriffs verschwiegen. Er sagt: Hätte ihm damals jemand gesagt, dass er mit solchen Einschränkungen rechnen muss, hätte er nicht gespendet. „Definitiv nein.“

    Hätte Zietz die Niere so oder so gespendet?

    Im Prozess hat ihm das bisher nicht geholfen. Das Oberlandesgericht Hamm hat zuletzt zwar festgestellt, dass es Mängel gab: Beim Vorgespräch im Klinikum war wohl kein neutraler Arzt dabei. Die inhaltliche Aufklärung sei „zum Teil unzureichend“ gewesen.

    Die Richter schätzten Zietz aber so ein, dass er seiner Frau auch in Kenntnis sämtlicher Risiken auf jeden Fall die Niere gespendet hätte – zu groß sei ihr Leid gewesen, zu groß seine Hilfsbereitschaft. Juristisch nennt sich das „hypothetische Einwilligung“.

    Spender hofft auf Grundsatzurteil des BGH

    Ein Totschlagargument, findet Zietz, daraus könne man letztlich jedem Organspender einen Strick drehen, der um einen geliebten Menschen bangt – und die Ärzte kämen immer ungeschoren davon. Er hofft auf ein Grundsatzurteil des BGH. Die 100.000 Euro Schmerzensgeld, auf die er geklagt hat, seien für ihn zweitrangig. „Das würde nicht im Entferntesten wettmachen, was ich an Lebensqualität verloren habe.“

    Die Uniklinik will sich im laufenden Verfahren nicht zu Zietz’ Vorwürfen und den heutigen Abläufen äußern. Im Prozess wurde vorgetragen, es habe bei der Risikoaufklärung keine Defizite gegeben.

    Debatte über Widerspruchsregelung bei Organspende

    Die Politik diskutiert derzeit über eine Neuregelung der postmortalen Organspende. Gesundheitsminister Jens Spahn und der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Karl Lauterbach hatten angeregt, eine Widerspruchsregelung einzuführen.

    Das würde bedeuten, dass alle Menschen nach ihrem Tod automatisch zu möglichen Organspendern würden – es sei denn, sie oder ihre Angehörigen sprechen sich ausdrücklich dagegen aus. Der Bundestag soll über eine Neuregelung abstimmen, ein entsprechender Antrag ist in Vorbereitung. Zudem sollen sich Kliniken besser um Organspenden kümmern können.

    In den Niederlanden gibt es eine solche Regelung bereits. Auch dort war das Gesetz heftig umstritten. (dpa/cho)