Berlin. Laut Studie der Bertelsmann-Stiftung sind 61 Prozent der Deutschen Nostalgiker. Darum kritisieren sie Einwanderung besonders scharf.

Die Mehrheit der Deutschen sehnt sich nach vergangenen Zeiten: 61 Prozent der Menschen hierzulande bezeichnen sich laut einer repräsentativen Umfrage der Bertelsmann-Stiftung als nostalgisch. Damit liegen die Deutschen unter dem EU-Schnitt: In den 28 Mitgliedsstaaten der EU liegt der Durchschnitt an Nostalgikern bei 67 Prozent.

Untersucht wurde in der Studie nicht nur der Anteil an Nostalgikern, sondern auch deren soziales Umfeld sowie deren politische Präferenzen. Demnach sind Nostalgiker mehrheitlich Männer über 36 Jahre, die politisch eher konservativ sind, zur Arbeiter- oder unteren Mittelschicht zählen und dem Thema Einwanderung kritisch gegenüberstehen.

Laut Studie sind Italiener am nostalgischsten

EU-weit sehnen sich die Italiener am meisten nach der Vergangenheit. Aktuell krankt Italien an Konjunkturschwäche, hoher Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Stagnation. Da kommt laut der Studie anscheinend schnell der Gedanke auf, dass früher alles besser gewesen sei: 77 Prozent der Italiener bezeichnen sich als nostalgisch.

Dabei waren auch die vergangenen Jahrzehnte in Italien von zahlreichen wirtschaftlichen Krisen geprägt. Die Polen dagegen sind am wenigsten nostalgisch. Nur 59 Prozent der Polen sehnen die alten Zeiten zurück.

In Deutschland ist die politische Mitte nostalgisch

Wer der Vergangenheit nachhängt, siedelt sich laut der Bertelsmann-Studie eher im konservativen politischem Spektrum an. 53 Prozent der EU-Befragten fühlten sich der Kategorie „Mitte-Rechts“ oder „Rechts“ zugehörig. In Deutschland ist das Verhältnis nahezu ausgeglichen.

Im Vergleich zu den anderen Ländern trauern in Deutschland am wenigsten Wähler der politischen Ränder der Vergangenheit nach. Nur zwölf Prozent derjenigen, die sich als politisch „links“ einordnen, und zehn Prozent derjenigen, die sich als „rechts“ fühlen, sind in Deutschland nostalgisch. Vergangenheitssehnsucht ist in Deutschland eher ein Phänomen der politischen Mitte.

Nostalgiker sehen Einwanderung besonders kritisch

Das Thema Einwanderung wird von Nostalgikern in Europa sehr kritisch gesehen. 78 Prozent der Nostalgiker vertreten die Meinung, dass sich Einwanderer nicht in die Gesellschaft einfügen wollen. Über die Hälfte befürchtet, dass Einwanderer den Einheimischen die Arbeitsplätze wegnehmen werden.

Immerhin fast jeder dritte Nostalgiker möchte keinen Einwanderer als Nachbarn habe. Einwanderer stellten häufig Sündenböcke dar, erklärt Petia Genkova, Wirtschaftspsychologie-Professorin an der Hochschule Osnabrück: „Wenn sich jemand benachteiligt fühlt, bilden sich Vorurteile und Stereotype aus. Man sagt sich: Mir geht es nicht gut, ich bin unzufrieden. Dann wird eine Erklärung anhand der Vorurteile gesucht.“

Auch Trump profitierte von Nostalgie

Nostalgie wird auch in der Politik als Instrument wahrgenommen. Vor allem Donald Trump hat es geschafft, Nostalgie für sich zu nutzen. Seine „Make America Great Again“-Kampagne spielte mit einer verklärten Vergangenheit. Dass diese Kampagne Erfolg hatte, begründet Genkova damit, dass Nostalgie in den Industrienationen nicht an Geld und Lebensqualität, sondern an Zufriedenheit gekoppelt sei.

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    In Deutschland seien die Zufriedenheitswerte niedrig. „Das liegt an der politischen Haltung der deutschen Kultur. In Deutschland geht es darum, sich weiterzuentwickeln. Es ist eine Kultur, kritisch zu sein und sich immer zu reflektieren“, erläutert Genkova. In den USA dagegen seien die Zufriedenheitswerte deutlich besser trotz eines schlechteren Systems.

    Die Amerikaner profitierten in ihrer Zufriedenheit vom „We are great“-Gefühl, so Genkova. Auch in Deutschland sei Nostalgie als politisches Instrument entdeckt worden – von der AfD. „Psychologisch gesehen, spielt AfD mit den Ängsten der Leute, ohne eine klare Begründung zu haben“, meint Genkova.

    In der Psychologie nennt sich dieser Vorgang relative Deprivation. Dabei erhalten Menschen das Gefühl, benachteiligt zu sein, obwohl sie in materieller Hinsicht positiv aufgestellt sind.

    Befragte zeigen hohe Zustimmung zu EU

    Im Gegensatz zu den populistischen Parteien in Europa ist das Vertrauen der Befragten in die Europäische Union hoch. Der EU wird in der Einwanderungsfrage eine zentrale Rolle zugeschrieben. Eine Mehrheit der Befragten glaubt, dass mehr politische und ökonomische Integration notwendig wäre.

    Auch finden 55 Prozent, dass Migranten in der EU arbeiten sollten und dann auch bleiben dürften. Zwei Drittel der Nostalgiker und 82 Prozent der Nicht-Nostalgiker befürworten die EU-Mitgliedschaft ihrer Länder. Auch wünschen sich über 80 Prozent aller Befragten, dass die EU aktiver ins Weltgeschehen eingreifen sollte.

    Bei der konkreten Ausgestaltung der Europa-Politik gehen die Meinungen zwischen Nostalgikern und Nicht-Nostalgikern auseinander. Während nostalgisch denkende Menschen die Terrorismusbekämpfung als mit Abstand wichtigstes Politikfeld vor der Migration sehen, liegen bei den Nicht-Nostalgikern Terrorismusbekämpfung, die Friedenssicherung und der Schutz der Bürgerrechte nahezu gleichauf. Auch sprechen sich eher Nicht-Nostalgiker dafür aus, Ungleichheiten zu reduzieren und den Klimawandel zu stoppen.

    Nostalgie oder: „Früher war alles besser“

    Nostalgie bezeichnet die Sehnsucht nach der Vergangenheit. Der Spruch „Früher war alles besser“ gilt als klassischer Ausdruck der Nostalgie. Dabei ist Nostalgie nicht zwingend daran gekoppelt, ob früher tatsächlich alles besser war. Stattdessen geht häufig ein Effekt der Verklärung mit Nostalgie einher.

    Laut der Definition des Dudens wird Nostalgie daher „vom Unbehagen an der Gegenwart“ ausgelöst. Die Forscher der Bertelsmann-Stiftung haben für ihre Studie auf Nostalgie als Bauchgefühl gesetzt.

    Die über 10.000 Befragten erhielten die Impulsfrage, ob für sie früher alles besser gewesen sei. Eine wissenschaftliche Definition zur Nostalgie wurde den Befragten nicht vorlegt. Stattdessen ging es darum, eine spontane Einschätzung der Befragten zu bekommen.