Gießen/Berlin. Ein Mann soll Unternehmersohn Markus Würth entführt haben. Eine Frau erkannte wohl im Fernsehen seine Stimme. Er streitet die Tat ab.

Der Angeklagte erzählt wenig von sich. Er macht nur einige Angaben zu seiner Person: wann er geboren wurde, woher er stammt. Entscheidend ist jedoch nicht so sehr, was der 48-Jährige sagt – sondern wie: Seine leise Stimme mit dem hörbaren Akzent spielt im Kriminalfall um die Entführung des Milliardärssohns Markus Würth eine elementare Rolle.

Seit Dienstag steht ein Mann vor dem Landgericht Gießen, der den geistig zurückgebliebenen, damals 50-jährigen Würth im Juni 2015 aus dessen Behinderteneinrichtung in Hessen gekidnappt und von den Eltern telefonisch drei Millionen Euro Lösegeld gefordert haben soll. Die Übergabe scheiterte.

Analysten lieferten eine präzise Beschreibung

Der unverletzte Würth wurde nach einem Tag an einen Baum gekettet in einem Wald gefunden, trug zur Identifizierung des Entführers jedoch nichts bei – er kann nicht sprechen. Experten der Universität Marburg analysierten die Stimme des Anrufers. Sie lieferten eine präzise Beschreibung: Die Ermittler suchten fortan einen Mann, der zur Tatzeit 40 bis 52 Jahre alt war, aus dem früheren Jugoslawien stammt und im Rhein-Main-Gebiet Deutsch gelernt hat. Im März 2018 nahmen sie schließlich den Verdächtigen fest.

Tatsächlich passen die Kriterien: Er kommt aus Serbien und lebte mit Frau und zwei Töchtern in Offenbach. Die erfolgreiche Stimmanalyse wirft ein Schlaglicht auf die Chancen, die diese relativ neue Beweistechnik den Behörden bietet. „Die Möglichkeiten zur digitalen Aufbereitung solcher Sequenzen haben sich stark verbessert“, erklärt der Wiesbadener Kriminologe Rudolf Egg. Dass der Verdacht gegen den 48-Jährigen vor allem auf der Stimmanalyse fuße, sei ein Novum in der Justizgeschichte, sagt Staatsanwalt Thomas Hauburger nach dem kurzen ersten Verhandlungstag.

Das Opfer hat die Wohngruppe verlassen

Der 48-jährige Angeklagte (r) steht zum Prozessbeginn im Gerichtssaal des Landgerichts neben seinem Verteidiger.
Der 48-jährige Angeklagte (r) steht zum Prozessbeginn im Gerichtssaal des Landgerichts neben seinem Verteidiger. © dpa | Arne Dedert

Er geht davon aus, dass es einen oder mehrere bislang unentdeckte Mittäter gibt. Als Motiv vermuten die Ermittler Geldprobleme: Das laut Anklage „vertrauensselige“ Opfer ist der Sohn des baden-württembergischen Unternehmers Reinhold Würth (83), Inhaber eines Schrauben-Imperiums und einer der reichsten Deutschen. Sein Vermögen soll sich auf mehr als elf Milliarden Euro belaufen. In einem Interview mit unserer Redaktion sprach er 2016 erstmals über die dramatische Entführung. Auch er ging damals von mehreren Geiselnehmern aus. „Die Entführer waren einfach zu raffiniert. Das waren sehr professionelle Täter.“

Die Familie leidet bis heute unter der Tat. Sein Sohn lebe nun an einem geheimen Ort, so Reinhold Würth. Er selbst bewege sich „nie so, dass meine Wege sich täglich ritualisiert wiederholen. Ich bin viel unterwegs in der ganzen Welt. Aber wenn es mal nach Indonesien oder so geht, habe ich einen Bodyguard dabei.“

Die Ermittler hatten einen Mitschnitt des Entführeranrufs unter anderem während der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY. . . ungelöst“ veröffentlicht. Der entscheidende Hinweis kam am Ende von einer Frau, die die Sequenz bei einer Polizei-Hotline angehört und einen Handwerker aus ihrem Haus erkannt hatte. Der 48-Jährige bestreitet die Tat. Der Prozess wird fortgesetzt – ebenso wie die Suche nach möglichen Komplizen.