Berlin. Wissenschaftler haben erstmals Rhinozeros-Embryos im Labor erzeugt. Sie wollen eine Nashorn-Art vor dem sicheren Aussterben retten.

Am Fuß des Mount-Kenya-Massivs erinnert ein Grabstein an Sudan, das letzte männliche Nördliche Breitmaulnashorn. Als der „Last Man Standing“ genannte Bulle im März in Kenia starb, galt die Spezies als faktisch ausgestorben. Nur noch zwei Kühe sind übrig von der Unterart. Auch Monate nach dem Tod des 45 Jahre alten Bullen pilgern Touristen zu dem Denkmal des Dickhäuters, der wie kein anderer als Symbol für das Artensterben stand.

Im mehr als 10.000 Kilometer entfernten Berlin keimt nun wieder Hoffnung für die Tiere mit dem breiten Maul: Unter Leitung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) hat es eine internationale Forschergruppe erstmals geschafft, Nashorn-Embryonen im Labor zu erzeugen.

„Werden sie in eine Leihmutter implantiert, ist die Chance, dass sich eine Trächtigkeit entwickelt, sehr hoch“, sagt IZW-Veterinärmediziner Thomas Hildebrandt. Das ehrgeizige Ziel: Die Wissenschaftler wollen die Ausrottung von Sudans Art mit Methoden der künstlichen Reproduktion sowie der Stammzellforschung verhindern – und so eine Vorlage liefern für die „Rettung“ weiterer hochgefährdeter Tierarten.

Die Technik, mit der der Coup gelingen soll, beschreibt das Team im Fachjournal „Nature Communications“, einer der bedeutendsten wissenschaftlichen Publikationen der Welt.

Die Nachricht aus Berlin geht sofort um die Welt

Von einem „Durchbruch“ sprechen die Wissenschaftler am Donnerstag bei der Präsentation ihrer Arbeit im Schloss Friedrichsfelde im Berliner Tiergarten. In einer übergroßen Reprografie eines der erzeugten Nashorn-Embryos prangt das Bild eines ausgewachsenen Tieres. Die Montage steht für das Vorhaben. Oder besser: für einen Wunsch.

Das letzte männliche Nördliche Breitmaulnashorn ist tot

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    Auf dem Podium sitzen die maßgeblichen Köpfe des Projekts: Neben Hildebrandt sind das der Reproduktionsexperte Cesare Galli vom Labor für Fortpflanzungstechnologien Avantea in Italien, Sebastian Diecke vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin sowie Jan Stejskal, Direktor des tschechischen Dvur-Králové-Zoos, aus dem die letzten Exemplare des Nördlichen Breitmaulnashorns stammen. Die Nachricht vom Rhinozeros aus der Retorte geht schon nach kürzester Zeit um die Welt.

    Entnahme an engen Verwandten erprobt

    Allerdings, und das ist ein nicht unbedeutendes Detail, handelt es sich bei den Nashorn-Keimlingen bisher nicht um reine Embryos der bedrohten Unterart. Zunächst erprobten die Forscher die aufwendige Entnahme von Eizellen bei engen Verwandten der Nördlichen Breitmaulnashörner, bei Südlichen Breitmaulnashörnern in europäischen Zoos. Und das rund 20-mal.

    Von dieser Unterart gibt es in freier Wildbahn noch mehr als 20.000 Exemplare. Nördliche Breitmaulnashörner gelten dagegen seit 2008 als in der Natur ausgestorben. Wilderei und Tierschmuggel sind die Hauptgründe dafür: Im Schnitt sterben drei Nashörner pro Tag, weil ihre Hörner vor allem in Asien als Potenzmittel oder Statussymbol begehrt sind.

    Je weniger es von einer Art gibt, desto größer der Wert auf dem Schwarzmarkt. Das ist auch der Grund, warum die beiden verbliebenen Weibchen, Najin und Fatu, im Ol-Pejeta-Reservat in Kenia schwer bewacht werden. Sie sind die Tochter und die Enkelin des im März gestorbenen Bullen Sudan.

    Was die Spermien betrifft, so stand den Wissenschaftlern tiefgefrorener Samen längst toter Bullen des Nördlichen Breitmaulnashorns zur Verfügung. Allerdings sei die Qualität schlecht gewesen. Deshalb mussten Spermien jeweils direkt in die Eizelle gespritzt werden. Dabei arbeiten die Forscher mit einem italienischen Unternehmen zusammen, das das Verfahren auch bei Rindern und Pferden anwendet. Die sogenannte Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) ist auch beim Menschen eine häufig genutzte Methode zur künstlichen Befruchtung.

    Schon bald Eizell-Entnahme in Kenia

    So entstanden mehrere Hybride aus beiden Arten, die jetzt als Mini-Embryos bei extremen Temperaturen von minus 196 Grad Celsius im flüssigen Stickstoff lagern. Mit den bisherigen Erfahrungen wollen sich die Forscher nun daranmachen, den letzten beiden weiblichen Nördlichen Breitmaulnashörnern Eizellen zu entnehmen, möglichst noch im August oder September. Mit der Regierung gebe es allerdings noch Streit über die Eigentumsrechte.

    Nashorn-Embryos lagern bei minus 196 Grad Celsius.
    Nashorn-Embryos lagern bei minus 196 Grad Celsius. © dpa | AVANTEA

    Für eine natürliche Fortpflanzung aber fehlt den beiden nicht nur der Partner, seit Sudan tot ist. Najin und Fatu sind auch nicht mehr in der Lage, ein Kalb auszutragen. Deshalb werden Leihmütter benötigt – auch dafür eignen sich Südliche Breitmaulnashörner.

    Anfang 2019 könnte es zu einer solchen Nashorn-Schwangerschaft kommen, hoffen die Forscher. Noch feilen sie am Em­bryo-Transfer. Und sie werben um Geld von Privatleuten. Bisher fließt das Geld aus den eigenen Budgets der Institutionen. Zwar laufe ein Förderantrag, so Hildebrandt. „Das Vorhaben ist aber ein Wettlauf gegen die Zeit.“

    Reproduktion sollte nur das letzte Mittel sein

    US-Experten warnen in einem Kommentar zur Studie vor zu hohen Erwartungen. Beeindruckende Ergebnisse in einer Petrischale ließen sich nicht ohne Weiteres in gesunden Nachwuchs übertragen, heißt es. Der Umweltverband WWF nennt die Ergebnisse einen „großen technischen Erfolg für den Artenschutz“, mahnte aber weitere Anstrengungen zur Bekämpfung der Wilderei an.

    Für Christof Schenck von der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt darf die Retortenzeugung nur die letzte Stufe für die Erhaltung einer Art sein: „Meistens ist der Lebensraumverlust einer der Hauptgründe für das Aussterben von Arten. Wollen wir Arten erhalten, müssen wir Lebensräume erhalten und umgekehrt.“