Paris. Jedes Jahr machen in Frankreich Hunderte von traditionellen Bistros dicht. Jetzt sollen sie Weltkulturerbe werden. Doch reicht das?

Genuss und Geselligkeit, dafür steht ein typisches Bistro. „Das hier ist so etwas wie mein zweites Zuhause“, meint Martin, der am langen Tresen seines Pariser Stammlokals lehnt, wo er gerade einen Café Crème getrunken und einen Blick auf die ausliegenden Tageszeitungen geworfen hat. Ein Ritual, dem der Optiker an jedem Werktag huldigt, bevor er sein unweit entfernt liegendes Brillengeschäft öffnet.

In der Mittagspause wird Martin wieder da sein, „weil die Küche hier zwar einfach, aber gut und preiswert ist“. Und nach Feierabend? Schaut er normalerweise noch auf ein Glas Wein vorbei und tauscht sich mit Bekannten aus dem Viertel aus. Erst dann geht es nach Hause. Internet mag für den Mittfünfziger alles andere als ein Fremdwort sein, aber auf Facebook ist er nicht zu finden: „Mein soziales Leben sind die Familie, der Freundeskreis und dieses Bistro.“

Heute sind es nur noch 28.000 Bistros in ganz Frankreich

Damit meint er das „Le Grand Comptoir“ in Montmartre, mittags und ab dem späteren Nachmittag stets rappelvoll. Zwei Kellner, die sich zwischen den Tischen durchschlängeln, haben alle Hände voll zu tun, um die Kundschaft mit Bier, Wein, Pastis und der Regionalkost zu versorgen.

Ziemlich hoch ist auch der Geräuschpegel der sich eifrig unterhaltenden Gäste, obwohl Hervé, der Patron, grundsätzlich keine Hintergrundmusik laufen lässt: „Da stehen meine Stammkunden weniger drauf als die Jugend“, erklärt er und fügt hinzu, dass besagte Stammkundschaft eher über 30 Jahre alt ist.

Allerdings verkehren im günstig gelegenen Grand Comptoir auch viele von der den Montmartre-Hügel krönenden Kirche Sacré-Coeur herbeigelockte Touristen. Das Bistro läuft sehr gut – im Gegensatz zu vielen anderen in Paris oder in der Provinz, die in den letzten Jahren geschlossen haben. Ein Trend, der längst beängstigende Ausmaße annimmt: Zählte man vor einem halben Jahrhundert gut 200.000 Bis­tros in Frankreich, so sind es heute nur noch 28.000.

Die Bistros sollen als Orte „echter Volkskultur“ auf die Unesco-Liste

Jahr für Jahr werfen mindestens weitere 500 Bistrobesitzer das Handtuch. Der nationale Gaststätten-Verband Synhorcat spricht angesichts dieses offenbar unaufhaltsamen Niedergangs sogar von einer existenziellen Krise.

Eine Gruppe Gastronomen und TV-Schauspieler hat daher nun beantragt, zumindest die Pariser Bistros als Institution in die Unesco-Liste der Weltkulturgüter aufzunehmen. Ihre Begründung: Die zumeist kleinen Lokale müssten geschützt werden, weil sie familiäre Orte seien und für eine echte Volkskultur stünden.

Als Beweis hierfür führt die Gruppe unter anderem die Reaktion der Pariser an, welche nach den islamistischen Terroranschlägen vom November 2015 auf die Terrassen der Cafés und Bistros strömten und sie zu einem „Symbol der Lebensart und der Freiheit“ gemacht hätten.

Die Bistros kommen aus der Mode

Ganz unbestreitbar sind die Bis­tros für viele (noch) ein wesentlicher Bestandteil ihres Alltags und des Savoir-vivre. Aber die Frage ist tatsächlich, wie viel Nostalgie schon allein in dieser Feststellung mitschwingt.

Denn wenn die Streiter für den Schutz der Bistros die steigenden Immobilienpreise als hauptverantwortlich für deren Aussterben bezeichnen, liegen sie eher falsch. Genauso gut ließe sich nämlich das strenge, im Januar 2008 eingeführte Rauchverbot in Restaurants und Cafés anführen, welches beinahe allen Bistros Umsatzeinbußen von bis zu 30 Prozent bescherte.

Doch das eigentliche Problem ist ein anderes: Bistros kommen aus der Mode. Meist sind es nur noch die älteren Semester, die für den Umsatz sorgen. Für diese „piliers de bar“ (Tresen-Pfeiler), wie verdiente Stammkunden in Frankreich genannt werden, ist das Bistro ein Lebensmittelpunkt geblieben.

Verband fordert neue Konzepte von Gastronomen

Aber für die jüngeren Generationen gilt das nicht mehr. Sie treffen sich bei Starbucks oder in Bars, die Cocktails und drahtloses Internet bieten. Nicht die Traditionspflege, sondern eine „überlebensnotwendige Anpassung“ sei das Gebot der Stunde, heißt es bei Synhorcat.

Die Bistros müssten dem Zeitgeist folgen, und dazu gehöre eine Änderung der Karte, des Dekors. Fragt sich nur, ob ein auf edel gequältes Bis­tro noch als ein solches durchgehen kann. Zweifel mögen da erlaubt sein.