Kandel/Landau. In Landau ist der Prozess im Mordfall Mia eröffnet worden. Ärger gab es um den Dolmetscher. Er kam zu spät und übersetzte lückenhaft.
Stefanie Berger steht mit zwei Freundinnen am Bahnhof Kandel und raucht Kette. Sie trägt einen schwarzen Pulli mit großen goldenen Buchstaben („Von Anfang bis Ende“) und sieht nachdenklich aus. Das passt nicht zu den blonden Haaren mit roten Strähnen und der ausgelassenen Stimmung ihrer Freundinnen.
„Ich rauche seit ich zwölf bin, also seit vier Jahren“, sagt Stefanie, „aber seit Mia tot ist, ist es wirklich zu viel geworden.“ Sie sagt, manchmal seien es bis zu zwei Schachteln am Tag. „Es tut einfach immer noch mega weh.“ Beim Rauchen sei sie ganz bei sich. „Das hilft für den Moment.“
Kandel-Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit
Mia, eine ihrer besten Freundinnen, starb nicht weit von diesem Bahnhof, sie wurde nur 15 Jahre alt. Ihr Ex-Freund, der afghanische Flüchtling Abdul D., lauerte ihr auf, folgte ihr in einen Supermarkt, kaufte dort ein Brotmesser mit einer 20 Zentimeter langen Klinge und stach dann in einer benachbarten Drogerie siebenmal auf sie ein.
Es war halb vier am Nachmittag, kurz nach Weihnachten, am 27. Dezember. Ein knappes halbes Jahr später wurde am Montag der Prozess gegen Abdul D. eröffnet – unter Ausschluss der Öffentlichkeit, weil der mutmaßliche Täter noch immer als minderjährig gilt.
Mord von Kandel rief heftige Debatte hervor
Es ist einer der spektakulärsten Prozesse in diesem Jahr, denn es geht um eine Konstellation, die inzwischen häufiger in Gerichten verhandelt wurde: Flüchtling ermordet junge Deutsche. Maria in Freiburg, Susanna in Wiesbaden und Mia in Kandel. Dieser Fall hatte wie keiner ein Medienecho und Debatten im Bundestag hervorgerufen.
Wut und Trauer nach dem Mord an Susanna
Die Flüchtlingskrise hatte ein Todesopfer gefordert, ein junges Mädchen. Es wurde diskutiert, inwiefern die Herkunft und sein heimisches Frauenbild mit der Tat zu tun haben könnten. Hussein K., der Mörder des Mädchens in Freiburg, soll schließlich entschuldigend gesagt haben: „Es ist doch nur eine Frau.“
Pressekonferenz in größeren Saal verlegt
Schon aus diesem Grund hat Robert Schelp, der Sprecher des Landgerichts Landau, die Pressekonferenz in einen größeren Saal verlegt: das Haus am Westbahnhof. Es ist eine Kulturbegegnungsstätte aus Backstein und Holz, hier finden sonst Salsa-Kurse und Suppen-Kochstudio statt.
Am Montag vor der Pressekonferenz steht draußen am Eingang ein Demonstrant, der auf einem Plakat an Mia erinnert. Im Innenraum sind noch einmal die Menschenrechte an die Wand geschrieben. In der langen Reihe der Rechte steht ganz unten: „Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen.“
Gericht sieht Heimtücke als erwiesen an
Robert Schelp fasst sich recht kurz. Es seien 13 Verhandlungstage angesetzt, auch am Montag werden einige der insgesamt 80 Zeugen geladen. Mias Eltern werden beide ebenfalls beim Prozess erwartet. Sie sind Nebenkläger im Verfahren gegen Abdul D. Die Anklage laute auf Mord, weil das Gericht Heimtücke und niedere Beweggründe als Motiv erwiesen sah.
Auf die Frage, was der Prozess für ihn bedeute, sagt Robert Schelp nur: „Aus meiner Sicht ist der Prozess nicht herausragend.“ Er habe schon viele Beziehungstaten verhandelt. „Ein Jugendlicher hat seine Freundin getötet, die politische Lage spielt für uns keine Rolle, wir kümmern uns um diese eine Tat.“
Verteidiger will Dolmetscher austauschen lassen
Der erste Prozesstag in Landau begann holprig. Ein komplett leerer Saal, trotzdem fehlte eine entscheidende Person: Der Dolmetscher hatte den Termin verpasst und kam eine Stunde zu spät. Anschließend übersetzte er dann nur lückenhaft. Das erzählt der Verteidiger Maximilian Endler vor dem Gerichtsgebäude. Er habe schließlich das Gericht gebeten, den Mann zu ersetzen.
„Ich habe die Eltern von Mia vorher um Verzeihung gebeten, dass ich schon so früh im Prozess einen solchen Antrag stellen muss“, sagt der Anwalt vor dem Gerichtsgebäude, „aber für einen fairen Prozess ist es wichtig, dass mein Mandant versteht, was im Gerichtssaal gesagt wird.“
Verteidiger: Angeklagter bereut die Tat sehr
Er beschreibt den Angeklagten als ruhig und in sich gekehrt. „Er ist in schlechter Verfassung“, sagt Endler knapp. Abdul D. sei im Gefängnis angegriffen worden und wurde deswegen von anderen Gefangenen isoliert. Gegen ihn gab es mehrere Morddrohungen.
„Er bereut die Tat“, sagt Endler und fügt nach einer Pause an: „Sehr.“ Abdul D. wolle zudem sowohl zu seiner Person als auch zur Sache eine Aussage machen. Ob er auch zu seinem Alter Angaben macht, ließ der Anwalt jedoch offen.
Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht?
Doch dies ist seit Beginn der Ermittlungen in diesem Fall eine der Kernfragen. Ein Gutachten, so Robert Schelp, hatte ergeben, dass der mutmaßliche Täter zur Tatzeit zwischen 17 und 20 Jahre alt gewesen sei, auf jeden Fall aber älter als die 15 Jahre, für die er sich ausgab. Er wurde als unbegleitet geflüchteter Flüchtling aufgenommen und einem Vormund zugeteilt.
„Doch weil auch das Gutachten nicht zweifelsfrei nachweisen konnte, dass er volljährig ist, behandeln wir ihn zunächst nach Jugendstrafrecht.“ Deshalb der Ausschluss der Öffentlichkeit, deshalb das möglicherweise geringere Strafmaß von zehn Jahren für Mord. Sollte er nach Erwachsenenstrafrecht behandelt werden, könnte er lebenslänglich ins Gefängnis gehen.
Freundin über Mia: „Sie war der beste Mensch auf Erden“
Von dem Prozess will Stefanie Berger nichts hören. „Mir reicht es, wenn ich irgendwann das Urteil erfahre“, sagt sie. „Von mir aus gern lebenslänglich, er hat das Leben von so vielen Menschen zerstört.“ Sie zündet sich noch eine Zigarette an und sagt, sie fühle sich nicht mehr wohl in Kandel. „Mich erinnert zu viel an Mia.“
Manchmal geht sie zu ihrem Grab, oben am Altersheim, meist abends, wenn sie denkt, dass sie allein dort ist. Dann spricht sie mit ihrer Freundin, als wäre sie noch da. „Sie war der beste Mensch auf Erden.“ Im Herbst wechselt Stefanie Berger an die Berufsschule in Landau, für sie beginnt ein neuer Lebensabschnitt. „Und doch muss ich wieder an Mia denken. Das war die Schule, auf der Mia zuletzt war.“