Berlin/Piacenza. Ein junger Mann knipst ein Selfie – vor einem schwer verletzten Unfallopfer. Die Szene sorgt gerade in Italien für einen Skandal.

Der Mann in weißem T-Shirt und Shorts steht auf einem Bahngleis im Bahnhof der norditalienischen Stadt Piacenza. Er schießt ein Selfie von sich – während nur wenige Schritte hinter ihm Sanitäter eine Frau behandeln, die auf den Schienen liegt.

Die Frau, eine 83 Jahre alte Amerikanerin, war zuvor unter einen Zug geraten und wurde so schwer verletzt, dass ihr ein Bein amputiert werden musste. Sie war offenbar versehentlich auf der falschen Seite ihres Zuges ausgestiegen und unter eine vorbeifahrende Bahn geraten.

Eine Reporter der Zeitung „La Libertà“ hielt die makabre Szene des Selfiemannes, der dazu mit der freien Hand das V-Zeichen macht, vor der Verletzten seinerseits per Foto fest. Giorgio Lambri, der Journalist, postete seine Aufnahme bei Twitter und schrieb dazu: „Houston, wir haben ein Problem. Wir haben komplett unseren Sinn für Moral verloren.“

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„Seine Seele ausgeknipst“

Das Foto, das „La Liberta“ auf der Titelseite brachte, löste in Italien ein heftige Debatte über Moral, Sitten und den Umgang miteinander aus. „Die Menschheit bewegt sich im Galopp Richtung Ausrottung“, kommentierte etwa der Radiosender Radio Deejay. Die Zeitung „La Stampa“ kommentierte, der Mann mit dem Selfie habe „seine Seele und seine Identität ausgeknipst“.

Ob dem Selfie-Knipser rechtliche Folgen drohen, ist unklar. Reporter Lambri hatte die Polizei auf den Mann aufmerksam gemacht. Die Beamten forderten ihn auf, sein Handyfoto zu löschen und nahmen seine Personalien auf. (W.B)