Hamburg. Der WDR hat sich von einem früheren Auslandskorrespondenten getrennt. Der Mann soll viele Frauen im Sender sexuell bedrängt haben.

Der WDR hat bereits vergangenen Donnerstag dem ehemaligen Auslandskorrespondenten fristlos gekündigt, dem seit Anfang April mehrfach öffentlich vorgeworfen wurde, Mitarbeiterinnen jahrelang sexuell belästigt zu haben. Dies bestätigte ein Sendersprecher dieser Redaktion.

„Der WDR hatte in den letzten Wochen neue Hinweise mehrerer Betroffener erhalten“, sagte er. „Diese wurden im Anschluss sorgfältig geprüft. Auch nach Anhörung des Mitarbeiters stufte der WDR die Vorwürfe als glaubhaft und so gravierend ein, dass er die entsprechende Konsequenz gezogen hat.“

Belästigungen über Zeitraum von etwa 25 Jahren

Dem Mann, der sich gegenüber Frauen gern „Alphatier“ nannte, war unter anderem vorgeworfen worden, einer Praktikantin Pornos gezeigt zu haben. Zudem soll er von einer anderen WDR-Mitarbeiterin verlangt haben, auf einer Dienstreise mit ihm im Doppelzimmer zu übernachten. Der Sender müsse sparen. Schließlich soll er sich vor einer ehemaligen Praktikantin entblößt haben.

Die Vorfälle erstreckten sich über einen Zeitraum von etwa 25 Jahren, waren aber erst öffentlich geworden, nachdem sich die Praktikantin, der der einstige Korrespondent Pornos gezeigt hatte, dem Recherchebüro Correctiv und dem „Stern“ offenbarte. Es folgten Presse-Berichte über weitere Vorfälle.

Korrespondent wurde 2016 ermahnt

Zuletzt sollen sich mehr als zehn Frauen beim Sender gemeldet haben, die behaupten, von dem Mann belästigt worden zu sein. Offenbar gab es unter ihnen genug Betroffene, die bereit waren, unter Nennung ihres Namens auszusagen. Anderenfalls hätte dem Korrespondenten kaum gekündigt werden können. Ob er gegen die Kündigung vorgehen wird, ist unklar. Seine Anwältin will sich dazu nicht äußern.

Die Kündigung erleichtert hat offenbar ein Vorgang aus dem Jahr 2016. Die Praktikantin, der das „Alphatier“ Pornos gezeigt hatte, meldete sich damals bei Chefredakteurin Sonia Mikich. Der Mann wurde daraufhin ermahnt. Im Wiederholungsfall müsse er mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen. Diese Konsequenzen hat der Sender nun offenbar gezogen.

Schönenborn wegen mangelnder Aufklärung unter Druck

Aus heutiger Sicht wirkt es erstaunlich, dass es dem WDR nicht schon 2016 möglich war, weitere Verfehlungen des Ex-Korrespondenten aufzudecken. Nach dem ersten Bericht von Correctiv und „Stern“ sagte WDR-Chefredakteurin Mikich, sie habe nur über „Informationen aus zweiter und dritter Hand“ sowie über „Mailverkehr“ verfügt, „den man so und so deuten konnte“. Senderintern war das befremdliche Verhalten des Kollegen gegenüber Frauen aber sehr wohl bekannt.

In einem weiteren Fall geriet der ehemalige Chefredakteur und heutige WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn wegen mangelhafter Aufklärung unter Beschuss. Die einstige Gewerkschafterin und EU-Kommissarin Monika Wulf-Mathies untersucht nun, ob die Senderverantwortlichen stets alles getan haben, um Fälle sexueller Belästigung aufzuklären.

WDR-Intendant Buhrow lobt Frauen für ihre Offenheit

Für WDR-Intendant Tom Buhrow ist die Trennung von dem einstigen Auslandskorrespondenten ein Befreiungsschlag. Er lobte die Frauen, die zur Aufklärung des Falles beigetragen haben: „Ich kann mir vorstellen, dass es für die Betroffenen ein schwieriger Schritt war, aus der Anonymität herauszutreten“, sagte er. „Aber genau dieses Vertrauen war entscheidend für den Aufklärungsprozess.“

An diesem Vertrauen mangelt es offenbar bei der Aufklärung der übrigen Belästigungsvorwürfe im Sender: Im Fall des suspendierten Fernsehspiel-Chefs Gebhard Henke soll sich bisher nur die Autorin und Moderatorin Charlotte Roche unter Verzicht auf ihre Anonymität als mutmaßliches Belästigungsopfer an den Sender gewandt haben.

Geben weitere Opfer im Fall Henke ihre Anonymität auf?

Die Vorwürfe der Hamburger Schauspielerin Nina Petri, Henke habe sie stets mit anzüglichen Sprüchen begrüßt („Boah, hast du wieder hohe Schuhe an“), sind arbeitsrechtlich offenbar nicht relevant. Da sich aber erst in jüngster Zeit zwölf Frauen gemeldet haben sollen, die Henke sexuelle Belästigung vorwerfen, ist nicht auszuschließen, dass die eine oder andere noch ihre Anonymität aufgibt. Ausschließlich anonyme Meldungen möglicher Opfer gibt es auch im Fall eines ehemaligen Redakteurs der WDR-Programmgruppe Ausland.

In allen anderen Fällen scheinen die Untersuchungen im Sande zu verlaufen. Dabei handelt es sich um Mitarbeiter aus der Revision, der Direktion Hörfunk sowie von WDR Media, einer Tochtergesellschaft des Senders. Auch ein inzwischen pensionierter, prominenter Fernsehjournalist des Senders sah sich mit Belästigungsvorwürfen konfrontiert, die sich bisher aber nicht erhärtet haben.