Berlin. Sie fälschen Lebensläufe, geben sich als Arzt oder Pilot aus – doch dreiste Hochstapler bleiben häufig unentdeckt. Woran liegt das?

Menschen, die mit ihm zusammengearbeitet haben, sind voll des Lobes. Sebastian S., ein junger, ehrgeiziger Mann aus der Nähe von Flensburg, habe überdurchschnittliche Fähigkeiten gehabt, sagen Fahrer, die ihn von der Rennstrecke kennen. Vor einigen Monaten soll er einem schwer verletzten Motorradfahrer das Leben gerettet haben, der mit Tempo 200 gegen die Leitplanke gekracht war. Jahrelang war der 35-Jährige gegen Honorar als Notfallmediziner auf Rennstrecken im Einsatz.

Nur: Der Mann ist gar kein „Doktor der Medizin“, wie es auf seinem Ausweis stand. Er ist nicht einmal Arzt, sein angebliches Studium und seine Facharztausbildung hat er sich ausgedacht, sein Wissen angelesen. Dass die Polizei dem Schwindler vor Kurzem auf die Spur kam, lag nur daran, dass die Behörden einen Tipp aus seinem Umfeld erhalten hatten.

Schwindler sind allesamt gute Schauspieler

Der falsche Notfallarzt ist keine Rarität. Immer wieder fliegen Menschen auf, die ihre Umwelt narrten, indem sie einfach eine Identität erfanden. So wie in der auf Tatsachen beruhenden Hollywood-Komödie „Catch me if you can“, in der Leonardo DiCaprio einen Scheckfälscher spielt, der es durch dreiste Lügen und ein sicheres Auftreten zum „Piloten“ bringt.

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Wie schaffen es Hochstapler, so viele Menschen zu täuschen? „Alle Hochstapler haben eines gemeinsam“, erklärt Marco Löw, 15 Jahre lang Betrugsexperte bei der Kriminalpolizei München. „Sie sind gute Schauspieler, nehmen den Fachjargon der jeweiligen Berufsgruppe an und haben ein großes Selbstbewusstsein.“ Hochstapler haben es sogar in den Bundestag geschafft, wie der Fall der langjährigen SPD-Abgeordneten Petra Hinz zeigt: Elf Jahre lang saß die Essenerin im Parlament, bis im Sommer 2016 herauskam, dass sie ihren gesamten Lebenslauf erfunden hatte. Weder war sie Juristin, noch hatte sie Abitur.

Bewerbungen per Online-Formular erleichtern es Betrügern

Experten glauben, dass sich Hochstapelei zu einem Massenphänomen entwickelt. Der Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU) geht davon aus, dass rund zehn Prozent aller Lebensläufe handfeste Lügen enthalten. „In deutschen Firmen arbeiten Hunderte von Ingenieuren, Informatikern und Betriebswirten, die in Wirklichkeit gar keine sind“, heißt es. Nur ein Bruchteil fliege irgendwann auf. Konzerne machten es Betrügern leicht, wenn sie Bewerbungen nur noch per Online-Formular auf ihrer Webseite entgegennehmen.

Mit selbstbewusstem Auftreten können Betrüger alles erreichen – das wurde erst am Mittwoch klar, als ein Düsseldorfer Gericht einen 48-Jährigen zu einer Haftstrafe verurteilte. Er hatte sich Immobilien und Möbel in Millionenwert erschlichen. Auch das eine Form von Hochstapelei.

15 Jahre als Oberarzt in Kliniken gearbeitet

Opfer beschreiben den Mann mit der Halbglatze einhellig als vertrauenswürdig. Er sei souverän aufgetreten, habe solvent gewirkt und für ausbleibende Zahlungen immer plausible Entschuldigungen parat gehabt. Einer der von ihm Getäuschten ist ein bekannter Düsseldorfer Schauspieler und Theaterdirektor.

Wie das System Hochstapelei funktioniert, zeigt der Fall Gert Postel. Vor 20 Jahren wurde er festgenommen, nachdem er sich als falscher Oberarzt eine Anstellung in einer psychiatrischen Klinik bei Leipzig erschwindelt hatte. Es war das Ende einer getürkten Karriere: Der heute knapp 60-Jährige narrte 15 Jahre lang seine Arbeitgeber, verfasste sogar psychiatrische Gutachten für Gerichte – dabei war er gelernter Postbote. Postel ist der vielleicht bekannteste Scharlatan Deutschlands. Nach seiner Haftentlassung veröffentlichte er ein Buch: „Doktorspiele – Geständnisse eines Hochstaplers“.

Schwindler kommt in psychiatrische Behandlung

Wie können Menschen ohne medizinische Ausbildung plötzlich auftreten wie ein Arzt? „Wenn sie keine gravierenden Fehler machen, fallen Hochstapler nicht auf, denn das Umfeld hegt zunächst keine Zweifel“, sagt Prof. Rainer Banse vom Institut für Psychologie der Universität Bonn. In der Regel taktierten sie vorsichtig und gäben zumindest am Anfang ihrer neuen Karriere Aufgaben weiter. Postel wurde zum Verhängnis, dass er eine aus Norddeutschland stammende Mitarbeiterin einstellte. Deren Eltern konnten sich an Postels Namen erinnern: Der gebürtige Bremer hatte bereits in mehreren Städten als „Psychiater“ gearbeitet und war einschlägig vorbestraft.

Zumindest Sebastian S., der falsche Notfallarzt aus Schleswig-Holstein, scheint krankhafte Züge zu haben: Nachdem die Polizei auf seinem Computer eine gefälschte Approbation fand, kam er in psychiatrische Behandlung.