Freiburg. Im Prozess gegen Hussein K. berichten griechische Polizisten von ihren Ermittlungen. K. hatte auf Korfu eine Studentin fast umgebracht.

„Äußerst brutal, ohne Reue“ – so beschreiben griechische Ermittler Hussein K., der in Freiburg als Angeklagter im Prozess um den Sexualmord an einer 19-jährigen Studentin vor Gericht steht.

Schon im Mai 2013 hatte der junge Mann auf der griechischen Insel Korfu eine junge Frau fast umgebracht – und wurde dafür zu zehn Jahren Haft verurteilt. Dass er dennoch nach kurzer Zeit freikommen und unerkannt in Deutschland Aufnahme finden konnte, ist nicht nur Behördenversagen geschuldet, sondern wirft auch ein Schlaglicht auf das merkwürdige Rechtsverständnis der Regierung des Linkspopulisten Alexis Tsipras.

Studentin stürzt in die Tiefe

Spyridoula Chaidou wird die Begegnung mit Hussein K. nie vergessen. Das war in den ersten Morgenstunden des 26. Mai 2013. Die 20 Jahre alte Studentin, die an der Ionischen Universität auf Korfu Geschichte studierte, hatte mit Freunden in einer Bar gefeiert und war nun, gegen 2.20 Uhr am Sonntagmorgen, auf der schmalen Küstenstraße am Rand der Altstadt unterwegs zu ihrem Wohnheim.

„Da stand er plötzlich vor mir.“ Er entreißt ihr die Handtasche. Ein Auto kommt vorbei, Spyridoula ruft um Hilfe. Da packt er sie und drückte sie an das Geländer der Küstenstraße. Hinter dem Geländer ist eine fast senkrecht abfallende Mauer. Acht Meter tiefer brandet das Meer an felsige Klippen. Der Angreifer versucht, Spyridoula kopfüber in die Tiefe zu stürzen. Die junge Frau klammert sich an das Geländer. Dann verliert sie den Halt.

Dass Spyridoula Chaidou den Sturz in die Tiefe überlebte, gleicht einem Wunder. Ein Busch in der Mauer dämpft ihren Fall. Statt auf den Klippen landet sie unten am Meer in einer kleinen Kuhle aus Sand und Kieselsteinen. Schwer verletzt kann sie sich zurück zur Straße schleppen, wo sie von einer Polizeistreife gefunden wird.

Hussein K. wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt

Hussein K. hatte in Griechenland eine Frau schwer verletzt.
Hussein K. hatte in Griechenland eine Frau schwer verletzt. © dpa | Patrick Seeger

Die Polizei leitet eine Großfahndung ein. Zehn Stunden nach der Tat wird Hussein K. festgenommen. Spyridoula Chaidou identifiziert ihn im Krankenhaus als den Angreifer. Hussein K. gesteht die Tat – ohne Anzeichen von Reue, wie sich einer der griechischen Ermittler erinnert. Hussein K. fragt im Verhör, „was das alles soll, es war doch nur eine Frau“.

Sechs Monate zuvor hatte Hussein K. in Griechenland Asyl beantragt. Er gab sich als Afghane aus und nannte den 1.1.1996 als Geburtsdatum. Demnach wäre er bei der Tat 17 Jahre alt gewesen. Am 14. Februar 2014 wurde Hussein K. in Korfu wegen versuchten Totschlags zu zehn Jahren Haft verurteilt, die nach dem griechischen Jugendstrafrecht mögliche Höchststrafe.

Aber schon Ende Oktober 2015, gut zwanzig Monate nach dem Urteil, kam Hussein K. frei, aufgrund des Gesetzes 4322/2015. In Griechenland spricht man vom „Gesetz Paraskevopoulos“, so benannt nach dem damaligen Justizminister Nikos Paraskevopoulos. Das fragliche Gesetz war eine der ersten großen „Reformen“ der Regierung des Linkspremiers Alexis Tsipras. Vordergründig ging es darum, die überfüllten griechischen Gefängnisse zu entlasten.

Tsipras befand sich damals in schwierigen Verhandlungen mit den internationalen Geldgebern. Mit der Amnestie wollte die Regierung ihren Anhängern wohl ihre linke Gesinnung demonstrieren. 2015 wurden aufgrund des Gesetzes 1703 Häftlinge entlassen, unter ihnen Hussein K. Bis heute haben insgesamt über 10.200 Straftäter von dem Gesetz profitiert.

2015 kam Hussein K. nach Deutschland

Für Ex-Justizminister Paraskevopoulos, einen Strafrechtsprofessor, sind Freiheitsstrafen nur die Ultima Ratio. „Wir wollen nicht, dass Teenager stigmatisiert werden“, sagte der Minister. Es gebe in den griechischen Gefängnissen „Leute, die dort nichts zu suchen haben“. Ob er damit Gefangene wie Hussein K. meinte? Für den war die Entlassung jedenfalls das völlig falsche Signal. Er musste die Amnestie so interpretieren, dass Gewaltverbrechen in Europa Kavaliersdelikte sind – zumal, wenn das Opfer „nur eine Frau“ ist.

Am 31. Oktober 2015 wurde Hussein K. entlassen, mit der Auflage, sich einmal im Monat bei der Polizei zu melden. Hussein K. kam der Meldepflicht nur einmal nach, dann setzte er sich nach Deutschland ab. Am 12. November 2015 beantragte er in Freiburg Asyl.

Erst sechs Wochen später schrieben die griechischen Behörden Hussein K. zur Fahndung aus – allerdings nur national. Weder veranlassten sie einen internationalen Haftbefehl, noch die Eintragung des Gesuchten in die internationalen Datenbanken.

Anwältin nennt mutmaßlichen Mörder „gefühllos“

Erst die politisch motivierte Amnestie, dann die laschen Auflagen, schließlich das Versagen der griechischen Behörden bei der Fahndung – eine Kette von Fehlern und Versäumnissen. Dass die Vorgeschichte des Hussein K. überhaupt aufgedeckt wurde, ist Maria-Eleni Nikolopoulou zu verdanken. Sie war 2013 in Korfu als Pflichtverteidigerin für Hussein K. bestellt worden. Auf Zeitungsbildern erkannte sie in dem mutmaßlichen Mörder von Freiburg ihren ehemaligen Mandanten. Sie habe Hussein K. als „kalt“ und „gefühllos“ erlebt, erinnert sich die Anwältin. Er habe keine Spur von Reue gezeigt.

Spyridoula Chaidou hatte großes Glück. Sie überlebte das Zusammentreffen mit Hussein K. Fast drei Wochen verbrachte die junge Griechin in der Klinik, drei Mal wurde sie operiert. Inzwischen hat sie sich von ihren schweren Verletzungen erholt.

Aber schon im Krankenhaus plagte die Studentin eine düstere Vorahnung. Sie vertraute sich ihrem akademischen Lehrer an, Dimitris Metallinos, der sie am Krankenbett besuchte: „Herr Professor, ich fürchte mich vor dem, was passieren wird, wenn er aus dem Gefängnis kommt.“ Metallinos erinnert sich: „Ich sah die Angst in ihren Augen.“