New York. Drei Männer beschuldigen Dirigenten James Levine, sie sexuell missbraucht zu haben. Die New Yorker Oper lässt die Vorwürfe untersuchen.

Hollywood-Mogule, TV-Halbgötter, Kongress-Abgeordnete und jetzt auch ein Titan der klassischen Musik: Die Schleusen des Skandals um Machtmissbrauch via Sex in Amerika öffnen sich immer weiter. Mit James Levine haben die seit mehr als zwei Monaten nicht abreißenden Enthüllungen nun auch die Welt des Taktstocks erreicht.

Der an allen großen Opernhäusern der Welt bekannte Dirigent, der 40 Jahre lang in 2500 Aufführungen die künstlerischen Geschicke der New Yorker „Met“ lenkte, ist mit sofortiger Wirkung suspendiert. Obwohl seine Schuld rechtskräftig nicht erwiesen ist. Sein für den Silvester-Abend gebuchter Auftritt in einer neuen Produktion von Puccinis „Tosca“ und alle weiteren Engagements wurden abgesagt.

Drei Männer haben Anschuldigungen gegen Levine erhoben

Peter Gelb, der allmächtige Intendant der Metropolitan Opera, sah sich nach Absprache mit den schwerreichen Geldgebern im Aufsichtsgremium der Oper zu dem radikalen Schritt gedrängt. Drei inzwischen erwachsene Männer hatten gegenüber der „New York Times“ berichtet, von dem Sohn eines Textilfabrikanten aus Cincinnati/Ohio in jungen Jahren bedrängt, belästigt, missbraucht und in ein obskures Abhängigkeitsverhältnis gelotst worden zu sein.

Was Chris Brown, James Lestock und Ashok Pai nach Jahren des Schweigens aus Angst vor Levine und der Schmach an sich der Zeitung bis ins kleinste Detail berichteten, gehorcht einem Muster. Levine, selbst früher pianistisches Wunderkind, suchte sich demnach zu Beginn seiner Karriere als Maestro in Sommer-Orchestern attraktive junge Musiker aus, bedachte sie mit Führungsfunktionen und Schmeicheleien und näherte sich ihnen nach Dienstschluss auf einschlägige Weise. Sie mussten ihn mit der Hand befriedigen. Und vice versa.

James Levine streitet Vorwürfe rigoros ab

Die Fälle kamen durch einen Polizeibericht aus Lake Forest im US-Bundesstaat Illinois ans Licht. Dort hatte Levine, der inzwischen 74 Jahre alt ist und wegen einer schweren Parkinson-Erkrankung im Rollstuhl sitzt, 1986 am Rande eines Musikfestivals den damals 16-jährigen Teenager Ashok Pai kennengelernt. Aus dem ersten Kontakt in einem Hotel soll ein über Jahre währendes Abhängigkeitsverhältnis entstanden sein, das sich Levine nach Angaben des Opfers, das sich seither als psychisch-emotional gestört beschreibt, über 50.000 Dollar kosten ließ. 2014 sei der Kontakt abgebrochen.

Pai ist 48 Jahre alt. Er erstattete 2016, nach Auslaufen der Verjährungsfrist, Anzeige. Die Metropolitan Opera erfuhr bereits vor Monaten davon, wie Intendant Peter Gelb einräumte. Weil Levine die Vorwürfe rigoros abgestritten und die Polizei sich nicht gerührt habe, habe man die Sache auf sich beruhen lassen.

Anschuldigungen gegen Dirigenten werden untersucht

Die mediale Bugwelle, die seit Samstag über das weltberühmte Musik-Haus in der Nähe des Central Parks hinweggebrochen ist, hat die Kehrtwende ausgelöst. Mit Hilfe eines ehemaligen Staatsanwalts, so Gelb, würden die Anschuldigungen gegen Levine, von denen man „zutiefst getroffen“ sei, intensiv untersucht.

Levine, der an der „Met“ zum global bewunderten Star und mit Gehältern von bis zu zwei Millionen Dollar dotiert wurde, ist in New York (und am Bostoner Symphonie-Orchester) eine mit vielen prestigeträchtigen Preisen ausgezeichnete lebende Legende. Er schied nach vier Jahrzehnten 2016 als Musikdirektor aus, blieb der „Met“ aber weiter als Emeritus und Dirigent für besondere Gelegenheiten verbunden.

Gerüchte über Levine machten schon lange die Runde

Gerüchte über seine sexuellen Präferenzen machen seit Jahrzehnten in der Musik-Szene die Runde. 1997 spielte das am Rande eine Rolle bei dem Bemühen, Levine nach dem Tode des Generalmusikdirektors Sergiu Celibidache im Münchner Gasteig als Chef der Philharmoniker zu gewinnen.

Die Grünen im Stadtrat wurden damals bundesweit verspottet, weil sie auf die Spekulationen um angebliche pädophile Neigungen des Pultmagiers, der 1999 seinen Dienst an der Isar antrat, mit der Forderung nach einem Leumunds-Zeugnis begegneten. „Selbsternannte Sittenwächter“, so berichtete damals ein deutsches Nachrichten-Magazin im Pro-Levine-Duktus, hätten „unappetitliche“ Details verbreitet. Formulierungen, die im Lichte des durch den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein ins Rollen gekommenen Skandals heute wohl nicht mehr so schnell gewählt würden.