Washington. Nach Vorwürfen eines sexuellen Übergriffs auf einen 14-Jährigen hat sich Kevin Spacey als schwul geoutet. Dafür wird er kritisiert.
Die Entscheidung, das erfolgreichste Kartenhaus in der Fernsehgeschichte nächstes Jahr einstürzen zu lassen, war lange vorher gefallen. Für die Verkündung suchte sich Netflix dann aber doch einen ganz besonderen Zeitpunkt aus.
Ausgerechnet am Tag, als Hollywood-Superstar Kevin Spacey sein Coming-out als Homosexueller höchst umstritten mit der Entschuldigung verband, vor 30 Jahren einen damals 14-jährigen Jungen sexuell genötigt zu haben, gab der weltweit agierende Streaming-Dienst das Aus für „House of Cards“ bekannt.
Vorwürfe gegen Spacey „tief verstörend“
Die sechste Staffel des preisgekrönten Polit-Intrigantenstadls, in der Spacey an der Seite seiner Gattin Claire (Robin Wright) den zwischen Macht und Geilheit pendelnden US-Präsidenten Frank Underwood spielt, wird 2018 die letzte sein.
Dass Spacey, ein 58 Jahre alter Hollywood-Titan, der mit Oscars (Film) und Tonys (Bühne) prämiert ist, im Sog des Harvey Weinstein-Skandals ebenfalls in die Grauzone des sexuellen Missbrauchs geraten ist, hält der kreative Erschaffer von „House of Cards“, Beau Willimon, für „tief verstörend“.
Schauspieler berichtet von Übergriffen im Alter von 14 Jahren
Was war geschehen? Anthony Rapp, Schauspieler („A Beautiful Mind“, „Star Trek: Discovery“), heute 46, erzählte dem Internet-Magazin Buzzfeed, dass er immer noch mit den psychischen Folgen eines sexuellen Übergriffs durch Spacey zu kämpfen hat, der sich 1986 in New York nach einer Party zugetragen haben soll. Dabei soll Spacey den damals 14-jährigen Rapp ins Bett gehoben haben, um ihn zu verführen. Rapp konnte sich befreien, erlebt seither aber jede Begegnung mit Spacey, real oder medial, als Alptraum.
Ausgelöst durch den nicht enden wollenden Sünden-Fall um den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein fasste Rapp den Mut und machte seine eigene Geschichte öffentlich. Spacey erklärte danach via Twitter, dass er „erschüttert“ sei, sich aber an die von Rapp geschilderte Szene, die im Zustand des Betrunkenseins geschehen sein müsse, nicht erinnern könne. Aber: „Wenn ich mich so verhalten habe, wie er es beschreibt, dann schulde ich ihm meine aufrichtige Entschuldigung.“ Er wolle sein Leben, in dem es romantische Beziehungen zu Männern wie Frauen gegeben habe, nun einer näheren Prüfung unterziehen und ehrlicher werden, fügte der in New Jersey geborene Mime hinzu.
Massive Kritik am Zeitpunkt für Spaceys Coming-out
Bis dahin hatte Spacey, dessen sexuelle Identität ihn bereits vor 20 Jahren auf das Titelblatt des Magazins „Esquire“ brachte (Zeile: „Kevin Spacey hat ein Geheimnis“), sich stets eines öffentlichen Bekenntnisses verweigert. „Es gibt eine Trennlinie zwischen Job und Privatsphäre, die ich nie überschreiten werde. Wem das nicht passt, der soll zum Teufel gehen“, sagt er 2005 in einem Interview mit der Schweizer Weltwoche.
Dass Spacey sein Outing („Jetzt lebe ich als schwuler Mann“) ausgerechnet im Kontext mit der sexuellen Bedrängung eines Minderjährigen vollzog, brachte ihm massenweise Kritik ein. „Kevin Spacey hat gerade etwas erfunden, das es vorher nicht gab: einen schlechten Zeitpunkt für ein Coming Out“, erklärte der Comedian Billy Eichner.
Kevin Spacey wird Scheinheiligkeit vorgeworfen
Homosexuellen-Aktivisten verwahrten sich dagegen, dass Spacey seine Sexualität mit der unerwünschten Annäherung an ein Kind verquickt. Wissend, dass der Pädophilie-Vorwurf immer wieder als Munition gegen Schwule benutzt wird. Wissend, dass just in diesen Tagen der frühere Kinderkino-Star Corey Feldman im Zuge des Weinstein-Skandals angedeutet hat, eine Liste mit bekannten schwulen Hollywood-Akteuren zu veröffentlichen, die sich angeblich an kleinen Jungs vergehen.
In sozialen Netzwerken wurde Spacey Scheinheiligkeit vorgeworfen. Im Rückblick müsse manche Rolle vielleicht „neu bewertet“ werden, hieß es. Beispiele: In Spaceys Oscar-prämiertem Meisterwerk „American Beauty“ von Sam Mendes geht es um einen älteren Mann, der ein junges Mädchen verführen will. Und in „House of Cards“ gibt es einige homo-erotischen Begegnungen zwischen Frank Underwood und dem Secret Service-Agenten Edward Meechum.
Ob die Personalie Anthony Rapp bald ausgestanden ist, erscheint fraglich. Die TV-Moderatorin Heather Unruh schrieb kürzlich auf Twitter: „Ich war ein Fan von Kevin Spacey, bis er einen geliebten Menschen angefallen hat. Es ist Zeit, dass die Dominosteine fallen.“ Ob Anthony Rapp nicht das einzige Opfer war?
Am Montagabend (Ortszeit) gab die „International Academy of Televison Arts and Sciences“ – der internationale Ableger des renommierten TV-Preises „Primetime Emmy Awards“ – bekannt, dass Kevin Spacey nicht, wie geplant, den „International Emmy Founders Award“ bekommt.