Washington. O.J. Simpson hat mit seinen Skandalen mehrfach für Aufsehen gesorgt. Ein Rechtsexperte sieht seinen Freispruch als weiteren Skandal.

  • O.J. Simpson war zu 33 Jahren Haft verurteilt worden, kommt aber nach neun Jahren frei
  • Rechtsexperten haben Zweifel an der Unschuld bei früheren Fällen
  • Bei einer Anhörung scherzte Simpson mehrfach mit Gerichtsvertretern

In den atemlosen amerikanischen Fernseh-Nachrichten ist Jeffrey Toobin ein Fels in der Brandung. Wo andere hyperventilieren, erklärt der Rechtsexperte des Senders CNN souverän, was ist und warum. Die live übertragene und von Millionen verfolgte vorzeitige Haftentlassung des prominentesten schwarzen Strafgefangenen Amerikas – Ex-Football-Gott O.J. Simspon – hat Toobin aus dem Tritt gebracht.

„Das war eine absolute Schande“, urteilte der Rechtsgelehrte unmittelbar nach dem entscheidenden Spruch der vierköpfigen Bewährungskommission des US-Bundesstaates Nevada. Simpson kommt wegen guter Führung zum 1. Oktober auf freien Fuß. Er war 2008 zu bis zu 33 Jahren Haft verurteilt worden, weil er mit Komplizen in Las Vegas zwei Trophäenhändler überfallen hatte. Sein Motiv: Sie waren im Besitz von Football-Andenken und privaten Fotos von Simpson.

Rechtsexperte stört sich am Auftritt von O.J. Simpson

In den neun Jahren seiner Haft zeigte sich der ehemalige Athlet von seiner Schokoladenseite. Er wurde gläubig, arbeitete als Trainer und machte einen Computerkurs. „Ich bin wohl der vorbildlichste Häftling, den sie je hatten“, sagte Simpson in der Verhandlung am Donnerstag mit einem schelmisch breiten Lächeln. In sozialen Netzwerken setzten teilweise Jubelstürme ein. „O.J. endlich frei – wir lieben Dich!“.

O.J. Simpson war bei der Anhörung zu seiner vorzeitigen Freilassung mitunter zu Scherzen aufgelegt.
O.J. Simpson war bei der Anhörung zu seiner vorzeitigen Freilassung mitunter zu Scherzen aufgelegt. © REUTERS | POOL

Was Jeffrey Toobin jedoch empörte, war der „selbstgerechte, weinerliche und ohne jede Reue“ dargebotene Auftritt des 70-Jährigen, der in den USA seit fast einem halben Jahrhundert Schlagzeilen schreibt. Und den man entweder „liebt oder hasst“, wie ein Reporter des Sportkanals ESPN sagte. Spätestens seit 1995.

Hat Simpson Mord wirklich nicht begangen?

Damals wurde O.J. Simpson in einem monumentalen Indizienprozess von dem Vorwurf freigesprochen, seine weiße Ex-Frau Nicole Brown Simpson und deren Freund Ron Goldman bestialisch ermordet zu haben. Die über Monate wie ein Krimi inszenierte Live-Übertragung aus dem Gerichtssaal schrieb Fernseh- und Justizgeschichte. Ein Schwall von Büchern, Filmen und Reportagen um die Frage War-er’s-oder-war-er’s-doch-nicht? ist bis heute die Folge.

Toobin, der das kompetenteste Werk („The Run of His Life“) geschrieben hat, ist davon überzeugt, dass Simpson, ein gewiefter Manipulator, der Mörder war. Dass er aber mit Hilfe einer Armada teurer Anwälte seinerzeit die Stimmung in den USA für sich zu nutzen wusste und die Geschworenen umgarnte.

Buch wirft Zweifel an Simpsons Freispruch auf

Der Prozess fand kurz nach den bürgerkriegsähnlichen Unruhen in Los Angeles statt. Auslöser: Vier weiße Polizisten waren freigesprochen worden, obwohl sie – auf einem Video dokumentiert – den schwarzen Lkw-Fahrer Rodney King brutal misshandelt hatten.

Dass O.J. Simpson, in den 60er Jahren Held einer ganzen Generation, der Gang in die Todeszelle erspart blieb, werteten viele Afro-Amerikaner als ausgleichende Gerechtigkeit für Rassismus. Millionen Weiße ballen bis heute die Faust in der Tasche. Simpson hatte 2008 in seinem skandalösen Buch „If I Did It“ (Wenn ich es getan hätte) das Verbrechen an Brown Simpson und Goldman so geschildert, als sei er der Mörder gewesen.

Simpson muss nach Entlassung Entschädigung an Hinterbliebene zahlen

In welch eigener Welt der ergraute Superstar bis heute lebt, zeigte sich, als er die Gefälligkeitsfragen der Bewährungskommission beantwortete. „Ich habe quasi ein konfliktfreies Leben geführt und war immer sehr gut zu den Menschen.“ Die blutige Wahrheit ist: Simpson hatte seine Ex-Frau mehrfach brutal verprügelt, was in Polizeiakten nachzulesen ist. Dazu: kein Wort.

Was Simpson in seinem „neuen“ Leben machen wird, ist abgesehen von Plattitüden („Zeit mit meinen Kindern verbringen“) unklar. Das Medien-Interesse an ihm ist ungebrochen. Zuletzt beschäftigte sich eine preisgekrönte TV-Serie und ein Marathon-Dokumentar-Film mit seiner Biographie. Klatschblätter spekulieren über einen künftigen Auftritt in einer Reality-TV-Serie. Auch ein Buch über seine Zeit im Lovelock-Gefängnis von Nevada ist denkbar. Simpson benötigt dringend Geld. Nach dem Doppelmord an seiner Ex und deren Liebhaber wurde er in einem Zivilverfahren zur Zahlung von rund 34 Millionen Dollar an die Hinterbliebenen verurteilt. Er hat bis heute nicht gezahlt.