Washington. Eine Frau aus Sydney ruft in den USA den Notruf und wird von einem Polizisten erschossen. Australiens Premier Turnbull ist fassungslos.

Das letzte Mal, dass Australien am Schicksal eines Landsmannes, den es ins ferne Amerika verschlagen hat, so großen Anteil nahm, war bei „Crocodile Dundee“. Was Justine Ruszczyk widerfuhr, ist aber weder Hollywood-Fiktion noch amüsant.

Ruszcyk wollte heiraten – im August in Minneapolis in den USA. Dann hätte sie den Namen ihres Mannes Don Damond angenommen. Doch die Hochzeit fällt aus. Die 40-jährige Lehrerin für Yoga und Meditation aus Sydney ist tot. Erschossen nach einer bizarren Begegnung mit einem Polizisten in Minneapolis, der noch vor kurzem aufgrund seiner Abstammung von Bürgermeisterin Betsy Hodges vor der somalischen Gemeinde als Brückenbauer und Vorbild gefeiert wurde.

Australiens Premier Turnbull ist fassungslos

Warum Mohamed Noor (31) seine Waffe entlud? Seit fast vier Tagen hüllt sich die Polizeiführung der Metropole im US-Bundesstaat Minnesota in Schweigen, das Tausende Kilometer entfernt in „down under“ für Wut und Unverständnis sorgt. Bis in höchste Kreise.

Justine Ruszczyk aus Sydney.
Justine Ruszczyk aus Sydney. © REUTERS | HANDOUT

„Wie kann es sein, dass eine Frau im Schlafanzug, die draußen auf der Straße um die Hilfe der Polizei bittet, auf diese Weise erschossen wird?“, ließ sich Premierminister Malcolm Turnbull im Fernsehen vernehmen. Jener Turnbull, der sich zu Jahresbeginn von Präsident Donald Trump am Telefon eine Gardinenpredigt in Sachen Flüchtlingspolitik anhören musste, und jetzt auf lückenlose Aufklärung drängt. Genau wie die Eltern von Justine. Sie können nicht begreifen, warum ihr „Sonnenschein“ sterben musste.

Minneapolis hat noch mit dem Fall Philando Castile zu kämpfen

Der erste Verdacht, der sich aus inoffiziellen Informationen der Polizei speist, von denen die Lokalzeitung „Minneapolis Star Tribune“ berichtet, setzt die Ordnungsmacht in ein schlechtes Licht. Hat einmal mehr ein mäßig ausgebildeter Cop überreagiert, erst geschossen und dann nachgedacht?

Einmal mehr, weil Minneapolis immer noch mit dem Fall von Philando Castile zu kämpfen hat. Der Afro-Amerikaner wurde 2016 bei einer banalen Verkehrskontrolle von der Polizei erschossen. Seine Lebensgefährtin, ihr Kind auf dem Rücksitz, filmte die Tragödie, die live auf Facebook zu sehen war, mit dem Handy. Jeronimo Yanez, der Schütze in Uniform, wurde im Juni in einem bewegenden Strafprozess freigesprochen. Tausende gingen danach auf die Straße und forderten, der Polizeigewalt müsse endlich Einhalt geboten werden.

Notruf wegen sexueller Attacke

Laut US-Medien hatte Justine Ruszczyk am späten Samstagabend einen Notruf ausgelöst. In der dunklen Seitenstraße des Hauses, das sie mit ihrem Verlobten bewohnte, sollte es eine sexuelle Attacke gegeben haben.

Don Damond wird von seinem Sohn Zach getröstet.
Don Damond wird von seinem Sohn Zach getröstet. © REUTERS | Adam Bettcher

Als die Streife mit Matthew Harrity (Fahrer) und Mohamed Noor (Beifahrer) eintraf, bewegte sich Justine Ruszczyk auf den Polizeiwagen zu. Aufgeregt, aber unbewaffnet. Und in dem Glauben, die Befürchtungen an der richtigen Stelle abgeladen zu haben. In diesem Moment habe es einen lauten Knall gegeben, berichten Eingeweihte, offenbar ein Feuerwerk in der Nähe. Noor bekam es mit der Angst zu tun, wähnte die Frau als Bedrohung und drückte an seinem Kollegen vorbei durch das offene Fenster auf der Fahrerseite ab. Justine Damond erlitt einen tödlichen Bauchschuss.

Keine Beweise, Körperkameras waren aus

Weil die beiden Beamten gegen alle Vorschriften die an der Uniform angebrachten Körper-Kameras wie auch die am Armaturen-Brett ihres Dienstwagens angebrachte Linse nicht eingeschaltet hatten, gibt es anders als bei Vorgänger-Katastrophen keine bewegten Bilder, die die tödliche Kollision erhellen könnten.

Polizeichefin Janee Harteau ahnt, was das bedeutet – Verdacht der Voreingenommenheit – und bittet, die Untersuchungen in die Hände einer anderen Behörde zu geben.

Rechte Gruppen laufen Sturm

In Washington sehen Abgeordnete Anlass, dass sich auch Justizminister Jeff Sessions mit dem Fall beschäftigt. Schließlich stehe der Verdacht im Raum, dass ein gerade einmal zwei Jahre Berufserfahrung besitzender Cop maximale Gewalt einsetzte – ohne einen vorherigen Versuch der Deeskalation.

Dazu kommt: Rechtsextreme US-Gruppen laufen in Internet-Foren längst Sturm. Dort wird Noors ethnischer Hintergrund – er ist ein somalischer Muslim – mit dem tödlich geendeten Einsatz in Verbindung gebracht.

Schütze vorläufig suspendiert

In Sydney setzten bis gestern Hunderte Bewohner des Viertels, in dem Justine Ruszczyk früher lebte, ein Zeichen. Sie legten Kränze und Blumen nieder. Sie spendeten Don Damond Trost, der seine Braut verlor.

Auf der Straße, wo Justine Ruszcyk erschossen wurde, haben Bewohner Gedanken auf die Straße geschrieben.
Auf der Straße, wo Justine Ruszcyk erschossen wurde, haben Bewohner Gedanken auf die Straße geschrieben. © REUTERS | Adam Bettcher

Für Keith Ellison, demokratischer Abgeordneter von Minneapolis im Kongress von Washington, ist das nicht genug, Er spricht von einem „systemischen Problem“. Gemeint sind rund 1000 Fälle, bei denen US-Polizisten im vergangenen Jahr tödliche Gewalt gegen Bürger einsetzten. 2017 liegt die Ziffer bereits bei rund 540. Zum Vergleich: In Deutschland schoss die Polizei im vergangenen Jahr 52 Mal auf Menschen. Dabei gab es 11 Tote.

Der Anwalt des Todesschützen, der vorläufig vom Dienst suspendiert ist, ließ übermitteln, dass sein Mandant die Angehörigen in seine Gebete aufgenommen habe. Warum Mohamed Noor die Nerven verlor, sagte er nicht.