Bangkok. Arzneien zur Hepatitis-C-Bekämpfung sind sündhaft teuer. Käuferclubs besorgen die Pillen zum Billigtarif und bringen sie nach Europa.

Der Lieferant sieht nach dem viereinhalbstündigen Nachtflug in einer Billigfluglinie aus der indischen Hauptstadt Delhi übernächtigt aus, schlägt aber den angebotenen Kaffee aus. „Ich will weiter“, sagt der junge Mann und stellt eine Plastiktüte auf den Tisch. „Verkauf nur in Indien“ steht auf den Packungen mit einer Mischung der Wirkstoffe Ledipasvir und Sofosbuvir. Geldbündel wechseln den Besitzer. Der Lieferant verschwindet in Bangkoks Menschengewühl nahe der U-Bahn.

Zurück bleibt ein glücklicher deutscher Kunde. Er hat für 170 Pillen der seit 2013 existierenden Wundermedizin zur Behandlung der Infektionskrankheit Hepatitis C rund 2000 Euro bezahlt – statt des in Europa veröffentlichten Listenpreises von über 80.000 Euro. Und dank des Schnäppchens kann er vielleicht das Leben eines Freundes in Europa retten, der die Medikamente ob der massiven Kosten in seiner Heimat nicht erwerben kann. Nun muss der Käufer mit seiner lebensrettenden Schmuggelware sich nur noch den richtigen Weg nach Europa einfallen lassen.

Import-Verbot zum Wohle der Pharmaindustrie

Deutschlands Behörden und viele andere Staaten der Europäischen Union verbieten zum Wohle der Pharmaindustrie den Import von Generika-Arzneien, die nicht für den persönlichen Gebrauch bestimmt sind. Großbritannien erlaubt die Einfuhr, Rumänien ist eine Option. Ungarn erlaubt die Einfuhr, erhebt aber 27 Prozent Steuern. Staaten wie Großbritannien beschränken aus Kostengründen die Behandlung mit der Wundermedizin auf Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose.

„Wir müssen alle Regeln kennen“, sagt der Kontaktmann in Bangkok, der einen der 88 Käuferclubs organisiert, die weltweit mithilfe von Aktivisten und Hilfsorganisationen aus dem Umfeld der HIV-Bekämpfung zum Selbstkostenpreis ein globales Netzwerk betreiben, um die horrend teuren Arzneien zu erträglichen Preisen zu den Patienten zu bringen. Wegen gesetzlicher Vorschriften oder blockierenden Krankenversicherungen können sie die Medikamente nicht bezahlen.

Ein neues Medikament, das fast ohne Nebenwirkung heilt

Die Käuferclubs entstanden ursprünglich im Rahmen der weltweiten Aids-Epidemie. Weil viele Patienten und Betreuungseinrichtungen in Afrika, Lateinamerika oder Asien das Geld für Arzneien nicht aufbringen konnten, organisierten Hilfsorganisationen Nachschubringe, die Medikamente in Ländern mit niedrigen Kosten beschafften.

Seit der US-Pharmakonzern Gilead Ende 2013 die neu entwickelten Direct-Acting-Antiviral-Pillen (DAA) auf den Markt brachte, werden mehr als 95 Prozent aller behandelten Hepatitis-C-Patienten geheilt – im Gegensatz zum zuvor einzig eingesetzten Interferon fast ohne Nebenwirkungen. „Man kann die Einführung mit der Entdeckung von Penizillin vergleichen“, sagt der Arzt James Freeman, der von seiner Praxis in Australien aus den Käuferclub FixHepC betreibt. Dank der Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelten Arznei konnten erstmals in der Menschheitsgeschichte Wundbrände und Geschlechtskrankheiten geheilt werden.

Eine Pille kostet in Deutschland 500 Euro

Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden weltweit rund 180 Millionen Menschen an Hepatitis. 500.000 bis 700.000 sterben jährlich an Folgen wie Leberkrebs oder -zirrhose. Hepatitis C gehört neben Tuberkulose, HIV, Malaria und Hepatitis B zu den fünf schlimmsten Infektionskrankheiten auf dem Globus. Dennoch gibt es kaum verlässliche Zahlen. In Europa schätzt das Stockholmer „European Center for Disease Prevention and Control“ (ECDC) die Zahl der Kranken auf rund 17,5 Millionen.

Impfstoff gegen Malaria

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    In Deutschland, der Schweiz und Österreich gelten etwa ein Prozent der Bevölkerung als Hepatitis-C-Patienten. Die in Portugal beheimatete Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht schätzt, dass die tückische Gelbsucht in den EU-Staaten viele Millionen Euro Kosten verursacht – die Gelder für Medikamente und Therapie nicht eingerechnet. In Deutschland senkte Gilead, der Hersteller der Wundermedizin, nach langen Verhandlungen 2015 den Preis pro Pille von zuvor 700 Euro auf 500 Euro.

    Käuferclubs holen Medikamente aus Indien

    „Ich habe schon Tausenden von Patienten geholfen“, sagt James Freeman in der australischen Stadt Hobart im Gespräch mit unserer Redaktion, „manche sind aus Deutschland oder anderen europäischen Ländern eigens für die Arzneien hier nach Australien gekommen.“ Patienten aus dem eigenen Land versorgt er vorläufig nicht. Denn Canberra subventioniert die lebensrettenden Arzneien seit März des vergangenen Jahres zu fast 100 Prozent.

    Die Rechtfertigung des Arztes für seinen Kampf gegen die hohen Behandlungskosten: „Es ist nicht in Ordnung, jemandem einfach so mit einem Knüppel über den Schädel zu hauen. Aber wenn ich das bei jemandem tue, der jemand anderem eine Pistole an den Kopf hält, ist das okay, finde ich.“ Gemeinsam mit den 87 anderen Käuferclubs kauft Freeman die Medikamente in Indien bei elf Generika-Produzenten ein, die sieben Prozent ihrer Erlöse an den Pharmagiganten Gilead abführen, der die Arzneien im Westen zu Horrorpreisen vertreibt.

    Neue Studie über Wirksamkeit der Hepatitis-C-Generika

    Gilead kaufte 2011 das Unternehmen Pharmasset, das die Medikamente mit einem Aufwand von rund 281 Millionen US-Dollar entwickelt hatte. Seither verdient Gilead laut Berechnungen von Kritikern an den Hepatitis-Medikamenten jährlich etwa elf Milliarden US-Dollar – und versteuert seine Einkünfte günstig in Irland. Die Rechtfertigung des Konzerns für seine Preispolitik: Die Behandlung müsse mit den Kosten einer Lebertransplantation verglichen werden.

    „Es sterben jährlich mehr Leute an Hepatitis C als mit den Medikamenten behandelt werden“, sagt Freeman, der eine Vorliebe für plastische Vergleiche hat. Wenn es nach ihm und anderen Aktivisten sowie Betreibern der auf Selbstkostenbasis agierenden Käuferclubs geht, wird sich dies schnell ändern. Auf dem „Internationalen Leberkongress“, der am 19. April in Amsterdam beginnt, soll eine Studie letzte Zweifel an der Wirksamkeit der Hepatitis-C-Generika zerstreuen.

    Heilungsrate angeblich bei über 95 Prozent

    Danach liegt die Heilungsrate der Generika wie bei den Pillen von Gilead über 95 Prozent – sofern die Billig-Arzneien von den lizenzierten indischen Firmen stammen. „Bei Internet-Apotheken sollte man vorsichtig sein“, rät Freeman, „man weiß beim Kauf nicht genau, woher die Mittel stammen.“