Köln. Ein Vergewaltiger flieht bei einem begleiteten Ausgang. Die beiden JVA-Beamten, die ihn bewachen sollten, wurden nun freigesprochen.

Der verurteilte Sexualstraftäter wollte gerne zum Shoppen nach Köln. Also durfte er, begleitet von zwei Beamten der Justizvollzugsanstalt (JVA) Aachen, einen Ausflug machen. Mittags kehrte das Trio in einem bekannten Brauhaus am Dom ein. Als der Gefangene sagte, dass er mal zur Toilette müsse, ließen die Beamten ihn gehen – allein. Diese Gelegenheit nutzte der heute 59-Jährige zur Flucht.

Am Freitag standen die beiden JVA-Beamten wegen Gefangenenbefreiung als Angeklagte vor dem Kölner Amtsgericht. Sie hätten dem gefährlichen Straftäter, der seit 1999 in Sicherungsverwahrung saß, „einen extrem großen“ Freiraum gelassen und so seine Flucht „wissentlich gefördert“, sagt die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer. Sie fordert für die beiden Angeklagten Bewährungsstrafen von mehr als einem Jahr. Doch das Urteil lautet: Freispruch.

„Unendliche Schlamperei und Lässigkeit“

Zwar hätten die 40 und 52 Jahre alten Beamten grob fahrlässig gehandelt und im Umgang mit dem Gefangenen eine „unendliche Schlamperei und Lässigkeit“ an den Tag gelegt, betont Richter Frank Altpeter bei der Urteilsbegründung. Aber es liege kein Vorsatz vor und damit auch kein strafbares Verhalten. „Dass der Gefangene fliehen könnte, lag einfach außerhalb ihrer Vorstellungskraft“, sagt Altpeter.

Denn beide Angeklagte kannten den Häftling schon seit Jahren, hatten ihn als freundlich und korrekt erlebt, sodass wohl eine Art Vertrauensbasis entstanden sei. Der 52-Jährige sagt im Prozess, er habe beinahe täglich mit ihm zu tun gehabt und ihn auch auf seinen vorherigen acht Ausflügen begleitet. „Es gab nie irgendwas zu beanstanden.“

Häftling suchte Toilette auf

Und so sei er im Brauhaus wohl „irgendwie überrumpelt“ gewesen, als sich der Häftling, noch ehe alle drei Männer Platz genommen hatten, in Richtung Toilette verabschiedete – zumal in dem Moment schon der „Köbes“ da stand, um die Bestellung aufzunehmen: drei Cola.

Als der Gefangene nicht wieder auftauchte, wurde dem 52-Jährigen nach eigenen Angaben langsam mulmig – allerdings nicht, weil er an eine Flucht gedacht, sondern weil er befürchtet habe, dass dem Diabetiker schlecht geworden sein könnte.

JVA-Beamten warteten 27 Minuten

Bis die Beamten tatsächlich mit der Suche begannen, waren laut Anklage 27 Minuten vergangen. Erst drei Tage nach seinem Verschwinden konnte die Polizei den Geflohenen wieder fassen. Den JVA-Beamten, die seit dem Vorfall vom Dienst suspendiert sind, könnten laut Gericht unabhängig vom Freispruch disziplinarrechtliche Maßnahmen drohen.

Begleitete Ausgänge stehen Sicherungsverwahrten auf Antrag gesetzlich zu und dienen der „Erhaltung der Lebenstüchtigkeit“. Der 40 Jahre alte Beamte schilderte vor Gericht, dass der Häftling nicht gefesselt gewesen sei. „Wir laufen da rum wie drei normale Passanten.“

Häftling wurde in JVA Werl verlegt

Deshalb kritisiert Richter Altpeter in seinem Urteil auch „systemimmanente Schwächen“. Obwohl für den 59-Jährigen keine Entlassung in Sicht gewesen sei, habe die JVA Aachen ihm immer weitere Lockerungen und Ausflüge in belebte Fußgängerzonen oder auf den Weihnachtsmarkt genehmigt. „Da hätte er viele Gelegenheiten gehabt, um zu entkommen.“

Der 59-Jährige wurde inzwischen in die JVA Werl verlegt. Sogenannte Ausführungen habe er seit dem Vorfall nicht mehr gehabt, sagt der stellvertretende Anstaltsleiter Andreas Jellentrop. Allerdings habe er bislang auch keinen entsprechenden Antrag gestellt. (dpa)