Berlin. Nach den Bluttaten diskutiert die deutsche Politik über die Strategie gegen islamistische Gewalt. Die Vorschläge im Realitätstest.

Die Leute seien „aufgewühlt“, sagt Horst Seehofer (CSU). Er auch. Bayerns Ministerpräsident weiß, „der islamistische Terror ist in Deutschland angekommen“. Vor einer Klausur seines Kabinetts versprach er am Dienstag, „alles, was wir für richtig halten, werden wir in die politische Diskussion einführen“. Dabei soll es nicht bleiben, Seehofer drängt auf Taten, er will raus aus der „Endlosschleife der Diskussion“. Einige Forderungen im Realitätstest:

• Bessere Ausstattung der Polizei

Bayern will die Polizei aufstocken, „das Gleiche erwarten wir auch von den anderen Ländern und vom Bund“. Mehr und besser ausgerüstete Polizisten, neue Schutzwesten, teure Titanhelme, modernere Waffen. Videoüberwachung an Bahnhöfen und gefährlichen Orten, digitale Kriminalitätsprognoseprogramme.

Fazit: Gut ist, dass der Staat in Sicherheit investiert. Falsch ist, dass die Prävention von Straftaten zu kurz kommt.

• Mehr Polizeipräsenz

Die Innenminister von Bund und Ländern haben sich darauf geeinigt, die Polizeipräsenz bei ausgewählten Veranstaltungen zu erhöhen. Die Veranstalter sollen ihre Konzepte optimieren. Die Frage drängt sich seit dem Anschlag in Paris bei einem Rockkonzert auf.

Fazit: Sinnvoll. Die Sicherheit bei Sport und Konzerten muss besser werden.

• Militärs an die (Heimat-)Front

Während des Münchner Anschlages versetzte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) Feldjäger der Bundeswehr in Bereitschaft. Artikel 35 Grundgesetz erlaubt Amtshilfe bei Naturkatastrophen und in besonders „schweren Unglücksfällen“ – eine terroristische Großlage wäre so ein Fall. Die Union fordert, was längst möglich ist, in München aber unnötig war. Die Soldaten wären kaum in der Lage, originäre Polizeiaufgaben zu erledigen. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) drängt darauf, dass der Einsatz der Bundeswehr „so selbstverständlich wird wie in Frankreich und Belgien“.

Fazit: Symbolpolitik. Nutzwert und Realisierungschancen sind eher gering.

17-Jähriger verübt Axt-Attacke im Zug

Ein 17-jähriger Flüchtling aus Afghanistan hat in einem Regionalzug Fahrgäste mit Axt und Messer attackiert. Der Zug hatte das Ziel Würzburg fast erreicht, als der Täter losschlug.
Ein 17-jähriger Flüchtling aus Afghanistan hat in einem Regionalzug Fahrgäste mit Axt und Messer attackiert. Der Zug hatte das Ziel Würzburg fast erreicht, als der Täter losschlug. © dpa | Karl-Josef Hildenbrand
Vier Menschen wurden schwer verletzt, ein weiterer leicht. Außerdem erlitten 14 Reisende einen Schock.
Vier Menschen wurden schwer verletzt, ein weiterer leicht. Außerdem erlitten 14 Reisende einen Schock. © dpa | Karl-Josef Hildenbrand
Als der Zug per Notbremse stoppte, sprang der Täter aus dem Zug und flüchtete. Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei, das zufällig in der Nähe war, nahm die Verfolgung auf.
Als der Zug per Notbremse stoppte, sprang der Täter aus dem Zug und flüchtete. Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei, das zufällig in der Nähe war, nahm die Verfolgung auf. © dpa | Karl-Josef Hildenbrand
Als der Jugendliche auch auf die Einsatzkräfte losgegangen sei, erschossen die Beamten den jungen Mann.
Als der Jugendliche auch auf die Einsatzkräfte losgegangen sei, erschossen die Beamten den jungen Mann. © REUTERS | KAI PFAFFENBACH
Wegen des Einsatzes wurde die Bahnstrecke zwischen Ochsenfurt und Würzburg zeitweise gesperrt. Der 17-jährige Täter kam ohne seine Eltern nach Deutschland. Zunächst hat er in einer Einrichtung in Ochsenfurt gelebt, danach bei einer Pflegefamilie.
Wegen des Einsatzes wurde die Bahnstrecke zwischen Ochsenfurt und Würzburg zeitweise gesperrt. Der 17-jährige Täter kam ohne seine Eltern nach Deutschland. Zunächst hat er in einer Einrichtung in Ochsenfurt gelebt, danach bei einer Pflegefamilie. © dpa | Karl-Josef Hildenbrand
Nach einer Aussage soll der Täter einen islamischen Ausruf gemacht haben, kurz bevor er von der Polizei erschossen wurde. In einem Internetvideo bekannte sich der Täter zur Terrormiliz Islamischer Staat.
Nach einer Aussage soll der Täter einen islamischen Ausruf gemacht haben, kurz bevor er von der Polizei erschossen wurde. In einem Internetvideo bekannte sich der Täter zur Terrormiliz Islamischer Staat. © dpa | Karl-Josef Hildenbrand
1/6

• Waffenrecht verschärfen

Das Waffenrecht ist nach den Amokläufen von Erfurt und Winnenden verschärft worden. Seit 2013 hat der Staat mit dem nationalen Waffenregister einen genauen Überblick über die legalen Waffen. Der kritische Punkt sind die illegalen Waffen, ihre Beschaffung im Ausland und im Darknet, dem anonymen Teil des Internets. „Wir müssen das Dark­net durchleuchten.“, sagt der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka.

Fazit: Den Zugang zu den Waffen zu erschweren, ist ein Erfolg versprechender Ansatz. Es geht weniger um neue Gesetze und mehr um einen besseren Vollzug.

• Flüchtlinge besser überprüfen

Die Täter von Würzburg und Ansbach waren überprüft worden, aber nicht negativ aufgefallen. An der Grenze zu Österreich werden Asylsuchende erkennungsdienstlich behandelt – Lichtbild, Fingerabdruck – und ihre Auskünfte mit den Datenbanken von Sicherheitsbehörden abgeglichen. Nur: 77 Prozent der Migranten haben nicht die erforderlichen Personaldokumente. Im Ergebnis ist oft genug „weder die Identität aller Menschen geklärt, die zu uns gekommen sind, noch ihr geistiger und körperlicher Zustand“, sagt Rainer Wendt von der Polizeigewerkschaft. Die CSU fordert: Wer sich nicht identifizieren kann, darf nicht einreisen. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) will Flüchtlinge vor ihrer Einreise überprüfen lassen.

Fazit: Man muss wissen, wer ins Land kommt – und auch: dass sich manche trotzdem hier radikalisieren können.

Selbstmordattentat in Ansbach

Selbstmordanschlag im fränkischen Ansbach: Bei der Detonation eines Sprengsatzes starb am Sonntagabend der mutmaßliche Täter, mehrere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.
Selbstmordanschlag im fränkischen Ansbach: Bei der Detonation eines Sprengsatzes starb am Sonntagabend der mutmaßliche Täter, mehrere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. © REUTERS | MICHAELA REHLE
Der 27-jährige mutmaßliche Selbstmordattentäter hatte vor einer Gaststätte in der Innenstadt in der Nähe des Eingangs zu einem Open-Air-Musikfestival eine Bombe mit scharfkantigen Metallteilen gezündet.
Der 27-jährige mutmaßliche Selbstmordattentäter hatte vor einer Gaststätte in der Innenstadt in der Nähe des Eingangs zu einem Open-Air-Musikfestival eine Bombe mit scharfkantigen Metallteilen gezündet. © dpa | Daniel Karmann
Die komplette Altstadt von Ansbach, das etwa 40.000 Einwohner hat, war am späten Abend abgeriegelt worden.
Die komplette Altstadt von Ansbach, das etwa 40.000 Einwohner hat, war am späten Abend abgeriegelt worden. © REUTERS | MICHAELA REHLE
Anwohner konnten zunächst nicht zurück in ihre Häuser.
Anwohner konnten zunächst nicht zurück in ihre Häuser. © REUTERS | MICHAELA REHLE
Schwerbewaffnete Polizisten bewachten nach der Tat die Zufahrtsstraße zur Altstadt. Die Explosion sorgte für einen Großeinsatz der Polizei, die mit 200 Kräften anrückte.
Schwerbewaffnete Polizisten bewachten nach der Tat die Zufahrtsstraße zur Altstadt. Die Explosion sorgte für einen Großeinsatz der Polizei, die mit 200 Kräften anrückte. © dpa | Daniel Karmann
Feuerwehr und Rettungsdienste waren mit 350 Kräften im Einsatz.
Feuerwehr und Rettungsdienste waren mit 350 Kräften im Einsatz. © dpa | Daniel Karmann
Noch in der Nacht begann die Spurensicherung.
Noch in der Nacht begann die Spurensicherung. © REUTERS | MICHAELA REHLE
Bei einer Explosion habe es eine hohe Streuung gegeben, hieß es bei der Polizei. Jedes kleinste Teilchen könne zur Aufklärung beitragen.
Bei einer Explosion habe es eine hohe Streuung gegeben, hieß es bei der Polizei. Jedes kleinste Teilchen könne zur Aufklärung beitragen. © REUTERS | MICHAELA REHLE
Ein Mitarbeiter der Spurensicherung untersucht den Rucksack des mutmaßlichen Täters.
Ein Mitarbeiter der Spurensicherung untersucht den Rucksack des mutmaßlichen Täters. © dpa | Daniel Karmann
In dem Rucksack war der Sprengsatz versteckt.
In dem Rucksack war der Sprengsatz versteckt. © dpa | Daniel Karmann
Der Selbstmord-Attentäter von Ansbach hat sich nach Angaben von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zur Extremistengruppe Islamischer Staat (IS) bekannt. Das gehe aus der Auswertung des Handys des Syrers hervor. „Es ist auf dem Handy eine entsprechende Anschlagsdrohung des Täters selbst als Video festgestellt worden.“
Der Selbstmord-Attentäter von Ansbach hat sich nach Angaben von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zur Extremistengruppe Islamischer Staat (IS) bekannt. Das gehe aus der Auswertung des Handys des Syrers hervor. „Es ist auf dem Handy eine entsprechende Anschlagsdrohung des Täters selbst als Video festgestellt worden.“ © REUTERS | MICHAELA REHLE
Fast zeitgleich äußerte sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in Berlin: „Ein Bezug zum internationalen Terrorismus des sogenannten Islamischen Staates ist aus meiner Sicht ebenso wenig auszuschließen wie das Vorliegen einer besonderen Labilität dieser Persönlichkeit oder eine Kombination von beidem.“
Fast zeitgleich äußerte sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in Berlin: „Ein Bezug zum internationalen Terrorismus des sogenannten Islamischen Staates ist aus meiner Sicht ebenso wenig auszuschließen wie das Vorliegen einer besonderen Labilität dieser Persönlichkeit oder eine Kombination von beidem.“ © dpa | Michael Kappeler
Der Minister mahnte zugleich zur Besonnenheit und warnte vor einem Generalverdacht gegen Flüchtlinge. Die ganz große Mehrheit komme nach Deutschland, um hier in Frieden zu leben. „Das muss sauber getrennt werden“.
Der Minister mahnte zugleich zur Besonnenheit und warnte vor einem Generalverdacht gegen Flüchtlinge. Die ganz große Mehrheit komme nach Deutschland, um hier in Frieden zu leben. „Das muss sauber getrennt werden“. © dpa | Michael Kappeler
Mitarbeiter der Spurensicherung ermittelten am Montag in dem Ansbacher Flüchtlingsheim, in dem der mutmaßliche Täter wohnte. Der Syrer ist nach Behördenangaben vor zwei Jahren nach Deutschland gekommen und hatte einen Asylantrag gestellt. Dieser wurde vor einem Jahr abgelehnt, ...
Mitarbeiter der Spurensicherung ermittelten am Montag in dem Ansbacher Flüchtlingsheim, in dem der mutmaßliche Täter wohnte. Der Syrer ist nach Behördenangaben vor zwei Jahren nach Deutschland gekommen und hatte einen Asylantrag gestellt. Dieser wurde vor einem Jahr abgelehnt, ... © dpa | Daniel Karmann
... der 27-Jährige Flüchtling war seitdem geduldet. Hintergrund: Deutschland schiebt zurzeit keine Menschen nach Syrien ab, weil in dem Land Bürgerkrieg herrscht. Der Täter war wiederholt strafrechtlich aufgefallen. Unter anderem hatte die Polizei ...
... der 27-Jährige Flüchtling war seitdem geduldet. Hintergrund: Deutschland schiebt zurzeit keine Menschen nach Syrien ab, weil in dem Land Bürgerkrieg herrscht. Der Täter war wiederholt strafrechtlich aufgefallen. Unter anderem hatte die Polizei ... © REUTERS | MICHAELA REHLE
... wegen eines Drogendelikts mit ihm zu tun. Er befand sich in psychiatrischer Behandlung und soll bereits zweimal versucht haben, sich das Leben zu nehmen.
... wegen eines Drogendelikts mit ihm zu tun. Er befand sich in psychiatrischer Behandlung und soll bereits zweimal versucht haben, sich das Leben zu nehmen. © dpa | Daniel Karmann
Eine Woche der Gewalt in Bayern: Würzburg, München und Ansbach wurden innerhalb weniger Tage Ziele von Gewalttaten.
Eine Woche der Gewalt in Bayern: Würzburg, München und Ansbach wurden innerhalb weniger Tage Ziele von Gewalttaten. © dpa-infografik | dpa-infografik GmbH
1/17

• Konsequenter abschieben

Längst begründen schon Eigentumsdelikte und Bewährungsstrafen ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse. Das Gesetz wurde nach den Vorkommnissen in der Silvesternacht verschärft. Wendt fordert einen Ausbau der Abschiebehaft. Seehofer würde in Krisenregionen abschieben. CDU-Innenpolitiker Armin Schuster tönt: „Wir brauchen eine Abschiedskultur.“ Ein Seitenhieb gegen die Willkommenskultur der Kanzlerin.

Fazit: In Krisenregionen abzuschieben, verstößt gegen EU-Recht und Menschenrechtskonvention und wäre nur bedingt möglich, etwa in Afghanistan. Da werden falsche Erwartungen geweckt.