Bundestag drückt vor dem EM-Halbfinale mächtig aufs Tempo
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Berlin. Bei der Fußball-EM ist Halbfinale. Deutschland spielt. Und im Bundestag stimmen die Abgeordneten über Gesetze ab. Da war doch was...
Der Hausherr hatte es eilig. Bundestagspräsident Norbert Lammert drückte am Donnerstagmorgen schon zu Beginn der Sitzung des Parlaments aufs Tempo: „Ich bitte dann jetzt schon für den Ablauf unserer Tagesordnung darauf zu achten, dass wir bei den vereinbarten jeweiligen Debattenzeiten auch diese möglichst konsequent einhalten wollen.“ Und weiter: Die Abgeordneten sollten doch, bitte schön, den „ansonsten natürlich außerordentlich sympathischen Ehrgeiz“, durch Zwischenfragen „und andere fantasievolle Erweiterungsmöglichkeiten“ die Debatte zu verlängern, möglichst unterdrücken.
Mit anderen Worten: Klappe zu und durch! Politik im Eilverfahren.
Der Grund für die präsidiale Mahnung: Im Fernsehen regiert König Fußball – und die Volksvertreter verneigen sich. Deshalb hatte der Bundestag seine Tagesordnung für den Donnerstag bereits im Vorfeld so weit abgespeckt, dass die Abgeordneten rechtzeitig zum EM-Halbfinale zwischen Deutschland und Frankreich um 21 Uhr vor dem Fernsehgerät sitzen können.
Pünktlich zum Anpfiff soll Schluss sein
Ursprünglich sollte die Debatte bis weit nach Mitternacht dauern. Kurzfristig hatten sich die Fraktionen jedoch darauf geeinigt, dass bei mehr als einem Dutzend Tagesordnungspunkten die Reden nicht im Plenum vorgetragen, sondern lediglich schriftlich zu Protokoll gegeben werden. Die Sitzung soll jetzt bereits gegen 21 Uhr enden – pünktlich zum Anpfiff in Marseille. Denn es sollte nicht noch einmal ein Fall geschehen, wie er vor vier Jahren, während der letzten Fußball-EM, für reichlich Schlagzeilen gesorgt hatte.
2012 – während des laufenden EM-Halbfinals zwischen Deutschland und Italien – hatte der Bundestag das Meldegesetz reformiert und damit für viel Wirbel gesorgt. Weitgehend unbemerkt wurde damals eine nahezu ungebremste Weitergabe staatlicher Meldedaten an die Werbewirtschaft durchgewunken. Im Plenum fand sich damals nur eine Handvoll Abgeordneter – die große Mehrheit verfolgte das Fußballspiel vor dem Fernseher.
Erst mit einigen Tagen Verspätung wurde die Tragweite der Entscheidung bekannt, die gleichsam unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgenickt worden war. Die damals regierende schwarz-gelbe Koalition musste eiligst zurückrudern, das umstrittene Gesetz wurde wieder kassiert.
Pikant: Auch an diesem Donnerstag stand eine Reform des Meldegesetzes auf der Agenda des Parlaments. Diesmal ging es aber eher um Detailregelungen wie einen erleichterten Umzug ins Ausland.
Kanzlerin fliegt wohl nicht nach Marseille
Bundeskanzlerin Angela Merkel wird übrigens wohl nicht zum Halbfinale der deutschen Mannschaft nach Frankreich reisen. „Die Bundeskanzlerin wird nicht nach Marseille fahren, sondern versucht, das Spiel in Berlin zu verfolgen“, hatte Regierungssprecher Steffen Seibert angekündigt. Grund ist wohl der Ministerpräsidentengipfel am Donnerstag, der um 15 Uhr im Kanzleramt steigt. Offenbar will Merkel gegenüber den Regierungschefs der Bundesländer den Eindruck vermeiden, sie drücke bei den Beratungen aufs Tempo, um noch rechtzeitig ins Stadion zu kommen.
Merkel hatte in der Vergangenheit bei Welt- und Europameisterschaften schon öfters Spiele der deutschen Elf besucht. Gelegentlich besuchte sie anschließend auch die Spieler in der Umkleidekabine. (W.B./dpa)